Bastian Obermayer (links) leitet das Investigativressort der "Süddeutschen Zeitung" und Frederik Obermaier ist Leitender Redakteur des Ressorts. Beide sind Mitglied des International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).

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In "Ibiza-Affäre: Innenansichten eines Skandals" geben Obermaier und Obermayer Einblicke in ihre Recherchen, die zur Veröffentlichung des Videos führten. Das Buch erschien im August 2019.

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Wien – "Ein Hotel irgendwo in Deutschland, Sommer 2018, abends." Mit diesem Satz beginnen Frederik Obermaier und Bastian Obermayer in ihrem Buch "Die Ibiza-Affäre: Innenansichten eines Skandals" penibel zu rekonstruieren, wie sie an das Videomaterial gekommen sind, das im Mai die türkis-blaue Regierung implodieren ließ und die politische Landkarte Österreichs nachhaltig verändern sollte. Im Interview mit dem STANDARD spricht Obermaier, einer der beiden Ibiza-Aufdeckerjournalisten der "Süddeutschen Zeitung", über das Video im Speziellen und Enthüllungsjournalismus im Allgemeinen.

Ab Montag sind Obermaier und Obermayer an drei Terminen zu Gast im Audimax der Universität Wien, um im Rahmen der Theodor-Herzl-Dozentur für Poetik des Journalismus über Enthüllungsjournalismus zu reden. Zu erzählen haben sie viel: Von den Panama-Papers über die Paradise-Papers bis zu den jüngsten Recherchen über Internierungslager in China waren die beiden Journalisten federführend an der Aufdeckung zahlreicher Skandale der letzten Jahre beteiligt.

STANDARD: Sie haben vor gut sechs Monaten mit der Veröffentlichung des Ibiza-Videos die politische Landkarte in Österreich nachhaltig verändert und die Regierung gesprengt. Und dennoch gibt es Spekulationen, dass Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ein politisches Comeback feiern könnte. Haben Sie das für möglich gehalten?

Obermaier: Zunächst würde ich gerne festhalten, dass nicht wir, die "Süddeutsche Zeitung" oder der "Spiegel", die Regierung gesprengt haben. In meinen Augen hat das Herr Strache schon selbst getan mit dem, was er und Johann Gudenus in Ibiza gesagt haben. Aber: Dass eine Rückkehr so schnell nach diesem Abtritt kommen könnte, hätte ich nicht gedacht. Dass er es versuchen würde, sehr wohl, aber dass es gelingen kann, da wäre ich skeptisch gewesen. Einfach weil die Dinge, die das Ibiza-Video ans Tageslicht gebracht hat, so schwerwiegend sind, dass ich nicht davon ausgegangen bin, dass der Rückhalt in Österreich danach groß ist.

STANDARD: Die Ermittlungen gegen die Drahtzieher des Ibiza-Videos nehmen immer mehr Fahrt auf. Drei mutmaßlich Involvierte sitzen in Untersuchungshaft. Nicht wenige meinen und kritisieren, dass Sie sich zum Handlanger von Kriminellen gemacht haben. Was sagen Sie dazu?

Obermaier: Zunächst einmal: Ich möchte mich nicht an Spekulationen über tatsächliche oder vermeintliche Hintermänner beteiligen. Für mich sind die Personen, die uns das Video zugespielt haben, Menschen, denen die Gesellschaft viel verdankt. Wenn uns das Video nicht zugespielt worden wäre, hätte die österreichische Öffentlichkeit vermutlich nie erfahren, welche korrupten Deals der Vizekanzler und sein Vertrauter Gudenus in Aussicht stellen, wenn sie sich unbeobachtet fühlen.

Ich beobachte mit großem Staunen, wie sehr sich einige österreichische Medien an einer Berichterstattung beteiligen, die den ganz klaren Spin einer politischen Richtung trägt. Da werden Sachen, die als unbestätigte Gerüchte kursieren, als Quasi-Tatsachen verbreitet. Entscheidend ist doch, dass zwei hochrangige österreichische Politiker, einer davon wurde Vizekanzler, sich gegenüber Korruption oder korruptem Handeln offen zeigen. Dass sie von verdeckten Spenden vorbei am Rechnungshof sprechen und auch noch Namen nennen. Dass sie das österreichische Mediensystem nach Orbáns Vorbild umbauen wollen – auf Kosten der Pressefreiheit. Das ist die wahre und wichtige Geschichte.

STANDARD: Und die wurde Ihrer Meinung nach zu sehr aus den Augen verloren, da sich der Fokus in Richtung der Hintermänner des Videos verlagert hat?

Obermaier: Ich will das gar nicht werten, aber es ist leider typisch, dass nach einer Enthüllung die Jagd auf Informanten und Whistleblower beginnt. Sie werden in der Öffentlichkeit schlechtgemacht, und dadurch gerät dann leider schnell in Vergessenheit, was die eigentliche Enthüllung ist. Und im Zentrum der Enthüllung stehen hier nun mal Herr Strache und Herr Gudenus.

STANDARD: Von Strache bis zur Staatsanwaltschaft fordern nach wie vor viele von Ihnen, dass Sie das gesamte Videomaterial herausgeben. Das wird aber unter Berufung auf das Redaktionsgeheimnis nicht passieren, oder?

Obermaier: Nein, wir stehen zu unserer Entscheidung. Wir sind in einer interessanten Situation: Herr Strache behauptet, dass er gerne eine Veröffentlichung hätte. Herr Gudenus, der auch auf dem Video zu sehen ist, will gleichzeitig rechtlich verhindern, dass auch nur ein weiteres Schnipsel veröffentlicht wird. Und rechtlich ist die Lage so, dass wir es gar nicht in voller Länge veröffentlichen dürfen. Und es wäre auch nicht in Ordnung, zum Beispiel die Teile des Videos zu veröffentlichen, in denen Strache und Gudenus unbestätigte Gerüchte über andere Personen aus Österreich verbreiten. Nein: Wir haben beschrieben, was in diesem Video vorkommt, und wir haben einen Anwalt, der unabhängig bezeugen kann, dass alle Zitate unserer Berichterstattung genauso auf dem Video zu hören sind. Es ist unbestritten, was Strache auf Ibiza sagt. Selbst er bestreitet es nicht wirklich – er behauptet vielmehr, sich nicht erinnern zu können. Eine "bsoffene Gschicht" halt.

Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus im Ibiza-Video – hier geht es um die "Kronen Zeitung", die ganz auf FPÖ-Linie gebracht werden sollte.
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STANDARD: Strache sagt, dass diese sieben Videominuten nicht repräsentativ sind für die sieben Stunden, die er und Gudenus in der Villa verbracht haben.

Obermaier: Das Gegenteil ist richtig: Diese sieben Minuten geben die Hauptthemen wieder, um die es ging, immer und immer wieder, und die sieben Minuten sind eindeutig. Wenn jemand solche korrupten Praktiken in Aussicht stellt, dann weiß ich nicht, was die Leute glauben, was in dem Rest des Videos vorkommt. Zumal mein Kollege Bastian Obermayer und ich – sofern von öffentlichem Interesse – in unserem Buch genau beschrieben haben, was in den übrigen Stunden geschehen ist und gesagt wurde. Zusammengefasst: Es war eine mehrstündige Verhandlung darüber, wie die angebliche Russin ihre angebliche Viertelmilliarde Euro so in Österreich anlegen könnte, dass sie und die FPÖ etwas davon hätten.

STANDARD: Es geht auch um Gerüchte, die gestreut werden: Ex-Kanzler Christian Kern hat etwa wegen der Südafrika-Geschichte bereits geklagt, dass es Belege für sexuelle Handlungen mit Minderjährigen in Afrika geben soll. Das kann auch nicht im Sinne von Strache sein, dass das publik wird, sollte man meinen.

Obermaier: Solche Gerüchte haben in der Öffentlichkeit nichts zu suchen. Sie haben Herrn Kern angesprochen, das ist ja mittlerweile öffentlich, deswegen kann ich auch darüber sprechen: Herr Kern sagt glaubwürdig, dass er noch niemals in Südafrika war. Warum sollten solche Passagen ähnlicher Natur in die Öffentlichkeit? Außerdem: Herr Strache war anwesend. Er weiß oder sollte zumindest wissen, was besprochen wurde. Und Herr Gudenus war ja auch danach in Kontakt mit dem männlichen Protagonisten. Er hat sich erwiesenermaßen noch mit dem Mann getroffen und die Aussendung einer vorher abgestimmten Pressemitteilung vereinbart – als Signal, noch an dem Deal mit der vermeintlichen Russin interessiert zu sein.

STANDARD: Auch deswegen ärgert Sie der Fokus auf die Hintergründe?

Obermaier: Mir ist klar, dass die Hintergründe interessant und in Teilen auch berichtenswert sind, wir werden uns aber nicht an Spekulationen beteiligen. Und eines sollten wir alle nicht vergessen: Erst durch das Ibiza-Video konnten Österreichs Wählerinnen und Wähler auch eine informierte Entscheidung bei der Wahl treffen und können es auch künftig tun. Auch etliche Ermittlungen – sei es zu Parteispenden oder der Casinos-Austria-Affäre – sind durch das Ibiza-Video erst losgetreten worden.

STANDARD: Strache hat Sie erst am Wochenende frontal angegriffen und geschrieben, dass die "Journalisten der 'SZ' und des 'Spiegel' in dem Fall mit investigativem Journalismus so viel zu tun haben wie der IS oder die Taliban mit Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Liberalität". Tangiert Sie so etwas?

Obermaier: Wir reden über die Äußerung eines Politikers, der über seine Äußerungen gestürzt ist und gegen den ermittelt wird aufgrund einer Recherche, die wir geführt haben. Dass er darüber nicht glücklich ist, ist absolut nachvollziehbar. Dass er uns attackiert und beschimpft, das ist eben sein Stil, aber nicht unserer. Für ein Urteil über unsere Arbeit braucht die Öffentlichkeit keinen H.-C. Strache. Jede Leserin und jeder Leser kann sich ein eigenes Bild von dem Journalismus machen, den wir bei der "Süddeutschen Zeitung" machen. Wenn ich auf die letzten Jahre zurückblicke: Wir haben die Panama-Papers enthüllt, die Paradise-Papers, die Ibiza-Affäre, und gerade berichten wir über das Ausmaß der Internierungslager in China. Für uns zählt das Kriterium des öffentlichen Interesses und nicht, ob es Herrn Strache gefällt.

STANDARD: Sie haben sich mit der Enthüllung auch viele Feinde gemacht, etwa innerhalb der FPÖ-Wählerschaft und der Strache-Fans. Gab es in den letzten Monaten auch Drohungen, mit denen Sie konfrontiert waren?

Obermaier: Es gab verbale Ausfälle. Ich merke, dass der Ton in dieser Debatte in Österreich um einiges rauer ist, als ich es gewohnt bin. Unser Kollege vom "Spiegel", Martin Knobbe, hat sogar eine Morddrohung bekommen. Es wäre mir sehr daran gelegen, dass sich alles ein wenig runterkühlt.

STANDARD: Runterkühlen und weiterermitteln.

Obermaier: Jetzt ist es an der Zeit zu schauen, was Strache und Gudenus auf Ibiza von sich gegeben haben und welche Indizien es darüber hinaus gibt. Was findet die Staatsanwaltschaft heraus? Und welche anderen Quellen und Informanten gibt es noch, die sich vielleicht jetzt berufen fühlen, weitere Stücke in dieses Puzzle einzufügen und der Öffentlichkeit Dokumente zuzuspielen. Hier handelt es sich um eine Staatsaffäre, die aufgeklärt gehört. Das ist Behördensache, aber nicht nur. Auch wir Journalisten sollten weiterrecherchieren, aber dafür ist es wichtig, den Tonfall runterzuschrauben und mehr über die Fakten zu berichten und Behauptungen auch zu überprüfen, anstatt sie weiterzuerzählen.

STANDARD: Ein juristischer Nebenschauplatz ist der "Schneebrunzer"-Prozess im Zusammenhang mit "Österreich"-Herausgeber Wolfgang Fellner, der die Gratiszeitung "Heute" geklagt hat. Dieser Sager Straches war zwar nicht im Video, ist aber an die Öffentlichkeit gekommen.

Obermaier: Wir haben in unserem Buch beschrieben, was gesagt wurde. Und wir stehen zu dem, was wir geschrieben haben. Punkt. Mehr würden wir auch vor Gericht nicht sagen.

STANDARD: Sie sind trotz Vorladung nicht vor Gericht erschienen, um als Zeuge auszusagen. Warum nicht?

Obermaier: Wir waren in den letzten Wochen viel unterwegs, einige Briefe haben uns da erst spät erreicht. Für mich ist noch immer zentral, was Strache und Gudenus in der Ibiza-Villa gesagt haben. Mein Kollege Bastian Obermayer und ich wollen eine Aufklärung in einem Gerichtsverfahren in Österreich keinesfalls behindern oder verlangsamen, aber diese Schneebrunzer-Sache ist so eindeutig: Man könnte das mit einem Telefonat oder einem Brief ganz schnell beenden. Dafür brauchen wir nicht nach Wien reisen.

STANDARD: Von den Panama-Papers bis zur jüngsten Enthüllung über Internierungslager in China: Sie haben schon sehr viele Skandale aufgedeckt. Wo reiht sich das Ibiza-Video ein?

Obermaier: Es war schon eine unserer wichtigsten Recherchen und eine der schwersten. Es hat lange gedauert, technisch war es kompliziert, und es war abzusehen, dass wir massiven Gegenwind aus dem Strache-Lager bekommen würden – der Druck war also hoch. Aber dass jemand meine Arbeit kritisiert, aus welcher Motivation auch immer, damit kann und muss ich leben. Was ich aber nicht akzeptieren werde, ist, verleumdet oder bedroht zu werden. Dagegen gehe ich vor.

STANDARD: Kommt es häufig vor, dass Sie mit Klagen reagieren?

Obermaier: Wenn ich bedroht werde, dann werde ich nicht zögern, das zur Anzeige zu bringen. Bei Verleumdungen stellt sich immer die Frage, ob es das wert ist oder der Öffentlichkeit ohnehin klar ist, welcher Schwachsinn da verbreitet wird. Manchmal ist es auch zu viel der Ehre für den Verleumder. Ich denke, dass es Millionen Bürgerinnen und Bürger gibt, die den wahren Hintergrund und die Motivation der Verleumdungen gut und richtig einschätzen können.

STANDARD: Wohin geht die Reise im Investigativjournalismus? Immer mehr weg vom Einzelkämpfertum in Richtung kollektiver Recherche?

Obermaier: Wir sind bereits mitten in der Bewegung. Die Zeiten vom Einzelkämpfer in seinem Kämmerchen, der auf Teufel komm raus versucht, alles alleine zu lösen, sind vorbei. Die Zukunft liegt in der Kooperation. Wir alle merken, dass wir gemeinsam besser sind und den Leserinnen und Lesern einen viel detaillierteren Journalismus liefern. Wir sind schneller, und natürlich, das muss man in diesen Zeiten leider auch sagen: So eine Kooperation in der Gruppe bietet auch Schutz. Wir leben ja leider in einer Zeit, in der Journalisten auch in der EU umgebracht werden, zuletzt etwa in Malta und der Slowakei.

STANDARD: Das muss gerade für die Arbeit von Investigativjournalisten sehr besorgniserregend sein. Wer trägt die Verantwortung?

Obermaier: Wenn Politiker öffentlich über Journalisten in einer Art herziehen, dass es nur mehr darum geht, zu hetzen und Hass zu schüren, dann könnten sich davon Menschen auch ermutigt fühlen. Das sehen wir in den Vereinigten Staaten bedauerlicherweise schon sehr, sehr stark. Das muss man immer im Hinterkopf haben. Politiker haben hier eine ganz große Verantwortung, verbal nicht den Boden für Hass zu bereiten. Im Zweifel schlägt der auch schnell in Gewalt gegen Journalisten oder andere Personen um.

STANDARD: Eine Entwicklung, die nicht vor Europa haltmacht, siehe Slowakei, Malta, Ungarn. Aber auch in Österreich wird die Pressefreiheit attackiert.

Obermaier: In Malta und der Slowakei sind zwei Menschen, die investigativ gearbeitet haben, kaltblütig ermordet worden. In vielen europäischen Ländern wird die Pressefreiheit eingeschränkt. Ein schreckliches und abschreckendes Beispiel ist Ungarn. Auch da muss man sich erinnern und auf den Kern der Ibiza-Affäre besinnen: In Ungarn wurde die Pressefreiheit in den vergangen Jahren radikal eingeschränkt. Ungarn ist aber auch das Land, das Herr Strache als Vorbild hat. Er will eine Presselandschaft wie in Ungarn, hat er auf Ibiza gesagt. Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem die Pressefreiheit beschränkt wird. Denn das heißt, dass auch die Demokratie beschnitten ist.

STANDARD: Wird Ihr Job schwieriger? Die Presseabteilungen werden aufgestockt, die Ressourcen für Journalismus werden tendenziell weniger und nicht mehr.

Obermaier: Gelegentlich ärgert mich das, aber ich sehe, wie viele Medienhäuser sich in Deutschland, Österreich und rund um den ganzen Globus auf investigativen Journalismus fokussieren, selbst wenn sie in anderen Bereichen sparen müssen. Es gibt über Ländergrenzen hinweg fantastische Rechercheprojekte, das macht mir Mut.

STANDARD: Sie recherchieren und veröffentlichen viel im Umfeld von großen Konzernen, Politikern oder jetzt der chinesischen Regierung. Haben Sie Angst, dass Ihnen etwas passieren könnte?

Obermaier: Angst wäre zu viel, aber ich mache mir mehr Gedanken über Sicherheitsvorkehrungen als noch vor fünf Jahren vor den Panama-Papers.

STANDARD: Spüren Sie Genugtuung, wenn wieder einmal jemand über Ihre Recherchen stolpert und zum Beispiel zurücktreten muss?

Obermaier: Unsere Aufgabe ist es, zu berichten und Missstände öffentlich zu machen. Die Entscheidung, was das für Folgen hat, obliegt dann den Behörden sowie den Bürgerinnen und Bürgern. (Oliver Mark, 30.11.2019)