Foto: gerald zhang schmidt

Als ich das erste Mal richtigen Sichuanpfeffer aß, war ich kurz ziemlich überzeugt, dass jemand versucht hatte, mich zu vergiften. Es war mein erster Abend in China, die Australierin und ich waren gerade in Kunming gelandet, der Hauptstadt der Provinz Yunnan im Südwesten des Landes. Bei unserem Abendspaziergang durch die fremde Welt hatte ich mir gierig am erstbesten Stand einen Spieß frittierten Tofu gekauft – und war nach dem ersten Bissen überzeugt, dass mit dem Zeug irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung war.

Mein Mund und meine Zunge begannen sich gleichzeitig taub anzufühlen und heftig zu prickeln, ähnlich dem Gefühl, wenn einem in der Nacht der Arm einschläft. Die ersten fünf Minuten war ich ziemlich überzeugt, an einer allergischen Reaktion zu verenden, dann begann ich, dieses einmalige Prickeln ziemlich gut zu finden.

Foto: gerald zhang schmidt

Sichuanpfeffer ist eines der wenigen Gewürze, die wirklich völlig neue Geschmackswelten erschließen. Er ist nicht scharf, sondern erinnert aromatisch eher an die Schale von Zitrusfrüchten, mit einer zart süß-säuerlichen Note. Bei guter Ware kann das betörend sein wie richtig gute Salzzitronen oder ein ganzer Sack getrockneter Orangenschale. In seinem Duft mischt sich zu den Zitrusaromen eine krautige Bitternote, die ein wenig an Hopfen oder Marihuana erinnert.

Seine herausragendste Eigenschaft ist aber das Gefühl, das er im Mund seines Essers hinterlässt: eine Taubheit, die schnell in ein belebendes Prickeln übergeht, ein Gefühl, das so einzigartig und unvergleichlich ist wie etwa Kälte, Hitze oder Chilischärfe. Die Chinesen, für die Konsistenz und Mundgefühl mindestens so wichtig sind wie Geschmack, nennen diese Sensation "ma" und zahlen gutes Geld für Sichuanpfeffer, der ganz besonders betäubend wirkt. Und wer sich einmal daran gewöhnt hat, wird schnell danach süchtig.

Bisher war richtig gute Ware in Österreich kaum zu bekommen. Höchstens schwach prickelnde, lasch aromatische Körner fristen bei uns ein trauriges Dasein im Asiashop-Regal. Jetzt könnte sich das aber dank Gerald Zhang-Schmidt endlich ändern: Der Mann bringt nämlich nicht nur regelmäßig erstklassige Qualität direkt aus China mit – er baut Sichuanpfeffer auch erfolgreich selbst in Parndorf im Burgenland an.

Foto: gerald zhang schmidt
Foto: gerald zhang schmidt

Sichuanpfeffer mag es zwar in China gebirgig – ähnlich wie Kaffee wächst er in gern in höheren Regionen und gilt als umso besser, je mehr Höhenluft er geschnuppert hat, die beste Ware gedeiht auf bis zu 2.500 Meter Höhe –, dennoch scheint ihm auch die ungarische Tiefebene zu bekommen. Vier Kilo hat der Herr Zhang heuer im Herbst geerntet und getrocknet. Sein Pfeffer ist zwar nicht ganz so ausgeprägt "ma", dafür aber sehr fein aromatisch und für Anfänger vielleicht ein besserer Einstieg als die Prickelbomben aus China. Ich habe für ein Mapo-Tofu-Event im Juli damit Wodka aromatisiert und war mit dem Ergebnis höchst zufrieden.

Daneben hat er momentan auch noch zwei ganz frisch eingeflogene Chinesen im Programm: erstens einen klassisch roten aus Maowen in Sichuan, jener Gegend, die Chinesen als die beste aller Sichuanpfeffer-Terroirs gilt.

Foto: Tobias Müller

Der Pfeffer ist so stark, dass ich ein Korn, auf dem ich neugierig zu kauen begonnen hatte, nach wenigen Sekunden wieder ausspucken musste – in einem schnellen Stir Fry aus Lamminnereien und Zwiebeln aber hat es sich, vorsichtig dosiert, hervorragend gemacht. Und zweitens einen der eher seltenen grünen Sichuanpfeffer, die meiner Meinung nach noch einmal ein Eck feiner schmecken und in China gern für Fisch verwendet werden. Dieser stammt aus den Bergen um Zhaotong in Yunnan.

Im Hintergrund der österreichische Sichuanpfeffer. Vorne der klassische rote aus Maovwen und rechts der grüne.
Foto: Tobias Müller

Außer dem Namen hat er mit Pfeffer nichts gemein, im Gegenteil ist er, wie sein Geschmack vermuten lässt, ein Verwandter der Zitrusfamilie. Er wächst zwar auch auf Bäumen beziehungsweise Sträuchern, verwendet wird aber nicht der Samen selbst, sondern die Samenhülle, die beim reifen Pfeffer aufbricht. Meist teilt sie sich in zwei Stücke, manchmal aber auch in drei, was den Chinesen wie uns das vierblättrige Kleeblatt als besonders toll gilt. Gut möglich, dass daher auch sein chinesischer Name kommt: Huajiao, Blumenpfeffer.

Foto: gerald zhang schmidt

Sichuanpfeffer wird, wie so viele Gewürze, meist erst geröstet, dann gemahlen und sowohl beim Kochen verwendet als auch wie Salz über fertige Speisen gestreut. In Sichuan, jener Provinz, die ihm seinen deutschen Namen gibt, gehört der Pfeffer zur Küchengrundausstattung, gemeinsam mit "la", scharf, bildet er den berühmten Grundgeschmack der Sichuanküche. Kaum ein frittierter Fisch, kein geschmorter Schweinebauch, kein gegrillter Tofu oder gedämpfter Hühnerfuß, der nicht mit einer Prise Sichuanpfeffer verfeinert werden würde. Mapo Tofu, der göttliche Tofu-Eintopf, ist ohne ihn undenkbar, genauso wie viele Hotspots, das chinesische Nationalgericht.

Foto: gerald zhang schmidt

In China ist er wohl seit Jahrtausenden in Verwendung und wurde als Grabbeigabe noch den Toten mitgegeben. In Japan heißt er Sansho und wird gern etwa als Ramengewürz verwendet. Und selbst in Amerika gibt es, wie es aussieht, einen wilden Verwandten, der langsam wiederentdeckt wird. In Europa tut er sich erstaunlicherweise immer noch ein bisserl schwer. Dabei muss man nur einmal guten probieren, um ihm auf ewig zu verfallen. Aber Achtung: Wer einmal angefixt ist, will immer mehr, weil Essen ohne Sichuanpfeffer schnell etwas öd und schal schmeckt. (Tobias Müller, 1.12.2019)