Kristen R. Ghodsee, "Warum Frauen im Sozialismus besseren Sex haben", 18,50 Euro / 277 Seiten. Suhrkamp, 2019
Cover: Verlag

Es war eine Kapitulation, die Anne-Marie Slaughter 2012 in The Atlantic veröffentlichte. Slaughter schmiss hin, was man eine Bilderbuchkarriere nennt. Studium in Princeton, Oxford und Harvard, später eine Leitungsfunktion im US-Außenministerium unter Hillary Clinton.

Irgendwann wollte sie sich nicht mehr abhetzen zwischen Superkarriere und Kindern, sie trat von ihrem Posten zurück und schrieb den Essay Why Women Still Can’t Have It All. Was für ein Schlag in die Magengrube des so starken liberalen US-Feminismus, der Frauen mit Rat und Tat zur Seite steht, wie sie es endlich an die Spitze schaffen.

Doch trotz dieser Eingeständnisses einer "Superfrau", dass das mit der Chancengleichheit in der freien Marktwirtschaft nichts wird, schlug die Stunde des linken Feminismus nicht. Im Gegenteil: Sharon Sandberg, inzwischen Co-Geschäftsführerin von Facebook, schrieb nur ein Jahr nach Slaughter ihr Buch Lean In, also: Hängt! Euch! Rein! – dann werde das schon mit der fairen Verteilung von Macht und Geld.

Wird es nicht, schreibt nun Kristen R. Ghodsee in ihrem Buch Warum Frauen im Sozialismus besseren Sex haben. Unter demselben fetzigen Titel veröffentlichte sie 2017 einen Beitrag in der New York Times, aus dem dieses Buch entstand und der für ziemlichen Wirbel sorgte. Kein Wunder: "Sozialismus" im Titel, verzahnt mit dem Versprechen, dass dieser den Frauen mehr brächte, nicht nur – man ahnt es – besseren Sex. Das knallt.

Horrorszenario

"Sozialismus" ist das blitzschnell skizzierte Horrorszenario, das auf zahllose Steuer- und sozialpolitische Forderungen auf dem Fuß folgt. Reiche besteuern? Du Kommunist! Mehr öffentliche Verkehrsmittel statt Straßen? Du Kommunist und bescheuerter Hipster!

So schreibt Ghodsee mit ihrem großartigen Stil aus unterhaltsamer Überspitzung, persönlichen Anekdoten und festem faktischem Fundament. Unregulierter Kapitalismus ist schlecht für Frauen, so einfach ist das, sagt Ghodsee bevor sie so richtig zur Sache und ins Detail geht, warum und überhaupt.

Mit Ostalgie hat das alles bei Ghodsee nichts zu tun, sie beschreibt auch Probleme, Brutalität und Totalitarismus in sozialistischen Ländern, ist aber überzeugt, dass man gerade deshalb politische Konzepte weiterdenken muss. Dem Kapitalismus wird das zugestanden, immerhin hat der mit Sklaverei und Kolonialismus auch ein schweres Erbe.

Gratis-Arbeitskraft

Jedenfalls wussten sozialistische Theoretikerinnen schon hundert Jahre vor Anne-Marie Slaughter, dass sich ohne kostenlose Kinderbetreuung, bezahlte Karenz und die Hälfte der Sorgearbeit für Männer einfach alles nicht ausgeht. Und bitte, das ist um Himmels willen nicht Ihre Schuld!

Der Kapitalismus mag Ihre Gratis-Arbeitskraft nun mal sehr, die alles abdeckt, was bei vollem Einsatz im Job so liegenbleibt. Warum zur Hölle für etwas zahlen, was es auch gratis gibt? Also, nach dem vorweihnachtlichem Konsumwahn und dem lähmenden feiertäglichen Festsitzen im privaten Moloch kann nur dieses Buch der linken Emanze in uns wieder auf die Sprünge helfen. (Beate Hausbichler, 9.12.2019)