Überblendung von Mensch und Tier: Thusnelda (Bibiana Beglau) labt sich an den Eingeweiden eines Auerochsen wie an der Haut ihres Geliebten (Bardo Böhlefeld).

APA / Burgtheater / Matthias Horn

Die Hermannsschlacht – unendliches Sumpfgebiet im Teutoburger Wald. Hier, auf morastigem Grund und bei reichlich Schlechtwetter, lässt Heinrich von Kleist die vom Fürsten Hermann angeführten Germanenstämme die Römer vernichtend schlagen. Pate dafür stand dem Dichter die antike Varusschlacht im Jahre 9 n. Chr., die den Deutschen als Gründungsmythos dient und mit den Cheruskern (Deutsche), Sueven (Schwaben) oder Brukterern, Ubiern, Katten und Kimbern Bekanntschaft macht.

Kleist schrieb sein – nicht zuletzt wegen der großen Besetzung ungern gespieltes – Drama 1808 nach der Niederlage der Preußen in den Napoleonischen Kriegen. Die Schlachtrufe zur Nationsgründung sind indes verschieden deutbar. Ist Hermann der Befreier von einer schrecklichen Übermacht oder doch der eiskalte Despot, der in Wahrheit noch weitaus schlimmer ist als sein eigener Feind, die Römer? Für die zweite Lesart hat sich Martin Kušej in seiner ersten eigenen Neuinszenierung als amtsführender Burgtheaterdirektor entschieden. Premiere war am Donnerstag.

Hatte Claus Peymann in seiner 1986 nach Wien übersiedelten Bochumer Arbeit (mit Gert Voss und dank einiger Streichungen) einen hintersinnigen Helden im Sinn, so stellt heute – 37 Jahre später – Markus Scheumann einen verklemmten, eiskalten Machtmenschen mit kantigem Gesicht vor, der verbissen sein falsches Spiel in die Wege leitet. Er gibt vor, sich mit dem römischen Anführer Varus (kraftvoll und staatsmännisch: Falk Rockstroh) gegen den Suevenfürsten Marbod (Rainer Galke) zu verbünden. In Wahrheit aber ist es umgekehrt. Die Römer gehen folglich voller Zutrauen in die Falle.

Langhaarige Killermaschinen

Kušej hat für die Germanen keine Sympathien übrig. In seiner düster eingedunkelten und wegen Bert Wredes Klängen auch akustisch schwer wahrnehmbaren Inszenierung erscheinen sie zunächst als langhaarige, tumbe Killermaschinen mit Pfeil und Bogen (Antike!), um am Ende nach dreieinviertel Stunden ihre wahre Identität als – Achtung, Spoiler! – Burschenschafter im Festwichs zu offenbaren. Bingo. Hermann und seine deutschtümelnden Politiker: Bei Kušej sind es die rechten Recken nämlicher österreichischen Partei, die sich vorwiegend aus Chargierten speist.

Bevor er diese Katze aus dem Sack lässt, malt Kušej seine schmale Burschenschafter-Lesart subtil aus: Hermanns (Scheumann) Brutalität resultiert aus einem zu bekämpfenden Minderwertigkeitsgefühl. Als echter Krieger taugt er nicht (der Anblick von Blut verursacht ihm Brechreiz), seiner Gattin Thusnelda (Bibiana Beglau) gegenüber wirkt er impotent. Unterdrückt er seine Homosexualität? Dafür gibt es Anhaltspunkte: Das einzig hell erleuchtete Ding auf dieser von Wellenbrechern aus Beton (Nordsee?) übersäten Bühne Martin Zehetgrubers ist denn auch ein Prater-Karussell mit Pferdchen (!), auf dem nackte Soldaten wie im Traum eine Runde in Zeitlupe drehen.

Punktuell kommt Game of Thrones-Feeling auf, besonders in der Szene mit dem Schmied (Wolfram Rupperti), der seine von den Römern vergewaltigte Tochter absticht und auf Befehl Hermanns ihren zerteilten Leichnam zwecks Aufstachelung an die 15 Germanenstämme senden lässt. Tatsächlich gönnt uns der Regisseur noch ein wenig mehr B-Movie-Flair. Insbesondere dank Thusnelda, die, exponiert im Heerlager der Männer, ihr eigenes Ding abzieht.

Abgehalfterte Brünhild

Als Tier gewordener Mensch (nach Kleists Idee) labt sie sich halbnackt und blutverschmiert an den Eingeweiden des von ihr erlegten Auerochsen gleichermaßen wie an der Haut ihres Co-Jägers und römischen Geliebten Ventidius (Bardo Böhlefeld). Wie frisch aus dem Dokutainment-Fernsehen entsprungen, präsentiert sie sich später krachledern im Fetzenkleid zur Brünhild "geschminkt" (Kostüme: Alan Hranitelj). Die Germanen: Sie können’s einfach nicht. Im Vergleich zu den edlen Funktionären aus der Metropole Rom, die distinguiert mit Lackschuhen im Lager aufkreuzen, geben Hermann und Co eine geschmacksverwirrte, flohbefallene Meute ab. Beim Anblick einer mit Tierfell bedeckten Wohnzimmercouch denkt man zwischendurch auch an die Flintstones.

Kleists behaupteter Splatter kommt in Kušejs dystopischer Ausmalung durchaus zu seinem Recht. Aber es hakt. Die eingenebelten, randlosen Wahnbilder der kriegerischen Selbstermächtigung bleiben entrückt, sie kommen nicht in die Gänge und wirken allzeit unterspielt. Die These des schwachbrüstigen, gegen seine eigenen Schwächen ankämpfenden Hermann ist zugleich ihr eigener Fallstrick. Scheumann bleibt insgesamt zu unscheinbar. Zusammen mit der bedauernswerten (und lauthals kritisierten) Akustik lahmte der Abend. (Margarete Affenzeller, 29.11.2019)