Christian Brandstätter (Hrsg.), "Vienna. Portrait of a City", 50,– Euro / 532 Seiten. Taschen-Verlag, Köln 2019
Cover: Verlag

"Denn Wien ist nicht das, was man im gewöhnlichen Wortsinne eine moderne Stadt nennt. Die Seele der Stadt liegt anderswo. Im Uralten und Abseits-Verborgenen." Zu diesem Schluss kommt Franz Servales schon 1908. Ob dieses Statement heute immer noch oder nicht mehr stimmt, lässt sich tagtäglich und allnächtlich an der Oberfläche und in den Eingeweiden der Metropole im Herzen Europas überprüfen.

Hilfestellung in Bezug auf die Optik bietet hierbei ein neuer Prachtband von Christian Brandstätter. Der 1943 in Wien geborene Autor und Verleger legt uns mit Vienna – Portrait of a City nicht mehr und nicht weniger als ein Kompendium des kollektiven fotografischen Gedächtnisses der Stadt vor.

Visueller Städtetrip

Brandstätters visueller Städtetrip ist zwar streng hierarchisch nach historischen Ereignissen, Zäsuren und den dazwischenliegenden Epochen sortiert, in Wahrheit aber ergeben die gezeigten Fotografien ein Kaleidoskop unterschiedlicher gesellschaftlicher und utopischer Perspektiven.

Im Endeffekt liegt in der Gesamtschau und in der Gegenüberstellung historischer und zeitgenössischer Fotos das Ziel, die Metamorphosen der ehemals beengten Reichshauptstadt der k. u. k. Vielvölkermonarchie zum "Labor der Moderne" bis hin zur heutigen pulsierenden, lebenswerten Donaumetropole zu illustrieren.

Der manisch-obsessive Sammler, der die Welt erst letztes Jahr mit einem ultimativen Werk über das Wiener Fin de Siécle beglückt hat, und seine Co-Herausgeber haben hier eine Melange aus möglichst Unbekanntem und Exzentrischem versammelt, ohne auf Ikonen der Fotogeschichte zu verzichten.

Who’s who der Fotografen- und Fotografinnenzunft

De facto liest sich die Liste der im Fotoband Vertretenen wie ein Who’s who der Fotografen- und Fotografinnenzunft. Zu nennen gilt es die Pioniere Carl Haack, Ludwig Angerer, Andreas von Ettingshausen, Josef Löwy, Rudolf Spitaler, Otto Schmidt sowie Carl Demel, Moriz Nähr, Madame d’Orá aus der goldenen Frühzeit der Fotografie, Ikonografen wie Erich Lessing, Henri Cartier-Bresson, Franz Hubmann, Gerhard Trumler, Trude Fleischmann, der umstrittene Lothar Rübelt, Barbara Pflaum, Harry Weber, Franz Votava, William Albert Allard, Christian Skrein, Gabriela Brandenstein, bis zu Zeitgenossen wie Peter Rigaud, Didi Sattmann, Martin Parr und STANDARD-Fotoredakteur Frank Robert.

Besonderen Fokus legte der Kenner und Experte Brandstätter bei der Auswahl der Motive auf das Außenseiterische, auf soziale Milieus, auf Wiener Typen, auf das allzu Menschliche und das Besondere – abseits jeglicher Klischees. Garniert ist der großformatige Prachtband mit Texten aus den Federn heimischer Intellektueller und Flaneure.

Final kann man nur einmal mehr dem Schriftsteller und Essayisten Franz Schuh zustimmen, der da meinte: "In Wien kann man picken bleiben." Auch jenseits vom Kitsch der Lippizaner, der Cafés, der Mozartkugeln, der Schönbrunner Kapriolen und pickig-süßer Walzerfantasien vom Strauß-Schani. (Gregor Auenhammer, 14.12.2019)