Philipp Ther, "Das andere Ende der Geschichte. Über die Große Transformation". 16,50 Euro / 210 Seiten. Suhrkamp (= Edition Suhrkamp 2744), Berlin 2019
Cover: Verlag

Der in Wien lehrende Sozialhistoriker Philipp Ther hat sich in den vergangenen Jahren mit wichtigen Publikationen einen Namen gemacht. Seine Geschichte des neoliberalen Europa, Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent, wurde 2015 mit dem Sachbuchpreis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Mit Die Außenseiter lieferte er eine von der Kritik vielgelobte Sicht auf den Umgang mit dem Megathema Migration.

Thers jüngstes Buch, ein Suhrkamp-Bändchen mit dem Titel Das andere Ende der Geschichte, liefert schon im Untertitel den Hinweis auf einen Denker, dem es wesentlich verpflichtet ist: Über die Große Transformation spielt auf das Hauptwerk (The Great Transformation, 1944) des Wirtschaftshistorikers und -soziologen Karl Polanyi (1886– 964) an, in dem dieser, neuerdings wieder in aller Munde, jenseits des bloßen Marktgeschehens dem anthropologischen Bedürfnis nach (sozialer) Sicherheit und Anerkennung zu seinem Recht verhilft und ihm eine wesentliche Rolle auch in der Politik zuweist.

Folgen des Jahres 1989

In seinem fünf Kapitel (und ein Nachwort) umfassenden Essay lässt Ther die Geschehnisse und Folgen des Jahres 1989 ausschnitthaft Revue passieren: in den USA, Deutschland, Italien sowie im Verhältnis des Westens zu Russland und zur Türkei. Thers Darstellung ist exzellent und anregend.

Aus einer Fülle von Daten trifft er eine konzise Auswahl, welche es dem Leser erlaubt, die historischen Kräfte, die das späte 20. und frühe 21. Jahrhundert angetrieben haben, in ihren wechselseitigen Bezügen zu identifizieren: Finanzkrisen, Migration, Rechtspopulismus und so fort.

Sogar die Ibiza-Affäre wurde vor Redaktionsschluss noch gewissenhaft eingearbeitet, und kaum jemand würde Thers Diagnose widersprechen wollen, dass Österreich an einer "moralischen Verwässerung" laboriert.

In seine Ausführungen flicht Ther Beobachtungen und Erlebnisse aus seiner universitären Karriere und seinem Privatleben ein, wobei nicht jede Anekdote, die er preisgibt, umstandslos als Beleg für einen großen historischen Trend gelten darf. Aber sie verleihen sie dem Buch eine angenehme Leichtfüßigkeit.

Es mündet in die Mahnung, dass Populisten an der Macht vor allem eines bedeuten: verlorene Zeit. Und dass die drohende nächste Transformation – der Klimawandel – eine sein könnte, gegen die die gegenwärtige ein Kinderspiel war. (Christoph Winder, 22.12.2019)