Der Komponist Paul (Alex Brendemühl) mit seinem Sohn (Dominic Marcus Singer) Robert.

Foto: Robert Staudinger

Günter Schwaiger will mit seinem Film die vielen Klischees über Gewalt durch Männer an Frauen brechen.

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Julia Franz Richter (links) und Franziska Weisz als Lena und Irene. Die Tochter erinnert ihre Mutter immer wieder daran, was ihr Ex ihr angetan hat.

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Es ist bereits der zweite Film, den Günter Schwaiger dem Thema Gewalt gegen Frauen widmet. In der Dokumentation "Martas Koffer" (2013) ging er der Arbeit mit Gewalttätern nach und porträtierte eine Frau, die einen Mordanschlag ihres Mannes überlebt hatte und sich seit dem Ende seiner Gefängnisstrafe vor ihm verstecken musste – so wie viele andere Frauen, die die Behörden nicht ausreichend schützen. Mit "Der Taucher" widmet sich Schwaiger nun mit einem Spielfilm der Gewalt durch Männer und fokussiert vor allem darauf, wie Kinder mit dieser Gewalt umgehen.

DER STANDARD: Wenn, dann befassen sich Regisseurinnen mit dem Thema Gewalt gegen Frauen. Warum so wenige Männer?

Schwaiger: Es gibt generell sehr wenige Filme, die sich damit tiefergehend auseinandersetzen. Viele Männer glauben, wenn sie selbst nicht gewalttätig sind, geht sie das Thema nichts an. Doch gerade wir Männer müssen uns damit befassen, wir sind verantwortlich für diese Gewalt. Es ist natürlich sehr schmerzhaft. Auch ich hatte Berührungsängste, weil man schnell das Gefühl bekommt, dass man da in Abgründe blickt. Das Problem wird man aber nur lösen können, wenn wir Männer uns endlich in den Spiegel sehen – da geht kein Weg daran vorbei.

DER STANDARD: Was hat Sie letztlich bewogen, darüber Filme zu machen?

Schwaiger: Ich lebe viel in Spanien, wo die Debatte um Gewalt gegen Frauen sehr wichtig ist – vor allem seit der Einführung des Gesetzes gegen geschlechtsspezifische Gewalt im Jahr 2005, das von einer ganz starken Frauenbewegung durchgesetzt wurde und vieles verbessert hat. Gewalt gegen Frauen wird in Spanien als gesellschaftspolitisches Problem gesehen und nicht nur als eines von Randgruppen oder der Zuwanderung wie in Österreich. Schließlich war es ein Zeitungsbericht über einen sehr brutalen Mord an einer Frau, der mir den endgültigen Anstoß gab.

DER STANDARD: Wie haben Sie für "Der Taucher" recherchiert?

Schwaiger: Ich habe mich während des Schreibens immer wieder mit Fachleuten aus Österreich und Spanien ausgetauscht und danach ihre Erfahrungen und ihr Wissen eingearbeitet. Andererseits reise ich mit "Martas Koffer" noch immer um die Welt, das gibt mir die Möglichkeit, in vielen Ländern mit Betroffenen und Expertinnen zu sprechen. "Der Taucher" ist zwar Fiktion, aber es kommt nichts vor, das nicht aus der realen Erfahrung der Menschen stammt, die davon betroffen sind.

DER STANDARD: Warum stellen Sie in "Der Taucher" die Kinder in den Mittelpunkt?

Schwaiger: Seit "Martas Koffer" hat es mich sehr beschäftigt, was mit den Kindern passiert. Martas Kinder konnten in der Doku aus Sicherheitsgründen nicht vorkommen. Das Thema hat mich aber nicht mehr losgelassen: Wie geht es Kindern, die mit Gewalterfahrungen in der Familie aufwachsen müssen? Was hat das für Auswirkungen? Diese Fragen waren der Grundstock für mein Drehbuch. Wenn Kinder in der Aufarbeitung von Gewalterfahrungen keine Hilfe bekommen und es allein nicht schaffen, verinnerlichen und verdrängen sie oft die Gewalt. Das kann später ein Wiederholungsmuster auslösen, sowohl als Täter wie auch als Opfer – und die Gewaltspirale geht weiter. In Österreich werden die Kinder nicht in dem Sinne als Opfer gesehen wie in Spanien, dort haben auch sie inzwischen ein Anrecht auf Entschädigung und Therapie – sie werden vor dem Gesetz gleich wie die betroffene Frau behandelt.

DER STANDARD: War das auch Teil der Gesetzesreform in Spanien, die Sie schon angesprochen haben?

Schwaiger: Ja, das war ein zentraler Punkt. Und dass man Todesopfer von Gewalt gleichstellt mit Opfern von Terrorismus, womit zahlreiche Entschädigungen und Hilfsprogramme für die Angehörigen dazukommen. Damit hat man die Opfer von Gewalt durch Männer an Frauen mit politisch motivierter Gewalt gleichgestellt. Dass das in vielen Ländern nicht so ist, sagt viel über die dortigen Vorstellungen aus. Auch in Österreich werden viel zu oft Gewalttaten gegen Frauen als Einzelfälle bagatellisiert. Statt anzuerkennen, dass die Gesellschaft ein schwerwiegendes Problem hat, das auf den unter der Oberfläche immer noch wirkenden patriarchalen Strukturen beruht, versucht man Erklärungsmuster wie Eifersucht oder Affekthandlung vorzuschieben. Ein Mann schlägt aber eine Frau nicht, weil er eifersüchtig ist. Er misshandelt sie, weil er glaubt, sie ist sein Eigentum. Es geht hier um Macht.

DER STANDARD: Warum spielt "Der Taucher" im Künstlermilieu?

Schwaiger: Ich wollte die Klischees brechen. Die Erklärungsmuster sind oft zu einfach: Man schiebt es auf Randgruppen, auf sozial schwächere Schichten, auf den religiösen und kulturellen Hintergrund. Das gibt es aber auch in finanziell bessergestellten Schichten, nur wird es dort besser verborgen. In der Regenbogenpresse werden Sie kaum etwas über häusliche Gewalt lesen. Der Täter ist klassischer Komponist, ein feinfühliger, gebildeter Mann. Gerade in Österreich ist der Komponist eine sehr idealisierte Figur. Mir war wichtig zu zeigen, dass die äußere Schönheit dessen, was er produziert, und selbst Bildung keine Sicherheit garantiert. Wenn man immer nur ein bestimmtes Täterprofil in den Fokus rückt, fühlen sich andere Gewalttäter frei von Schuld. "Ich bin ja kein Afghane und Moslem. Bei mir hat das nichts mit Kultur zu tun. Meine Frau ist wirklich selber schuld, dass ich aggressiv werde."

DER STANDARD: Sie zeigen in Ihrem Film auch Handlungen des Opfers, die man nur schwer verstehen kann – etwa wenn ihr der gewalttätige Exfreund leidtut und sie zulässt, dass er sie manipuliert.

Schwaiger: Ja, das ist ein schwieriges Thema. Es ist natürlich ein Problem, dass Frauen zu ihren Gefährdern zurückgehen – aber noch ein größeres Problem ist das Unverständnis für diesen Schritt. Es wird nicht gesehen, dass die ökonomischen, emotionalen und sozialen Abhängigkeiten unglaublich stark sind. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass es viel mehr Empathie und Solidarität mit dem Täter als mit dem Opfer gibt. Es ist schwierig, wenn Betroffene diese Empathie und Solidarität nicht erfahren. Statt ihnen zu helfen, werden sie dadurch oft in noch größere Isolation getrieben. Wir müssen aber verstehen lernen, welchem enormen Druck die Betroffenen seitens der Gefährder oder des Umfelds oft ausgesetzt sind, statt die Frauen dafür zu verurteilen.

DER STANDARD: Unterscheidet sich der österreichische Diskurs über Gewalt von dem in Spanien?

Schwaiger: Ja, da gibt es große Unterschiede. Zum Beispiel in der Art, wie über Frauenmorde berichtet wird. In Österreich wird ständig von "Familientragödie" geschrieben, vom "Eifersuchtsmord", es geht um den armen jungen Mann – wie in Kitzbühel –, den eine untreue Partnerin für einen anderen verlassen hat. Kürzlich habe ich in einem Bericht über eine Verhandlung ein Zitat des Verurteilten gelesen, in dem sinngemäß steht: "Hätte sie mich die Kinder sehen lassen, hätte ich sie nicht umgebracht." Hier wird also dem Täter das Wort erteilt und das stumme Opfer beschuldigt. Das wäre in Spanien undenkbar.

DER STANDARD: Was sind die Folgen davon?

Schwaiger: So bleibt es unter der Oberfläche, dass Machismo und patriarchale Strukturen weiterwirken. Viele JournalistInnen sind sich bei dem Thema noch immer nicht ihrer großen Verantwortung bewusst. Potenzielle Täter fühlen sich in ihrer Opferrolle bestätigt, wenn dort steht, dass das Motiv der Tat eine "herzlose" Frau war, die ihren Ex-Partner die Kinder nicht sehen lässt. Die Frau ist die Schuldige. Da kann ein Mann schon mal durchdrehen. In Spanien haben sich die Presse, die Politik und die Opferschutzeinrichtungen zusammengesetzt und einen Dekalog ausgearbeitet, wie man über Gewalt berichten oder auf keinen Fall berichten soll: keine Täter zitieren, keine Scheinerklärungen wie "Eifersucht" oder "Tragödie" oder Zitate von Bekannten des Täters, dass der "eigentlich immer so nett war". In Österreich endete vor kurzem der Bericht einer großen Zeitung über Kitzbühel damit, dass es für das "Unfassbare keine Erklärung gibt" – das muss man sich mal vorstellen: Ein Mann bringt eine junge Frau, die ihn verlassen hat, um – und ihre ganze Familie, und statt die Hintergründe von patriarchaler Gewalt zu beleuchten, bezeichnet man die Tat als unfassbar. Unfassbar ist für mich, dass man nicht ausspricht, was wirklich dahintersteckt: nämlich wohl die Überzeugung des Mörders, dass diese Frau sein Eigentum war. (Beate Hausbichler, 2.12.2019)

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