Nana Siebert, stellvertretende Chefredakteurin des STANDARD, und der ungarische Journalist Martón Gergely auf dem Podium beim Mediengipfel.

Foto: Florian Lechner

Lech am Arlberg – "Ich habe bis zum Schluss gedacht, dass es bei uns niemals so weit kommen kann", erinnert sich Martón Gergely an den bislang dramatischsten Tag seiner Journalistenlaufbahn. Es war am frühen Samstagmorgen, dem 8. Oktober 2016, als Gergely, damals stellvertretender Chefredakteur der bis dahin wichtigsten regierungskritischen ungarischen Tageszeitung Népszabadság, einen Anruf eines Kollegen erhielt: "Er fragte mich, ob er gekündigt sei, weil er keinen Zugang zu seinen E-Mails mehr habe."

Die Redaktion der Zeitung sollte an diesem Wochenende in neue Räumlichkeiten übersiedeln. Daher führten die Journalisten den Fehler auf den Umzug der Server zurück. Denn auch Gergely hatte am Samstag plötzlich keinen Zugriff mehr auf seine E-Mails. Doch wenig später kam in den Nachrichten die Meldung, dass die Tageszeitung Népszabadság eingestellt worden sei. Über Nacht, ohne irgendeine Ankündigung. "Alle unsere Recherchen, Kontakte und E-Mails waren verschwunden. Wir hatten am Freitag noch alles fein säuberlich für den Umzug gepackt", erzählt Gergely.

Österreichischer Banker als Erfüllungsgehilfe

Offiziell wurde die Einstellung der Zeitung mit mangelndem wirtschaftlichem Erfolg begründet. Doch Gergely vermutet politische Gründe dahinter. Die kritische Berichterstattung des Blattes zu Affären und Exzessen im Umfeld von Regierungschef Viktor Orbán stieß bei dem Rechtspopulisten mit autokratischen Zügen auf wenig Gegenliebe. Als Erfüllungsgehilfe, so Gergely, habe der österreichische Investmentbanker Heinrich Pecina fungiert, in dessen Besitz die Zeitung damals war.

Pecina kaufte ab 2014 Medien in Ungarn auf – darunter auch Népszabadság –, nur um sie in der Folge an Oligarchen weiterzuverkaufen. Die wiederum schenkten sie der regierungsnahen Medienstiftung Kesma weiter. Mit dieser Strategie schaffte es Orbán, bis heute rund 500 Medientitel unter seine Kontrolle zu bringen. Knapp 78 Prozent aller ungarischen Medien gelten heute als staatsnah. Durch die Stiftungskonstruktion, erklärt Gergely, habe man geltendes ungarisches Recht, das ein derartiges Medienmonopol eigentlich verbieten würde, umgangen. Hatte Ungarn einst 18 unabhängige Tageszeitungen, so sind diese heute alle unter dem Dach der Kesma, die von Kritikern auch "Todesstern" genannt wird, vereint.

Die Pressefreiheit finanziell aushungern

Die Regierung habe einen Weg gefunden, die Pressefreiheit mithilfe ökonomischen Drucks auszuhöhlen. Denn so gut wie alle staatlichen Werbeetats würden an die regierungstreuen Medien gehen, insgesamt seien es mehr als 80 Prozent aller Werbegelder, sagt Gergely. Mit dramatischen Folgen für die verbliebenen, unabhängigen Medien. "Wir müssen Personal einsparen und zugleich unsere Werbeeinnahmen optimieren", erklärt er die journalistische Zwickmühle.

"Jetzt muss der Politikredakteur den Sport mitbetreuen, der gut gelesen wird. Und bevor man sich einer investigativen Recherche widmen kann, muss noch der Wetterbericht geschrieben werden, weil der gute Klicks bringt", berichtet Gergely aus seinem schwierigen Alltag. Die Themen werden indes von den staatsnahen Medien gesetzt und erzählt. Dort dominieren Horrormeldungen über die Gefahren, die von Migranten ausgehen, sowie Jubelberichte zu den Erfolgen der Regierung Orbán.

Die kritische Presse habe versucht, mit Faktenchecks gegenzusteuern. Doch das hält Gergely mittlerweile für die falsche Strategie: "Weil wir damit ihren Standpunkt sogar noch stärken. Wir nehmen ihre Themen auf, und sie stellen sich als Opfer dar, die dafür kritisiert werden, die Wahrheit auszusprechen." Der Journalist hält es für zielführender, durch eigene Recherchen und Berichte alternative Blickwinkel zu bieten. Allerdings setzt genau das mehr Ressourcen voraus, die jedoch stetig knapper werden.

Troll-TV gegen kritische Journalisten

Zu allem Überfluss verschärfe sich der Ton, mit dem kritische Journalisten diskreditiert würden, zusehends, berichtet Gergely. So laufe auf dem konservativen, regierungstreuen Sender Hír TV eine Format namens "Troll", in der kritischer Journalismus sowie Journalisten lächerlich und verächtlich gemacht werden. "Dass die hasserfüllte Stimmung noch nicht zu tätlichen Übergriffen auf Journalisten geführt hat, wundert mich ehrlich gesagt", erklärt Gergely.

Besondere Sorge bereite ihm, dass die Regierung Orbán seit nunmehr zehn Jahren politische Erfolge einfährt und dennoch so aggressiv agiert: "Wie wird er reagieren, wenn es nicht mehr so gut läuft und er nun all diese Instrumente zur Verfügung hat, die er sich geschaffen hat?" So wie er sich niemals habe vorstellen können, dass eine Tageszeitung über Nacht eingestellt werden könnte, so könne und wolle er sich heute noch nicht vorstellen, dass die Regierung aktiv gegen Journalisten vorgeht.

Journalisten als Ziel von Hetzkampagnen

Die Zeichen seien jedoch alarmierend, wie Gergely anmerkt. So stehen derzeit zwei Journalisten in Ungarn im Kreuzfeuer heftigster Kritik und Anfeindungen, weil sie anlässlich der Eröffnung des neuen Nationalstadions einen rechten Rocksong, der dort gespielt wurde, kritisiert hatten. Die Kampagne gegen sie ging mittlerweile so weit, dass ihr Bild auf Plakaten in Budapest affichiert wurde. Auf diesen Darstellungen tragen die Journalisten Armbinden mit dem Davidstern und werden als Meinungsmacher aus dem Ausland bezeichnet. "Der Hass ist größer denn je", macht sich Gergely Sorgen.

Im Rahmen einer Podiumsdiskussion beim Mediengipfel in Lech am Arlberg diskutierte der ungarische Journalist mit Kolleginnen und Kollegen aus Österreich sowie Deutschland zur Bedrohung der Pressefreiheit. Die Ausführungen Gergelys waren bedrückend, weil sie zeigten, auf welch fragilem Fundament diese Freiheiten gebaut sind. Auch in Österreich werde mit Werbebudgets Medienpolitik betrieben, merkte dazu die stellvertretende STANDARD-Chefredakteurin Nana Siebert an.

Österreichs Medienpolitik mit Werbeetats

Die Zahlen belegen das eindrücklich. Gab die deutsche Regierung 2018 insgesamt 12,3 Millionen Euro für Werbung in den Medien aus, so waren es in Österreich rund 24 Millionen Euro. Zudem habe die türkis-blaue Regierung – etwa mit dem Kickl-Erlass bezüglich eingeschränkter Informationsweitergabe an kritische Medien – gezeigt, wie schnell die Stimmung kippen kann. Auch die Message-Control der ÖVP unter Sebastian Kurz, die mitunter darauf abzielte, kritische Journalisten auszusperren und Informationen in erster Linie an jene zu geben, die im türkisen Sinne berichteten, war ein erstes Warnsignal.

In Ungarn sei das böse Erwachen sehr plötzlich gekommen, mahnte Gergely. Daher gelte es für Journalisten wie Medienkonsumenten, stets wachsam zu bleiben und jeder Form von Einschränkung der Pressefreiheit entgegenzutreten. (Steffen Arora, 29.11.2019)