Amazon Prime Video dürfte in Österreich die meisten Abonnenten haben. Ob alle auch das Videoangebot – hier "Vikings", Staffel 5 – nutzen, lässt sich von außen nicht erkennen.

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Was tun Streamingplattformen wie Netflix, Disney+, Apple TV+ oder Amazon Prime Video mit der österreichischen TV-Produktion und mit den klassischen Sendern? Wo sehen sich ORF, Puls 4, Servus TV, Sky in zehn Jahren – und wie das lineare Fernsehen überhaupt? Beim Produzent*innentag in Wien am Mittwoch zweifelten öffentlich-rechtliche Rundfunker am klassischen Senden, A1 und Puls 4 benannten das existenzielle Problem des klassischen Fernsehens, Servus TV riet Sendern zu lukrativen Nebengeschäften – dort haben sich zum Beispiel Energydrinks bewährt. Und Netzbetreiber A1 sah Österreich in Sachen Streamingabos als Schlusslicht Europas.

Das Enden des Sendens

Tanja Hüther hat für klassisches Fernsehen wenig Hoffnung: "Ich glaube nicht, dass das lineare Fernsehen in zehn Jahren noch eine große Rolle spielt." Hüther ist zuständig für die Präsenz der ARD in digitalen Medien, für Kooperationen etwa mit Amazon, Spotify, Facebook oder Youtube. "Es ist unser Job, uns da richtig aufzustellen. Wir sind noch auf Augenhöhe in der Nutzung mit Netflix in Deutschland. Die wachsen stärker als wir. Aber wenn wir unseren Job richtig machen und das öffentlich-rechtliche System Bestand hat, dann bin ich zuversichtlich, dass wir unsere Position finden."

Stefanie Groiss-Horowitz sieht ihre Aufgabe bei ProSiebenSat1Puls4 2030 auch nicht mehr als "Chefin eines Ausspielkanals", das Channel-Denken werde sich überholen. "Wir werden uns dann über alle Plattformen mit unserem Publikum unterhalten, mit Entertainment, Apps, Gaming." Und auch wenn die Sender von ProSiebenSat1 sehr wesentlich auf Kaufserien und Kauffilme setzen, sieht sie kein Problem mit diesem Genre in Zeiten von mehr und mehr Streamingplattformen.

Google, nicht Netflix ruiniert

"Für uns ist nicht Netflix das Problem", sagt Groiss: "Für uns ist das Problem, dass Google den Werbemarkt ruiniert." Und Werbung ist, bisher jedenfalls, die wichtigste Finanzierungsgrundlage des privaten Free-TV. "Wir müssen die Werbetreibenden überzeugen, dass Fernsehen nicht tot ist. Und das tut man am besten mit Produktionen die Talk of Town sind." Also 2020 "The Masked Singer" auf Puls 4, für das Format meldete Konzernsender ProSIeben 2019 die beste Quote aller Zeiten.

"Für uns ist das Problem, dass Google den Werbemarkt ruiniert", sagt Stefanie Groiss-Horowitz, hier gerade am Wort. Mit ihr auf dem Panel beim Produzent*innentag (von links): Frank Holderied (Red Bull Media House), Frank Jastfelder (Sky), John Lueftner (Superfilm), Klaus Lintschinger (ORF) und Tanja Hüther (ARD/BR).
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Matthias Lorenz ist bei A1 Chief Officer für Transformation, Märkte und auch für Werbung. Und A1 ist einer der größten Werber im österreichischen Fernsehen. Lorenz dürfte aber nicht allein mit Talk of Town zu überzeugen sein. "Wir schichten jedes Jahr Budgets um von Fernsehen zu Online", sagt Lorenz. Schafft es Fernsehen nicht, die Werbelogik des Netzes, Werbung direkt zu adressieren, sieht Lorenz eher dunkelgrau für die Buchungslage: "Das klassische Fernsehen wird dann überleben, wenn es schafft, werbetechnisch in das Internetformat hineinzumigrieren." Diese Internetlogik für das Fernsehen ermöglicht IP-basiertes Fernsehen – wie zum Beispiel im Angebot von A1. Adressable TV heißt das Branchenstichwort dazu.

Europäisches Abo-Schlusslicht

Lorenz macht mit der Ernüchterung gleich weiter bei den Streamingangeboten von Amazon Prime über Netflix bis zur Sportstreamingplattform Dazn und Sky. A1 befragt regelmäßig 2.000 Userinnen und User, analysiert den Markt und die Nutzung von Bandbreite sehr genau. Viel will Lorenz nicht ausplaudern aus der internen Marktforschung. Aber aus dem Vergleich mit den Daten anderer Telekomgrößen kann er sagen: "In Österreich ist bei Streamingabos noch viel Luft nach oben. Wir haben hier die niedrigste Aboquote in Europa." Wer in Österreich mit einem TV-Abomodell starten will, dem wünscht Lorenz "nur alles Gute". Der ORF hat das ab 2016 mit dem Film- und Serienportal Flimmit kommerziell wenig erfolgreich versucht.

Rund zehn Prozent der österreichischen Haushalte hätten ein Sportstreamingabo, präzisieren will er das auf Nachfrage nicht. Ab hier betreten wir das Feld der Spekulation: Lorenz dürfte das mit Sky kalkulieren – rund 400.000 Abos könnte das bedeuten. Die Fiction-Streamingangebote Amazon Prime Video und Netflix dürften darüber liegen und Platz eins an Amazon Prime gehen. Bei dem Kombi-Aboangebot aus Zustellvorteilen und Videoplattform ist allerdings noch schwerer herauszufinden, wie viele den Video-Teil davon nutzen. "Sechsstellig, und das nicht niedrig", so viel lässt sich Lorenz dann doch noch zu Streamingabozahlen entlocken.

Google oder Amazon

Die weitaus größte Bandbreite aber unter allen Streamingdiensten braucht Youtube. Da wären wir wieder bei Google. In den USA produziert der Konzern mit dem weltgrößten Werbeumsatz Content für eine Bezahlvariante. "Gefühlt nicht ganz so erfolgreich wie Netflix", scherzt Lorenz, "aber Youtube frisst einfach auf der Free-TV-Seite die Werbeerlöse auf. Das ist ein anderes Geschäftsmodell."

"Im Produktionsmarkt ist wahnsinnig Geld, das aus Marketingbudgets, über die Telkos und andere Quellen in den Markt gespült wird": Moritz von Kruedener (Beta Film) am Mikro. Mit ihm im am Streaming-Panel des Produzent*innentags (von links): Oliver Stribl (RTR), Matthias Lorenz (A1), Katharina Hiersemenzel (Netflix), Heinrich Ambrosch (Satel) und Irina Ignatiew-Lemke (Magenta / Boxworks Media).
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A1-Manager Lorenz prognostiziert schon in den nächsten vier bis sechs Jahren eine Entscheidung über die TV-Zukunft. Und die wird sich aus seiner Sicht unter zwei ganz großen Playern entscheiden: Google und Amazon, "die mit einer unfassbaren Macht und einem unfassbaren Investment in das Geschäft reingehen". Kernfrage für ihn ist nur noch: "Setzt sich einer von beiden durch, oder gibt es ein Mischmodell?"

Das Schöne am Streaming

Das Schöne an Netflix und Co für das Fernsehen, benennt Heinrich Ambrosch (Satel Film): "Plötzlich haben private Anbieter geschafft, dass es wieder um Inhalte geht und nicht um die Einschaltquote." Natürlich müssten sie damit bestimmte Zielgruppen erreichen – "aber nicht alle. Wenn ich zwischen zwölf und 59 Jahren alle um 20.15 Uhr erreichen muss, dann findet natürlich eine gewisse Verflachung statt."

John Lueftner, Geschäftsführer und Gesellschafter der Wiener Produktion Superfilm, würde – jedenfalls für den österreichischen Markt – nicht auf Streamingplattformen als tragfähige Auftraggeber wetten: "Wir werden nicht überschwemmt werden mit Streamingproduktionen." "Freud" (Satel/Netflix/ORF) sei eine Leuchtturmproduktion, eine Ausnahmeerscheinung für den österreichischen Markt.

Jeder macht Serie

"Das dritte goldene Zeitalter des Fernsehens" nannte der Branchenverband AAFP seine Tagung mit Blick auf die Nachfrage nach Inhalten für TV und Streaming. Frank Jastfelder verantwortet bei Sky die Entwicklung und Produktion aller fiktionalen Produktionen, etwa "Das Boot", "Der Pass" und "Acht Tage". Für ihn hat dieses "goldene Zeitalter" seinen Höhepunkt schon überschritten, er spricht vom "absteigenden Ast": "Jeder macht Serie, weil auch der Letzte begriffen hat, dass das toll ist. Nur das Format Serie als solches sagt qualitativ nichts aus. Das ist kein Allheilmittel. Ich bezweifle, dass das bei vielen Playern von Nachhaltigkeit geprägt ist. Alles andere als Fiction ist viel, viel günstiger. Und das Scheitern ist immanent. Keiner hat die Erfolgsformel." In den USA stiegen kleinere Anbieter schon etwa auf Dokutainment um.

Geld im Markt

Möge die überaus serielle Gegenwart so lange wie möglich anhalten, wünscht sich naturgemäß Moritz von Kruedener, Managing Director des deutschen Produktions- und Rechteriesen Beta Film ("Maria Theresia", "Sacher"): "Schön wäre, wenn das Modell möglichst lange anhalten würde, in dem Geld von außen in den Markt kommt, das nicht durch die eigentliche Nutzung generiert wird. Im Produktionsmarkt ist wahnsinnig Geld, das aus Marketingbudgets, über die Telkos und andere Quellen in den Markt gespült wird. Wenn das möglichst lange anhält und Leute auch für Inhalte Geld ausgeben, die nicht zwangsläufig auch konsumiert werden, dann ist das nicht so schlecht."

Beta Film produziert derzeit in einem Joint Venture mit Red Bull "Das Netz" – ein Fußball-Krimi-Paket von rund um die Welt verteilten regionalen Serien, die miteinander verwoben werden. Mastermind: der ehemalige Burgtheater-Chef und Servus-Programmdirektor Matthias Hartmann.

Nebenbei Energy Drink

Und wo sieht Frank Holderied, Leiter strategische Programmplanung, Programmeinkauf, fiktionale Eigenproduktion beim Red Bull Media House, die Zukunft seines Senders? "Man muss Verbindlichkeiten schaffen, gesichtslose Abspielkanäle werden es schwer haben. Ob man es mag oder nicht, es wird jeder ein Bild von Servus TV haben – das wird entscheidend sein."

Und in Zeiten knapper TV-Werbeerlöse "muss man auf Diversifikation setzen. Nur zu hoffen, es wird aus Werbemitteln genügend Geld da sein, das wird sich nicht mehr ausgehen." Plattformen, Aggregatoren, Kooperationen, Pay-Modelle – es brauche "neue Lösungen" für das Problem. Holderied: "Wir verkaufen jetzt mal nebenbei Energydrinks. Das hat sich als durchaus lukrativ herausgestellt." (fid, 29.11.2019)