Wer stört wen im Wald, und wer hat darüber zu befinden? Diese Fragen gehören dringend gelöst.

Foto: Robert Jaeger

Innsbruck/Wien – Wer darf was in Österreichs Wäldern? Diese Frage beschäftigt derzeit die Justiz in Niederösterreich. Der Fall steht beispielhaft für die Probleme rund um das Thema Erholungssuchende im Wald, daher wird auf Namensnennung der Beteiligten verzichtet. Und obwohl eine der klagenden beziehungsweise beklagten Parteien Mountainbiker ist, sollten sich auch Wanderer und vor allem Skitourengeher angesprochen fühlen.

Was war passiert? Zwei mountainbikende Freunde unternahmen eine Feierabendrunde. Diese führte sie über eine Forststraße, auf der Radfahren nicht erlaubt ist. Sie wurden dabei vom örtlichen Aufsichtsjäger erwischt, der mit seinem Geländewagen auf derselben Forststraße unterwegs war. Als der Waidmann die beiden Mountainbiker stoppte und eine Identitätsfeststellung durchführen wollte, konnte er sich aber zuerst nicht ausweisen, weshalb die Radfahrer die Kooperation verweigerten.

Ein Vorfall, zwei Perspektiven

Der Jäger ließ von ihnen ab, um seinen Ausweis zu holen, und kehrte zurück. Die Mountainbiker waren zwischenzeitlich auf dem Weg zurück, da sie weitere Probleme vermeiden wollten. Genau während dieses Rückweges kam es erneut zur Konfrontation. In abenteuerlicher Manier, wie die Aussagen beider Seiten bestätigen. Die Radler fuhren zügig bergab, der entgegenkommende Aufsichtsjäger stellte, um sie zu stoppen, seinen Wagen auf der Forststraße quer.

Einer der beiden Mountainbiker schaffte es, dem Wagen auszuweichen. Der zweite, nun vor Gericht stehende, wurde vom Jäger gestoppt. Wie, dazu gehen die Aussagen auseinander. Der Radler sagt, er sei vom Bike gerissen worden, wodurch der Jäger und er selbst zu Sturz gekommen seien. Dabei habe sich der Radfahrer am Rücken verletzt. Diese Verletzung ist jedoch nicht durch ärztliche Atteste bestätigt.

Der Jäger wiederum sagt, er habe den Radfahrer gestoppt und ihm seine Plakette gezeigt, es sei zu einer Diskussion gekommen, und plötzlich sei der Mountainbiker auf ihn losgefahren. Er habe ihn mit dem Vorderreifen gerammt, wodurch der Jäger zu Sturz gekommen sei. Im Fallen habe er sich am Rad festzuhalten versucht, fiel dennoch und sei mitgeschliffen worden. Dabei sei wiederum seine linke Hand unter den Vorderreifen des Rades gekommen. Wie ein ärztliches Attest bestätigt, hatte der Waidmann einen ausgerenkten Ringfinger von der Konfrontation davongetragen.

Ein Vorfall, drei Gerichtsverfahren

So weit die unterschiedlichen Schilderungen des Vorfalles. Mittlerweile sind drei Verfahren in der Sache anhängig: eine Maßnahmenbeschwerde sowie je ein Strafverfahren gegen den Mountainbiker und den Jäger. Hinsichtlich des Verstoßes gegen das Forstgesetz, also die widerrechtliche Benützung der Forststraße, hat der Radler übrigens direkt nach dem Vorfall ein Entschuldigungsschreiben mitsamt Unterlassungserklärung an den Jäger geschickt, um einer Unterlassungsklage zuvorzukommen. Der springende juristische Punkt rund um die nun laufenden Verfahren ist, ob der Jäger zu dieser Amtshandlung berechtigt war. Denn Jagdaufsichtsorgane genießen den Status von Beamten, und ein Zuwiderhandeln ist demnach, wie in diesem Fall, Widerstand gegen die Staatsgewalt in Verbindung mit schwerer Körperverletzung.

Der beklagte Mountainbiker fühlt sich zu Unrecht beschuldigt, da er zwar gegen das Forstgesetz, nicht aber gegen das Jagdgesetz verstoßen habe. Insofern hätte der Aufsichtsjäger, der kein Forstschutzorgan ist, kein Befugnis zu dieser Amtshandlung gehabt. Doch die Gegenseite argumentiert, dass der Radler sehr wohl gegen Jagdrecht verstoßen habe, und beruft sich dabei auf eine Blankettstrafbestimmung, der zufolge es eine Verwaltungsübertretung darstellt, wenn jemand das Wild beunruhigt. Dabei reicht eine abstrakte Beunruhigung aus, es muss gar nicht zu einem nachweislichen Vorfall gekommen sein.

Gemeint sind alle Waldbenutzer

Genau hier wird es nun für sämtliche Waldnutzer interessant. Denn gemäß dieser Argumentation könnten sämtliche Personen des Waldes verwiesen werden, die aus Sicht eines Jägers das Wild beunruhigen. Im gegenständlichen Fall ist eine weitere Frage, wie weit die Befugnisse von Jägern gehen dürfen. Eine Zwangsmaßnahme wie die vorliegende stelle, so die Sicht des Radlers, einen massiven Eingriff in die Grundrechte dar, wie er sonst Polizeibeamten vorbehalten ist, die dafür eine langjährige Ausbildung absolvieren müssen. Im Falle von Aufsichtsjägern genügt ein mehrwöchiger Abendkurs.

In einem vom Gericht in Auftrag gegebenen Gutachten wird die Argumentation des Jägers gestützt, der von einer "massiven Beunruhigung" des Wildes durch Radfahrer ausgeht. Eine Nachfrage bei Experten am Institut für Wildbiologie an der Boku Wien liefert ebenfalls Argumente, die die These von der Beunruhigung des Wildes durch Radfahrer stützen. Wobei jeder Fall individuell zu bewerten sei.

Legalisierung als Lösung

Auch Dieter Stöhr von der Forstabteilung des Landes Tirol, der das vielzitierte Mountainbikemodell 2.0 mitentworfen hat, bestätigt, dass Mountainbiker unter gewissen Umständen eine Beunruhigung des Wildes bedeuten können. Allerdings gibt er in dem Zusammenhang zu bedenken, dass es Nutzergruppen im Wald gibt, die mindestens genauso problematisch seien. Pilzsucher und Skitourengeher nämlich.

Erstere halten sich abseits der Wege auf, und Vorhersehbarkeit ist in dem Zusammenhang besonders wichtig für das Wild. Wenn es die Tiere gewohnt sind, dass gewisse Wege von Menschen – sei es zu Fuß, mit dem Rad oder auch mit motorisierten Fahrzeugen – benutzt werden, tritt rasch ein Gewöhnungseffekt ein. Insofern würde auch eine Freigabe von Forststraßen für Mountainbiker als Lösung des Problems dienen, weil dadurch ein Gewöhnungseffekt eintreten kann.

Neben der Vorhersehbarkeit sind es Geschwindigkeit und Jahreszeit, die von großer Bedeutung sind. Insofern sind Radfahrer zu nennen, die bergab ungleich schneller als Fußgänger unterwegs sind und so Wild aufschrecken können. Allerdings spricht Stöhr basierend auf den Erfahrungen in Tirol von einem vernachlässigbaren Problem entlang der freigegebenen Mountainbikerouten. Wirklich problematisch seien in dem Zusammenhang Skitourengeher, die das Wild im Winter aufschrecken und zu sehr anstrengenden Fluchtwegen durch tiefen Schnee zwingen können.

Auch Jäger beunruhigen das Wild

Zur Beunruhigung des Wildes ist darüber hinaus anzumerken, sagt Forstexperte Stöhr, dass auch Jäger selbst die Tiere nicht kalt lassen. Vor allem in Gebieten, in denen ganzjährig gejagt wird, werden die Waidmänner vom Wild als viel größere Gefahr wahrgenommen als etwa Wanderer. Diese These sei mittlerweile ebenfalls durch Studien belegt.

Letztlich sind also Menschen ganz generell potenzielle Störfaktoren im Wald. Die aktuelle Gesetzeslage in Österreich gesteht jedoch dem einen Störfaktor zu, nach eigenem Gutdünken massiv in die Grundrechte des anderen einzugreifen. Es wäre an der Zeit, dies neu abzuwägen und zu überarbeiten. (Steffen Arora, 28.11.2019)