Stefan Weidner, "1001 Buch. Die Literaturen des Orients". 30,90 Euro / 430 Seiten. Edition Converso, 2019
Cover: Verlag

Eine Weihnachtsgeschenkempfehlung mag der falsche Ort sein, um ein Buch zum Standardwerk zu erklären. Sei’s drum: Stefan Weidners 1001 Buch. Die Literaturen des Orients wird ein unverzicht barer Begleiter für jene sein, denen nüchternes Faktenwissen über die islamisch geprägte Welt zu wenig ist.

"Wenn man verstehen will, was in Syrien, im Nahen Osten vorgeht, muss man lesen", beginnt auch das Kapitel "Ecce Homo" über die Literatur des syrischen Kriegs. Oder wer könnte den Zustand Ägyptens 2011 begreifen, ohne Chalid Chamissis Im Taxi gelesen zu haben, das Weidner als "ultimatives Buch zur ägyptischen Revolution" bezeichnet?

"Ausfransende Grenzen"

Der Autor und Übersetzer Weidner führt im Vorwort aus, warum er das verpönte Wort "Orient" mit seinen "ausfransenden Grenzen" nicht scheut: Er schätzt dessen den Blick weitendes "utopisches Potential". Der vorliegende Band beschäftigt sich mit den Literaturen der drei großen, vom Islam geprägten Sprachen Arabisch, Persisch und Türkisch, wobei Bücher vorgestellt werden, die ins Deutsche übersetzt sind (und deren Übersetzer und Übersetzerinnen von Weidner entsprechend gewürdigt werden). Dazu kommt Literatur, die von Autoren und Autorinnen mit einem biografischen Orienthintergrund bereits in westlichen Sprachen verfasst wurde.

In Anbetracht der – mit Anhang – 430 zur Verfügung stehenden Seiten scheint das Almanachvorhaben Weidners sehr ehrgeizig, das Konzept geht aber völlig auf. Das liegt nicht zuletzt an seinem lockeren, zugleich sehr engagierten Schreibstil: Das Buch ist auch als ein Stück Literaturkritik zu lesen. Weidner hat keine Angst vor Urteilen.

Nach einer Einführung ist der Band in zwei große Teile gegliedert: "Die alte Zeit" und "Die neue Zeit". Teil eins beginnt mit dem Koran: wärmste Lektüreempfehlung dieses Abschnitts für Personen, vor allem unbeleckte Politiker, die in einer einheitlichen verbindlichen deutschen Koranübersetzung den Stein des Weisen zu finden glauben.

Apropos Orient: Auch die Feststellung, wie viele Geschichten denn nun in der Tausendundeine(n) Nacht wirklich erzählt wurden, lässt sich nicht so leicht treffen, lernt man bei Weidner.

Frauen- und Männerlektüre

Und später erfährt man auch von jenem Buch, in dem Scheherazade ermordet wird, von Joumana Haddad in Wie ich Scheherazade tötete: Bekenntnisse einer zornigen arabischen Frau. Es sei erwähnt, stellvertretend für viele andere. Denn der längere Teil von Weidners Band ist der "neuen Zeit" gewidmet, die mit der "Moderne" und Nâzım Hikmet beginnt und "Nach den Revolutionen" endet.

Wobei die "Literatur von Frauen" mit einem eigenen Kapitel gewürdigt wird: Weidner verordnet dabei, dass Bücher "für Frauen", soweit es sich um solche handelt, "gerade deshalb" auch von Männern gelesen werden müssen.

Ein Abschnitt ist mit "Sex und die arabische City" übertitelt – und wenn man einige Seiten weiterliest, erfährt man, dass so ein Kapitel in Salwa Al Neimis Honigkuss heißt. Der Faden wird ständig weitergesponnen.



(Gudrun Harrer, 7.12.2019)