Bei der Pflege und Gesundheitsversorgung muss Wien mit steigenden Kosten rechnen, deshalb pocht Sozial- und Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) auf Reformen im Bund. Bei der Mindestsicherung hofft er auf das Verhandlungsgeschick der Grünen bei den Koalitionsgesprächen mit der ÖVP. Einmal mehr betont Hacker, das Sozialhilfegesetz von Türkis-Blau in Wien nicht umzusetzen.

"Ich habe ein tolles Ressort und spannende Aufgaben." Hacker will auch nach der Wien-Wahl Stadtrat bleiben.
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STANDARD: Das Krankenhaus Nord bereitet Ihnen weiter Probleme: Ständig gibt es neue Berichte – etwa über Wasserschäden. Wann wird es das nicht mehr geben?

Hacker: Nie. Solange die Opposition unser Gesundheitswesen krankreden will, wird es diese Meldungen geben. Faktum ist, das sind keine Bauschäden oder mangelhafte Planung, das waren alles Liefermängel und Montagemängel bei Geräten, für die die Firma haftet. Nicht ein einziger Cent wurde aufgewendet, um diese erzählten Geschichten zu sanieren. Wenn die ÖVP das weiter erzählen will, wird das vor der Wien-Wahl nicht aufhören. Auch der Energiering wird sicher wieder Thema.

STANDARD: Gibt es hier Neues zu den Regressforderungen?

Hacker: Die Rechtsabteilung verfolgt das, es ist vor Gericht. Das wird sich noch schleppen.

STANDARD: Als Sozialstadtrat verwalten Sie 40 Prozent des Wiener Budgets. Im Voranschlag für 2020 sind die Ausgaben bei Sozialem mit 2,1 Milliarden gleichbleibend. Aber vor allem die Kosten für Pflege steigen. Sind Sie dafür gewappnet?

Hacker: In der Pflege haben wir das Problem, dass wir seit Jahren auf eine klare Linie des Bundes bei der Finanzierung warten. Wir haben vor über zehn Jahren einen Pflegefonds als Provisorium geschaffen. 2021 läuft er aus. Dann gibt es ein großes schwarzes Loch. Dieses Herumdümpeln macht mich unruhig.

STANDARD: Was ist Ihr Vorschlag?

Hacker: Wir brauchen ein klares Bekenntnis dazu, dass Pflegefinanzierung nicht mehr Privatsache ist. Die ÖVP packt gerne Selbstverantwortung in nette Watte. In diesem Punkt unterscheiden wir uns, denn ich möchte die Menschen in dieser Frage nicht alleinlassen. Zudem braucht es Qualitätskontrollen bei der 24-Stunden-Pflege. Wir brauchen Stellen im ganzen Land, an die sich die Menschen wenden können und wo wirkliche Hilfe erhalten. Das müssen Einrichtungen der öffentlichen Hand sein.

STANDARD: Das kostet dann aber auch mehr.

Hacker: Das wird ein bisschen mehr kosten, es würde die Schlagkraft des Pflegesystems aber extrem erhöhen. Und die ältere Bevölkerung hat ein Recht darauf, dass der Staat Pflege und Betreuung qualitätsvoll garantiert. Insgesamt hat Pflege einen Umsatz von fünf Milliarden in ganz Österreich. Unser Problem ist, dass wir nicht treffsicher sind. Es gibt eine hohe Zahl unbetreuter Pflegefälle, das erleben wir in Wien immer wieder. Ich befürchte, dass die Zahl der pflegenden Angehörigen dramatisch niedriger ist, als die vom Bund kommunizierten Zahlen darstellen.

STANDARD: Wie weit sind Sie bei der Entwicklung neuer Betreuungskonzepte oder Rekrutierung von Pflegepersonal?

Hacker: Die 24-Stunden-Betreuung soll auch als Acht- oder Zehnstundenmodell existieren, um berufstätige Pflegende zu entlasten. Es gibt einen Versuch in Wien, den wir zum Regelbetrieb machen wollen.

STANDARD: Vor allem die Personalfrage ist zentral, bis 2030 braucht es 9000 zusätzliche Kräfte.

Hacker: Jede Branche klagt über Fachkräftemangel, weil die Babyboomer in Pension gehen, auch in der Pflege haben wir das Problem. Wir brauchen mehr Ausbildungsplätze, konkret in Fachhochschulen. Parallel dazu müssen wir schauen, welche anderen Länder es gibt, wo es keinen Pflegekräftemangel gibt. Es gibt Länder, deren Pflegekräfte nur darauf warten, zu uns zu kommen.

STANDARD: Welche Länder sind das?

Hacker: In den 1970er-Jahren sind schon viele Philippinerinnen zu uns gekommen. Das ist wieder aktuell. Wir haben zum Beispiel guten Kontakt zur Botschafterin. Es gibt den Vorschlag, dort das Personal explizit in Fachdeutsch auszubilden. Darüber reden wir gerade. Pflege braucht einen anderen Stellenwert und ein anderes Selbstwertgefühl. Wir müssen wegkommen von dem "Frauen-Putzen-Image". Personalvertreter haben recht, wenn sie in der Öffentlichkeit jammern, manchmal übertreiben sie aber. Man darf sich dann nicht wundern, wenn viele in diesem Bereich nicht arbeiten wollen.

STANDARD: Auch die Ärzte klagen über Nachwuchsmangel. Wie steuert man gegen?

Hacker: Es ist zu simpel zu sagen, wie verdoppeln die Zahl der Ausbildungsplätze. Wir haben so viele Ärzte wie niemals in der Zweiten Republik. Es gibt ein Steuerungsproblem. Die Ärztekammer wird über die Ordnung, für die sie verantwortlich ist, nachdenken müssen.

STANDARD: Wie könnte diese Ordnung aussehen?

Hacker: Wenn wir die Ausbildungsplätze verdoppeln, haben wir doppelt so viele Privatärzte. Das kann es nicht sein. Die niedergelassenen Kassenärzte sind zu Recht verärgert, sie sind eingeengt durch einen Vertrag, wo sie sogar nachfragen müssen, ob sie ihre Ordination zwei Gassen weiter verlegen dürfen. Wenn sie Pech haben, kriegen sie ein Verbot, weil sie dann schon ihr Gebietsrayon verlassen. Jeder Private kann sich aussuchen, wo er sich niederlässt. Selbst auf derselben Stiege wie ein Kassenarzt, ohne irgendjemanden fragen zu müssen.

STANDARD: Soll man Gebiete, wo ein Kassenarzt ist, sperren? Das wird in Wien nicht einfach.

Hacker: Ja klar, und trotzdem werden Ärztekammer und Österreichische Gesundheitskasse darüber nachdenken müssen.

STANDARD: Die Reform des Krankenanstaltenverbunds wird nicht wie vorgesehen Anfang Jänner in Kraft treten.

Hacker: Ich habe nie gesagt, dass es zwingend am 1. Jänner sein muss. Präzision und Vorbereitung sind wichtiger als Geschwindigkeit. Es gibt in Wien nur eine Handvoll Leute, die wissen, welche Rechtsform der Krankenanstaltenverbund heute hat. Darum finde ich die Fragestellung für die Patienten recht irrelevant. Dann beschließen wir das eben im März-Landtag.

STANDARD: Für 30.000 Bedienstete ist es nicht relevant?

Hacker: Sie bleiben weiterhin Mitarbeiter der Stadt. Aber derzeit ist es so, dass wenn eine Mitarbeiterin des KAV beschließt, ein Jahr später in Pension zu gehen, ihr Akt auf meinen Tisch kommt. Dann genehmige ich, dass sie länger bleiben kann. Das halte ich für unnötig, weil es viel zu lange dauert.

STANDARD: Was ist dann relevant?

Hacker: Eine Reform muss sich um Inhalte drehen. In den vergangenen Jahren haben wir viele Schritte gesetzt, wie die zentrale Geburtenanmeldestelle. Davor haben sich die Leute an mehreren Orten angemeldet. Der Effekt war: Die Zahl der Anmeldungen ist ins Uferlose hinaufgeschnellt. Die No-Show-Rate war hoch. Wir wussten, dass nur etwa 30 Prozent der Angemeldeten auch erscheinen, aber nicht wo. Daraus ist Chaos entstanden. Jetzt wissen alle, wo sie ihr Buzerl auf die Welt bringen können.

STANDARD: Gibt es eine erste Bilanz der zentralen Geburtenanmeldung?

Hacker: Die Bilanz ist sensationell. Wir hatten bisher 8466 Anmeldungen. Neun von zehn Frauen entbinden in ihrem Wunschkrankenhaus.

STANDARD: Wien will das neue Sozialhilfegesetz nicht umsetzen. Was sagen Sie zur Drohung, dass es Finanzausgleichskürzungen geben wird?

Hacker: Das ist politisches Alltagsgetöse. Die Finanzausgleichsverhandlungen sind nicht der Ort, wo wir Länder uns vom Bund Befehle abholen. Das Interessante ist nicht, was am Anfang gebrüllt wird, sondern was am Ende herauskommt. Jetzt schauen wir mal, was beim Verfassungsgerichtshof rauskommt.

STANDARD: Die Mindestsicherung könnte bei den Koalitionsverhandlungen im Bund ein Knackpunkt sein. Was erwarten Sie sich?

Hacker: Wenn die Grünen sich nicht durchsetzen, gehe ich noch entspannter in den Wiener Wahlkampf. Sie müssen sich durchsetzen, alles andere wäre dramatisch inakzeptabel. Auch muss man die ÖVP daran erinnern, dass sie gerne christlich-sozial sein will. Das sehen in den westlichen Bundesländern die ÖVP-Verantwortlichen sehr klar. Die haben ein ganz anderes Verständnis als dieser junge elegante Bundeskanzler.

"Das Interessante ist nicht, was am Anfang gebrüllt wird, sondern was am Ende herauskommt", sagt Hacker. Über die Finanzausgleichsverhandlungen macht er sich keine Sorgen.
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STANDARD: Jüngste Wahlergebnisse zeigen die Krise der SPÖ. Wie schafft die Partei den Turnaround?

Hacker: Die Menschen erwarten sich von der Sozialdemokratie keine Sonntagsreden, sondern Wirkung und dass wir Gestaltungskraft zeigen. Die Leute müssen spüren, warum wir im Rathaus sitzen.

STANDARD: Warum gelingt das der Bundes-SPÖ nicht?

Hacker: Das weiß ich nicht. Ich habe so ein tolles Ressort und spannende Aufgaben. Ich will mir nicht ständig den Kopf über andere zerbrechen. Natürlich finde ich weder die Wahlergebnisse noch unsere Performance gerade prickelnd. Wir sind im Augenblick nicht gut.

STANDARD:Wann wird in Wien gewählt?

Hacker: Wenn es nach mir geht, im Herbst. Die Leute erwarten, dass wir unseren Job machen und so lange hackeln, wie es vorgesehen ist. Und nicht, weil grad die Sonne scheint, eine Wahl abhalten.

STANDARD: Für den steirischen Landeshauptmann hat das aber funktioniert.

Hacker: Eh. Ich bin kein großer Parteitaktiker. Es gibt noch große Fragezeichen, wie es im Bund weitergeht. Es wäre unseriös zu sagen, es ist 100-prozentig fix, dass wir im Herbst wählen, aber die Stadtregierung ist dafür. (Oona Kroisleitner, Rosa Winkler-Hermaden, 28.11.2018)