Für das Töchterchen und schicke Pelze lässt sich Ramona (Jennifer Lopez) mit Geld bewerfen. Später wird sie ihren amerikanischen Traum mit unlauteren Mitteln verwirklichen.

Foto: Constantin

Im Etablissement, in dem Ramona (Jennifer Lopez) und Destiny (Constance Wu) um die Stange wirbeln, wird oral größer geschrieben als Moral. Die Männer, die dort verkehren, sind schmierige Wall-Street-Typen, die zu ihrem Lapdance auch gerne mal Leistungen auf Knien verlangen. Destiny lässt sich ob ihrer finanziellen Notlage zum Blowjob überreden, später bemerkt sie, dass ihr Gast statt der 300 nur 60 Dollar dagelassen hat.

Es ist eine großartig inszenierte Schlüsselszene in Lorene Scafarias Hustlers, eine Demütigung, die einem beim Zusehen so stark in Mark und Bein fährt, dass alles Weitere, was die Hustlers tun, zumindest auf den ersten Blick gerechtfertigt scheint. Auch Destiny lässt sich jetzt erst von ihrer mütterlichen besten Freundin, der Stripgöttin Ramona, überzeugen, zu unlauteren Mitteln zu greifen: die Männer unter Drogen zu setzen und mit den gestohlenen Kreditkarten ihre Konten leerzuräumen. Macht kaputt, was euch kaputtmacht!

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Auf Knien vor der Finanzkrise

Doch wie war es überhaupt dazu gekommen? Eingangs lief’s ja so kommod, wie’s laufen kann, wenn man sich mit kunstvollem Ausziehen seinen Lebensunterhalt verdienen muss, nicht will. Die unsichere Destiny heuert also in einem New Yorker Stripclub an und wird bald von Ramona unter ihre Fittiche genommen. Im wahrsten Sinne des Wortes: Auf dem Dach des Clubs kuschelt sich Destiny erstmals zu Ramona, in deren ausladendem Pelzmantel Platz genug für zwei ist. Ab dann sind sie ziemlich beste Freundinnen. Ramona zeigt Destiny, wo der Barthel den Most holt, und schon bald verdient auch die jüngere Kollegin genug, um ihre Oma und sich selbst zu versorgen. Doch dann: Finanzkrise! Die Kunden werden geizig, und frau findet sich auf Knien wieder.

Welcher Zweck heiligt welche Mittel?

Hustlers lebt stark von der Beziehung seiner beiden Hauptcharaktere zueinander, einer immer leicht unausgeglichenen Freundschaft zwischen zwei Frauen in einer Welt, die ihnen nichts geschenkt hat. Lopez ist eine genauso glaubwürdige Sexgöttin wie liebende Mutter, eine so dominante wie großzügige Freundin, eiskalt, wenn’s sein muss, und dann wieder unglaublich herzlich. Hustlers dreht sich aber auch um die alte Frage, welcher Zweck welche Mittel heiligt. Darf man Männern, die "von uns allen gestohlen haben", wie Ramona rechtfertigt, das Geld wieder wegnehmen und es umverteilen – und zwar an sich selbst und die Seinen? Damit es das Töchterlein einmal besser hat? Oder vielleicht doch, um sich mit Taschen einzudecken, die "nie zu groß sein können"? Beides? Ist das alles eine legitime Auslegung des amerikanischen Traums? Und natürlich geht es auch darum, was eine Freundschaft aushält und wann das Ende der Fahnenstange erreicht ist.

Flotte erste Hälfte, zu viel Rührseliges in der zweiten

Hustlers basiert auf einer New Yorker-Reportage der Journalistin Jessica Pressler, die auch im Film – grandios verkörpert von einer zwischen Objektivität, Mitgefühl und Verwirrung hin- und hergerissenen Julia Stiles – als rahmenschaffendes Element vorkommt.

Wirklich rund wird der Film, dessen flotte erste Hälfte im Stripclub gutes Entertainment mit ein bisschen Tiefgang zum Drüberstreuen ist, aber auch dadurch nicht. In der zweiten Hälfte zerfleddert Hustlers, eine Armada von Nebencharakteren, Rührseligkeiten und pastellige Aufnahmen lenken vom Geschehen ab, von dem man nicht mehr sagen kann, wohin es führen will.

Da war es befriedigender, die Stripperinnen-Gang beim Männerabzocken zu begleiten. Moralisch verwerflich mag das unter Umständen sein, aber zuschauen wird man ja wohl noch dürfen. Wie im Stripclub. (Amira Ben Saoud, 28.11.2019)