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Potsdam – Ein vorerst noch hypothetisches Szenario, das Klimaforschern besondere Sorge bereitet, ist das von den sogenannten Tipping-Points, also Kipppunkten. Es läuft kurz gesagt darauf hinaus, dass ein Zustand – ob regional oder global – abrupt in einen neuen übergeht; eine Entwicklung, die sich nicht mehr rückgängig machen lässt.

Beispiele wären etwa ein Abreißen des Golfstroms, der Zusammenbruch des Monsunsystems, das Südasien mit Niederschlägen versorgt, oder auch das Verschwinden der tropischen Regenwälder. Jeweils ein Kipppunkt für sich wäre auch das Abschmelzen großer Eisschilde – ob in Grönland oder in der Westantarktis.

Unterschätzte Gefahr?

Das Risiko solcher unumkehrbarer Veränderungen sei bisher womöglich unterschätzt worden, heißt es nun in einem Kommentar, den internationale Experten im Fachblatt "Nature" veröffentlichten. Darunter waren auch Hans Joachim Schellnhuber und Johan Rockström vom deutschen Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Die Autoren verweisen in ihrem Text unter anderem auf neuere Erkenntnisse zur Destabilisierung der Eisschilde rund um Nord- und Südpol sowie zum Amazonas-Regenwald. Sie warnen zudem vor bisher unterschätzten Kettenreaktionen und Rückkopplungen zwischen Ökosystemen.

In den 1990er-Jahren war der Weltklimarat (IPCC) noch davon ausgegangen, dass ein solches Szenario nur bei einer extremen Erderwärmung eintreten könne – einer von fünf Grad Celsius oder mehr. In seinen jüngsten Berichten hatte der IPCC die "Sicherheitsschwelle" schon deutlich herabgesetzt – manche Kipppunkte könnten schon bei einer alles andere als unrealistischen Erwärmung von einem bis zwei Grad eintreten. Zudem könne das Überschreiten eines Kipppunkts in einem Subsystem des Weltklimas die Wahrscheinlichkeit dafür erhöhen, dass auch ein anderes "kippt".

Warnung vor Kaskadeneffekt

Dieser Ansicht schließen sich nun die Forscher in ihrem "Nature"-Kommentar an. Erste Hinweise gebe es bereits – etwa in der Form, dass der Eisverlust der Arktis die Erwärmung der Region verstärkt, was den Eisverlust noch weiter fördert. Das schnellere Abschmelzen der Gletscher auf Grönland wiederum könne wichtige Meeresströmungen im Atlantik stören, was Folgen für den Monsun in Westafrika und die Feuchtigkeit des Amazonas-Beckens mit seinen Regenwäldern haben dürfte.

"Wissenschaftlich gesehen ist dies ein starker Beleg für einen planetaren Notfallzustand", sagte Rockström. Schellnhuber warnte vor einem "unheilvollen Weg in die Erwärmung", der mit Kipppunkten "gepflastert" sei. Einige seien womöglich sogar schon überschritten, ergänzte er. Und die verschiedenen Kipppunkte auf regionaler Ebene könnten schließlich zu einem globalen Kipppunkt führen.

Die Wissenschafter fordern in ihrem Kommentar daher energische Gegenmaßnahmen: "Wenn schädliche Kippkaskaden auftreten können und ein globaler Kipppunkt nicht ausgeschlossen werden kann, dann ist dies eine existenzielle Bedrohung der Zivilisation." (red, 27.11.2019)