29. Dezember 2018: Sturz von Daniel Hemetsberger in Bormio, im linken Knie reißen vorderes Kreuz-, Innenband, Meniskus.

Foto: APA/EXPA/ JOHANN GRODER

Schröcksnadel will "die richtigen Schlüsse ziehen".

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Hoser kann "nicht ad ultimo operieren".

Foto: APA/EXPA/JOHANN GRODER

Unfälle sind sein Spezialgebiet. Sagt Peter Schröcksnadel, der seit 1990 Präsident des Österreichischen Skiverbands (ÖSV) ist. Seit 1993, erklärt Schröcksnadel (78) dem STANDARD, führt der ÖSV eine Unfallstatistik, er nennt sie "eines meiner Steckenpferde". In den vergangenen zwei Jahren wirft die Statistik eine Vielzahl schwerer Knieverletzungen aus, in den meisten Fällen handelt es sich um Kreuzbandrisse. Im ÖSV-Weltcupteam hat es seit Anfang 2018 gezählte 16-mal quasi diesen Schnalzer gemacht. Wobei Schröcksnadel bestreiten würde, dass Österreich besonders anfällig wäre. "Andere verletzen sich genauso oft. Wir haben halt die größten Teams, deshalb haben wir auch die meisten Verletzten."

Die Häufung von Kreuzbandrissen führt der ÖSV-Präsident auf mehrere Ursachen zurück. "Ein Faktor kann sein, dass die Leute nach Verletzungen zu früh zurückkehren. Nach einem Kreuzbandriss braucht man normal ein Jahr. Wer früher wieder einsteigt, hat ein erhöhtes Risiko, sich wieder zu verletzen." Die Tirolerin Stephanie Brunner (25) hat sich binnen nur 17 Monaten dreimal das vordere Kreuzband im linken Knie gerissen, zweimal war zusätzlich der Meniskus schwer lädiert. Die Vermutung liegt nahe, dass Brunner zu schnell wieder auf Skiern und das Knie unter zu hoher Belastung stand.

Gefordert

Schröcksnadel will "künftig darauf schauen, dass die Leute wirklich ein Jahr lang nicht starten". Der ÖSV plane deshalb eine Eingabe beim Weltverband Fis. Der Verletztenstatus soll verlängert werden, damit Läuferinnen und Läufer nach Ausfällen nicht weit in den Startlisten zurückrutschen. Darüber hinaus sieht Schröcksnadel die Coaches gefordert. "Es ist unnötig, dass im Training bis ins Flache gesprungen wird." Ein solcher Sprung hat kürzlich beim Abfahrtstraining in Colorado die Saison von Christina Ager beendet, wie schon im März riss der Tirolerin das vordere Kreuzband im rechten Knie.

In der Privatklinik Hochrum bei Innsbruck ist ein Team um Christian Hoser und Christian Fink auf schwere Knieverletzungen spezialisiert. Dort kommen auch fast alle ÖSV-Verletzten unters Messer. Auffällig ist, dass in zwei von drei Fällen Rennläuferinnen auf dem OP-Tisch liegen. Hoser sagt, die höhere Verletzungsanfälligkeit bei Frauen sei in vielen Sportarten gegeben, etwa auch im Fußball, Handball, Basketball oder Rugby. Die Belastungen etwa bei einem Sturz oder Zusammenprall sind hoch, die körperlichen Voraussetzungen aber nur schwer vergleichbar.

In dem Zusammenhang merkt Schröcksnadel an, "dass der Riesenslalomski der Frauen wie bei den Männern einen Radius von dreißig Metern hat". Bei den Männern habe man den Radius von 35 auf 30 Meter reduziert, bei den Frauen nichts verändert. Schröcksnadel: "Aber Gender-Equity bringt da nichts. Frauen haben einen anderen Körperbau und sind im Durchschnitt zwanzig Kilo leichter. Ein 26-Meter-Radius wäre gut." Auch diesbezüglich will der ÖSV-Präsident bei der Fis etwas ausrichten. Vielleicht findet er Gehör, immerhin sitzt er seit vielen Jahren selbst im Fis-Vorstand. Schröcksnadel: "Wir haben seit 2002 eine elektronische Datenbank und seit zehn Jahren jeden Unfall auf Video. Wir müssen nur die richtigen Schlüsse ziehen."

Auf Variabilität trainieren

Kürzlich plädierte Christian Mitter, Cheftrainer der ÖSV-Damen, für weniger Stangentraining und mehr freies Fahren. "Sage ich seit Jahren", sagt Schröcksnadel. "Wer nur Stangen fährt, trainiert nur bestimmte Muskeln. Man muss auch Tiefschnee fahren, Bruchharsch, was weiß ich. So wird der Körper auf Variabilität trainiert."

Christian Hoser und seine Kollegen in Hochrum haben alle Hände voll zu tun. Bei vielen Unfällen wird das Kreuzband "regelrecht zerfetzt". Dann braucht es als Ersatz eine Plastik, die Ober- und Unterschenkel fest verbindet. Auch deshalb können Läuferinnen und Läufer selbst nach mehreren Operationen wieder Weltcupniveau erreichen. "Ad ultimo operieren kann man aber nicht", sagt Hoser. "Ich blicke positiv voraus", sagt Stephanie Brunner.

Der Weltcup setzt sich am Wochenende in Nordamerika fort. Die Herren fahren in Lake Louise Abfahrt und Super-G, die Damen in Killington Riesenslalom und Slalom. (Fritz Neumann, 29.11.2019)

Grafik: STANDARD