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Überschwemmungen wie durch den Hurrikan Katrina in New Orleans: ein Paradebeispiel für verfehlte Klimapolitik.

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Der deutsche Soziologe Nico Stehr beschäftigt sich seit längerer Zeit mit Fragen der Anpassung an den Klimawandel.

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Hitzewellen treten jährlich mehrfach auf: Vorausschauende Maßnahmen wären hier besonders effektiv.

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In einem Leitartikel der Zeitschrift Science stellt der damalige Präsident der englischen Royal Society (2005–2011) und Master of Trinity College (2004–2012), Cambridge University, der Astronom Martin Rees, im August 2006 fest: "Die dringende Herausforderung besteht darin, die globale Energienachfrage zu befriedigen [die in den nächsten 25 Jahren um mehr als 50 Prozent steigen soll, so die International Energy Agentur (IEA)] bei gleichzeitiger Reduzierung der Auswirkungen von Treibhausgasemissionen auf den Klimawandel."

Er wiederholt diese Beobachtungen am 4. August 2006 in einem Interview mit der BBC: "Wenn wir uns ansehen, was weltweit geschieht, dann besteht ein immer größerer Energiebedarf, vor allem in den Entwicklungsländern, insbesondere in Indien und China, und gleichzeitig steigt das Kohlendioxid sehr schnell an, und es ist klar, dass wir, wenn wir das Kohlendioxid nicht kontrollieren können, in 50 Jahren auf ein gefährliches Niveau des potenziellen Klimawandels stoßen werden."

In den vergangenen Jahren hat sich an der Gültigkeit dieser Beobachtungen nur wenig, aber dafür Gravierendes geändert. Der weltweite Ausstoß unterschiedlicher Treibhausgase hat sich nicht verringert und wird in den kommenden Jahren wahrscheinlich nicht entscheidend abnehmen. Der globale Appetit auf Energie ebenso wenig. Dagegen ist der Abstand zum Zeitpunkt, in der sich die Erderwärmung einem gefährlichen Niveau nähert, geschrumpft. Angesichts dieser Entwicklungen ist die eigentliche politische Herausforderung des globalen Klimawandels nicht nur Klimaschutz, also Minderung der Treibhausgase, sondern vor allem Gesellschaftsschutz, also Anpassung.

Ausgangspunkte

(1) Die katastrophalen Folgen des Hurrikans Katrina für die Stadt New Orleans (im August 2015) und die umliegenden amerikanischen Staaten oder des Hurrikans Maria für die Insel Puerto Rico (im September 2017) sind ein Paradebeispiel für eine verfehlte Klimapolitik. Allerdings liegt der Fehler nicht deshalb bei der Regierungen Bush oder Trump, weil sie sich weigerten, dem Kioto-Protokoll beizutreten oder dem Pariser Abkommen weiter zuzustimmen.

(2) Stattdessen sollten Klimawissenschafter gefragt werden, wann wir Verbesserungen zu sehen bekämen, wenn die Vereinigten Staaten, aber auch China, Russland und Indien, ihren Ausstoß an Treibhausgasen drastisch reduzieren würden. Würden dann die Folgen von Hurrikanen wie Maria weniger gravierend sein, und wie groß würden diese geringeren Schäden ausfallen?

Noch wichtiger für unsere Gesellschaften ist es aber, zu fragen, wie wir uns in den kommenden Jahrzehnten vor Wetterphänomenen wie dem Hurrikan Maria, Hitzewellen, Überschwemmungen, starke Schneefälle und anderen Wetterextremen schützen könnten und wie eine Klimaforschung und Klimapolitik aussehen müsste, die genau das zum Ziel habe.

Die Alternative zur vorherrschenden Klimapolitik des Klimaschutzes heißt Anpassung. Die Natur ist träge. Die bisher diskutierten und politisch durchsetzbaren Formen der moderaten Mäßigung von Treibhausgasen beeinflussen den Klimawandel kaum, auch wenn Gegenteiliges behauptet wird. Die für einen Stopp der Verschärfung des Klimawandels notwendige Reduktion des globalen Ausstoßes von Treibhausgasen beläuft sich auf etwa 70 bis 80 Prozent oder mehr. Wie man eine solche Reduktion erreichen will, ohne dass man die Hoffnungen und Erwartungen von mehr als achtzig Prozent der Weltbevölkerung ignoriert, wird kaum diskutiert. Der Grad der Belastbarkeit und die Sicherheit schwacher Länder und Bevölkerungen werden bei weiterhin steigenden CO2-Werten eine immer größere Rolle spielen.

Kurzzeitgedächtnis der Wähler

Umwelt-, Bildungs- und Forschungspolitik haben eine Reihe von wichtigen Gemeinsamkeiten. Ihre Erträge oder Verluste lassen sich schwer berechnen; ihre Erfolge und Fehler zeigen sich erst, wenn überhaupt, nach Jahrzehnten; kommende Generationen ernten ihre Früchte oder leiden unter ihren Fehlern. Die Wähler, verstärkt und gefördert durch die Politik, haben ein Kurzzeitgedächtnis und honorieren nur, was sie unmittelbar erfahren.

Nun ist Umweltpolitik, wie auch die anderen beiden Disziplinen, eine Sache, die nur langfristig wirkt. Weil das so ist, wird sie zum Spielball aktueller Ereignisse. Extreme Wettereignisse spülen das Thema Klimapolitik an die Oberfläche. Dann steht das Thema plötzlich auf der Agenda. Anderntags wird aber über die drohende Abwanderung eines Nationalspielers berichtet, was das Thema Klima erfolgreich verdrängt.

Das ist aber noch nicht alles. Auch die Handlungsfähigkeit des Staates – wie anderer großer gesellschaftlicher Institutionen – ist bei den Themen Forschung, Bildung und Umwelt begrenzt. Das hat nichts mit einem Mangel an zuverlässigen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu tun. Es ist der Machtverlust der großen gesellschaftlichen Institutionen. Der Staat kann seinen Willen nicht mehr in dem Maße durchsetzen, wie das noch vor einigen Jahrzehnten möglich war.

In Wissensgesellschaften sind die Widerstandschancen auch kleiner Gruppen disproportional gewachsen. Die Politikfelder Umwelt, Bildung und Forschung haben zudem globale Dimensionen. Wenn es um die Frage der Klimaveränderung geht, ist das jedem schnell klar. Hier kann die Politik anscheinend nur im internationalen Maßstab handeln. Im Grunde ist das mit der Bildungs- und Forschungspolitik genauso. Kluge Köpfe bewegen sich, die Mobilität des Wissens kann deshalb nicht auf kleinstaatlichen Chancen und Wirkungen vertrauen.

Bessere Plätze einnehmen

Und noch eine Gemeinsamkeit gibt es: Umwelt-, Forschungs- und Bildungspolitik sind machtentscheidende Politikfelder. Wer sich hier durchsetzen kann, nimmt auf der zukünftigen Rangliste von Wirtschaft und Politik einen der besseren Plätze ein. Das ist eine Folge von Macht, aber eine Folge, die auf ihre Ursache zurückwirkt. Und daran ist Politik interessiert.

Schließlich lebt der Diskurs in diesen Politikfeldern von binären Zuspitzungen. Also etwa Überleben oder Untergehen oder, wie im Falle der Klimaforschung bzw. Klimapolitik gezeigt werden soll, Mäßigung oder Anpassung. Wie kommt man zu Lösungen? Durch eine sinnvolle, durch die Wissenschaften gestärkte Politik der Anpassung zum Beispiel.

Gewährleisten, dass die Gesellschaften mit dem Klimarisiko leben können

Wie wir in unserem Hartwell-Papier zur Klimapolitik betonten, lässt sich die Geschichte der Menschheit als die Geschichte ihrer Emanzipation von der natürlichen Variabilität und dem natürlichem Wandel des Klimas beschreiben. Heute leben in fast allen Klimazonen der Erde signifikante Populationen von Menschen. Technologische Innovationen (z. B. Klimaanlagen, Gebäudekonzepte, Nutzpflanzenvarianten) und kulturelle Innovationen (z. B. Muster der Sozialkontakte, Ernährung), die sich mal schneller, mal langsamer entwickelt haben, stehen für ihre Fähigkeiten zur Anpassung an eine große Bandbreite von Klimaverhältnissen. Der kulturelle Wandel hat größere Teile der Welt für Menschen bewohnbar gemacht.

Anpassung verdankt jedoch ihre Wirksamkeit im Laufe der menschlichen Geschichte der relativen Stabilität der klimatischen Verhältnisse, die meist, wenn auch nicht immer, nur innerhalb bestimmter erwartbarer Grenzen variabel waren. In geschichtlichen Zeiten wurde die Fähigkeit europäischer Gesellschaften, mit extremen Klimaverhältnissen zu leben, durch starke Abweichungen von den erfahrenen Klimanormen, etwa die bitterkalten Winter des sechzehnten bis achtzehnten Jahrhunderts, auf eine harte Probe gestellt; davon zeugen zum Beispiel Breughels Gemälde der Wintervergnügen.

Die Bandbreite der modernen Klimaverhältnisse ist für die Anpassung Verheißung und Herausforderung zugleich. Doch in der Geschichte der klimapolitischen Regelungen bleibt die Anpassung der verlachte arme Vetter der Emissionsreduktion. Anpassung zielt auf die Vermeidung von Verlusten (und die Nutzung von Chancen). Sie ist daher eine aktive Reaktion auf einmal erkannte Risiken

Auf die Früchte der Mäßigung muss man lange warten

Der bisherige Konsens über den Klimawandel und die daraus abzuleitenden Schritte, die nötig sind, um auf die globale Erwärmung zu reagieren, führen in eine politische Sackgasse. Die Alternative zu dieser Denkart heißt Anpassung. Es geht um politische Maßnahmen, die sich – nicht ausschließlich, aber in erster Linie – der Frage der Anpassung an die Klimaveränderungen widmen.

Wo liegt der entscheidende Unterschied? Beim Konsens über die Ursache der Klimaveränderung kommt politisch immer ein Resultat zustande: Treibhausgase reduzieren, insbesondere die Kohlendioxyd-Emissionen. CO2 ist schlecht. Das wird unaufhörlich betont. Dieses Mantra hat wenig mit dem praktischen Problem des Umweltschutzes und der Vermeidung gefährlicher Folgen von Umweltveränderungen zu tun. Es erklärt aber, warum die bisherigen Maßnahmen so erfolglos geblieben sind. Es sind Mäßigungsstrategien. Es geht aber um Anpassung.

Anpassung, Adaptionsmaßnahmen also, sind politisch wesentlich leichter durchzusetzen und zu legitimieren als Mäßigungsstrategien. Und sie haben einen enormen Vorteil gegenüber allen Mäßigungsstrategien, deren Erfolg in ferner Zukunft eintritt (oder auch nicht): Anpassungsprozesse haben einen relativ kurzen Zeithorizont. Wenn es darum geht, durch Innovationen in Wissenschaft und Technik Lösungen für ein Problem zu finden, lassen sich diese viel leichter darstellen, wenn sie als Adaptionsmaßnahmen gedacht werden.

Die wissensbasierte Ökonomie macht es möglich, was lange Zeit unvorstellbar war: eine Versöhnung von ökologischen und ökonomischen Zielen herbeizuführen. Wenn man zum Beispiel zukünftig traditionelle Ziele unternehmerischen Handels, also Erträge maximieren, beibehalten will, wird man mit den Ressourcen der alten Ökonomie sparsamer, effizienter und produktiver umgehen. Man passt sich an. Die Dynamik der gesellschaftlichen Transformation ist eben größer geworden und damit auch die Chancen, sich an das Neue anzupassen.

Mehrere Ziele auf einmal erreichen

Durch Anpassungsstrategien lassen sich auch mehrere Ziele auf einmal leichter erreichen: Die Verbesserung der Lebensqualität, die Verringerung sozialer Ungleichheit und ein Mehr an politischer Teilhabe schließen einander nicht aus. Die Risiken und Gefahren im Umgang mit Unsicherheiten, etwa neuen Technologien, sind im Falle von Anpassungsmaßnahmen geringer. Adaptionsprozesse können zum Motor dessen werden, was wir heute nachhaltiges Wirtschaften nennen. Anpassung kann dazu führen, dass Treibhausgase reduziert werden, denn Anpassung und Mäßigung widersprechen sich nicht. Nur: Reduktion führt nicht unbedingt zur Anpassung. Jede Nachhaltigkeit ist lokal. Wir müssen neu denken.

Löst man diese Widersprüche vor dem Hintergrund des Machbaren auf, dann erkennt man rasch, dass die Hauptlast politischer realistischer Maßnahmen ohnehin auf die Seite von Anpassungsstrategien fällt.

Anpassungsstrategien beschreiben also das Mögliche. Man denke nur an die Warnungen, dass es infolge der Klimaveränderung zu Hungerkatastrophen und Epidemien komme. Es geht also um die Gesundheit. Doch persönliche Verhaltensweisen sind dafür viel entscheidender als klimatische Bedingungen. Und Menschen können ihre Verhaltensweisen leichter und nachhaltiger beeinflussen als jeder Versuch, das globale Klima zielgerichtet zu verändern. Anpassung heißt also, jedem die Chance zu geben, auf Veränderungen reagieren zu können.

Es geht um Informationen, um Wissen, das Anpassung ermöglicht.

Aber: Die Angst vor Katastrophen, ausgelöst von extremen Wetterereignissen, wird benutzt, um die Unterstützung der Öffentlichkeit für Mäßigungsvorhaben zu gewinnen. Das ist aber eine äußerst zweifelhafte Strategie. In politisch relevanten Zeitdimensionen haben die von der Wissenschaft propagierten und von der Politik sanktionierten Mäßigungsmaßnahmen keine Auswirkung auf die Wahrscheinlichkeit und die Stärke von Extremereignissen oder die langfristigen Folgen der Erderwärmung auf die Gesellschaft. Es ist daher denkbar, dass die Öffentlichkeit gegen die ihr auferlegten Lasten rebelliert. Die Dynamik des Klimas verlangt politisch durchsetzbare Anpassungsstrategien, die in sehr viel längeren Zeiträumen stabil bleiben. Diese Beständigkeit kann man kaum auf der Grundlage der Angst vor Extremereignissen erreichen.

Paradoxerweise gilt, dass in dem Maße, in dem sich unser Wissen über den von Menschen gemachten Anteil an der globalen Erwärmung verbessert und erweitert, sich sogar die Chancen in den modernen Gesellschaften, auf dem Verhandlungsweg zu einer nachhaltigen und geplanten Reduktion von Treibhausgasen zu kommen , verringern– ganz zu schweigen von der Frage, wer die Kosten tragen und wie der Nutzen verteilt werden soll.

700 Hitzetote

Anpassung dagegen funktioniert. Vorausschauende Maßnahmen sind zum Beispiel effektiv, um Hitzetote zu vermeiden. Während sich in Chicago Mitte Juli 1995 eine Tragödie mit mehr als 700 Hitzetoten abspielte, rettete im gleichen Sommer das sogenannte "Hot weather health warning watch system" in der Stadt Philadelphia etwa 300 Menschen das Leben. Erfahrungen mit extrem hohen Temperaturen in Philadelphia in den Jahren 1993 und 1994 waren der Auslöser für die Entwicklung eines effizienten Warnsystems und sozialer Netzwerke, die älteren und anderen gefährdeten Personen zugute kamen.

Was bedeutet das? Es war in Wirklichkeit die Isolation älterer Menschen in Chicago, die sich nicht zu helfen wussten, oder die in diesen Gebieten konzentriert auftretende Armut (und damit ebenfalls: Hilflosigkeit), die zu der hohen Zahl an Toten führte.

Darum geht es auch im globalen Maßstab: Wer die Armut bekämpft, schafft die Grundlage dafür, dass der Klimawandel nicht jene Katastrophen mit sich bringt, die von der Politik immer noch beschworen werden, um Mäßigung zu erzielen. Anpassung heißt: Wissen verbreiten und Chancenzugänge schaffen. Wo Menschen schutzlos den Veränderungen ausgesetzt sind, wird es immer – auch verursacht durch den Klimawandel – Katastrophen geben.

Die gebotene Anpassung ist nicht bloß ein Problem für die Zukunft, sie ist auch eine überlebenswichtige Frage für die Gegenwart. Viele Bevölkerungen sind für die Anpassung an ihre derzeitigen Klimaverhältnisse schlecht gerüstet, und wir müssen die Anpassungsfähigkeit aller Gemeinschaften im Umgang mit den Wechselfällen von – wie auch immer verursachten – Extremwetterlagen stärken. Eine Umweltpolitik, die das begriffen hat, wäre wirklich nachhaltig. Und durchsetzbar. (Nico Stehr, 2.12.2019)