Am Bahnhof Groß-Schweinbarth werden Signale noch per Hand erteilt und das Pfeiferl ist auch noch im Einsatz. Aber nur mehr bis 14. Dezember.

Foto: Robert Newald

Einsam steht der Dieseltriebzug an einem trüben Nachmittag Ende November zwischen Eibesbrunner Straße und frisch bestellten Äckern im niederösterreichischen Weinviertel. Kaum zwei Dutzend Menschen steigen mit Büro- und Einkaufstaschen bepackt an der Haltestelle Obersdorf aus dem elektrischen Schnellbahnzug Richtung Wolkersdorf und Laa an der Thaya.

Sie zerstreuen sich rasch in der Dämmerung, nachdem sie die Stiege vom Bahndamm heruntergegangen sind. Die einen starten auf dem Park-and-ride-Parkplatz in ihr Auto, die anderen werden mit Pkws abgeholt. Der verbleibende Rest trottet mit Kopfhörern im Ohr oder in Gedanken versunken zum Regionalzug R18. Zwei Frauen begrüßen einander herzlich, ehe sie die Stufen in den Dieselzug hinaufsteigen. Freie Sitzplätze gibt es genug. "Mehr als früher", sagt Frau Slavica, und es klingt wehmütig, fast bitter. "Wissen Sie", sagt sie gestikulierend, "einige sind schon auf das Auto umgestiegen, weil mit unserem Zug ist es bald vorbei hier."

An einem trüben Novembertag sieht der in die Jahre gekommene Dieseltriebzug in Obersdorf im Weinviertel besonders trist aus.
Foto: Robert Newald

"Bald", das ist am 14. Dezember. An diesem Samstagabend fährt der R18 zu letzten Mal, dann stellt die ÖBB den Bahnbetrieb am sogenannten Schweinbarther Kreuz ein. 700 Fahrgäste pro Tag seien zu wenig, die Kosten zu hoch, sagt das Verkehrsministerium. Zwischen Wolkersdorf, Raggendorf, Groß-Schweinbarth, Bad Pirawarth und Gänserndorf fahren dann nur noch Busse.

Das Land Niederösterreich ließ sich beim Buskonzept nicht lumpen, alle halben Stunde kurven seit September Omnibusse durch Straßendörfer und 800-Seelen-Gemeinden im nördlichen Wiener Speckgürtel. Sehr zum Missfallen der Anrainer, sie fühlen sich belästigt durch Lärm, Abgase und 140 Busse täglich, erklärt der Sprecher der Bürgerinitiative "Regionalbahn statt Bus", Gerhard Mayer. Vor allem in Raggendorf, wo sich die Linien 530 und 535 kreuzen und ein Busbahnhof entstehen soll. Hinzu kommt noch die Buslinie 495 zwischen Gänserndorf und Aderklaaer Straße an der Wiener Stadtgrenze. Teils fahren die Busse im Abstand von fünf Minuten, teils verpassen sie die Schnellbahn, und die Fahrgäste müssen eine halbe Stunde auf die nächste S-Bahn warten.

Grafik: VOR / Standard

So seltsam es angesichts gut ausgebauter Straßen klingen mag: Ohne ihre Bahn fühlen sich die Menschen in diesem Teil des Weinviertels abgehängt – gerade einmal zwanzig Kilometer von der Bundeshauptstadt entfernt.

Wenn der Zug weg ist

"Wenn der Zug weg ist, fahre ich mit dem Auto", sagt Herr Richard trotzig. So schnell und zuverlässig wie der Zug sei der Bus nie, schon gar nicht im Winter. Früher sei der hauptsächlich von Pendlern und Schülern genützte Regionalzug zwei Garnituren lang gewesen, und die Fahrgäste sind gestanden, weil es viel zu wenig Sitzplätze gab, erinnert Herr Richard an die 1990er-Jahre. Er ist Beamter und fährt seit 31 Jahren von Groß-Schweinbarth nach Obersdorf und von dort mit Schnell- und U-Bahn über Wien-Floridsdorf ins Büro in der City. "Da zieht es nicht, es gibt ein Klo, und der Zug ist pünktlich." Er misstraut dem Buskonzept, dessen Kosten das Land mit mehr als drei Millionen Euro pro Jahr angibt. "Es ist nicht gut durchdacht, und wenn sich die Leute endlich damit abgefunden haben, wird es sicher ausgedünnt."

"Innovationsregion"

Das bestreitet man im Büro von Verkehrslandesrat Ludwig Schleritzko (ÖVP) energisch. Es sei auf mindestens drei Jahre angelegt, und ab 2022 soll in der zur "Innovationsregion" ausgerufenen Gegend auf Elektrobusse umgerüstet werden. "Vor der Landtagswahl im Jänner 2018 wurde uns seitens Niederösterreichs versichert, dass die Regionalbahn Schweinbarther Kreuz als eine von fünf Regionalbahnen attraktiviert wird", sagt Landschaftsökologin Elfriede hörbar enttäuscht. Eine Steigerung der Fahrgastzahlen von 6500 auf 11.000 wäre realistisch. Und jetzt wird die Bahn zugesperrt.

Frau Slavica (rechts) arbeitet in Wien in einer Kantine. Wie sie ab Mitte Dezember ohne den Zug R18 von Obersdorf nach Wien fahren wird, weiß sie noch nicht.
Foto: Robert Newald

Wie Frau Elfriede und Herr Richard denken viele. "Der Bus ist nie so pünktlich, und wenn er zu spät zur Bahnstation kommt, ist die S-Bahn weg!", warnt Frau Slavica, die frühmorgens in der Kantine einer Versicherung den Dienst antreten muss. "Und er kostet um 38 Euro mehr", sagt sie und schüttelt den Kopf. Sie habe schon überlegt, ein Auto zu kaufen für den Weg zur S-Bahn-Station Gänserndorf. "Aber mein Mann hat gesagt, für das eine Jahr bis zur Pension zahlt sich das nicht aus."

Endstation aus der Zeit gefallen

Inzwischen ist der Zug an seiner Endstation in Groß-Schweinbarth angekommen. Es ist bereits dunkel, nur der Bahnhof ist beleuchtet. Er scheint aus der Zeit gefallen zu sein. Es gibt noch einen Fahrdienstleiter, der Ankunft und Abfahrt über Lautsprecher ankündigt und mit dem Pfeiferl Signale gibt. Der Bahnhof, an dem sich die Bahnlinien kreuzen (siehe Grafik) hebt sich wohltuend von vergleichbaren Einrichtungen ab: Der Wartesaal in dem alten Gebäude ist beheizt, alles ist picobello sauber, es gibt Zimmerpflanzen und sogar eine saubere Toilette. Diesen Komfort schätzt auch eine junge Frau, die an der Graphischen Akademie studiert. Sie sattelt mangels Alternative auf den Bus um.

Kämpfen bis zuletzt

Andere sind weniger resigniert. "In Zeiten des Klimawandels eine Bahn zusperren, das ist absurd!", echauffiert sich Kommunikationsberaterin Gabriele R., die sich ebenfalls für den Erhalt der Bahn engagiert. Hoffnung gibt die Graz-Köflacher Bahn (GKB), die den Bahnbetrieb weiterführen würde – vorausgesetzt, Bund und Land machen kehrt und investieren doch. Auf gut 80 Millionen Euro taxieren Experten den Investitionsbedarf in die Schieneninfrastruktur inklusive Neubau einer 900 Meter langen Verbindungsspange zu den Schnellbahngleisen Richtung Wien-Leopoldau (U-Bahn). "Mit Akkuzügen könnten dann beide, S-Bahn und Regionalbahn, befahren werden", schildert Gerhard Mayer von der Initiative "Regionalbahn statt Bus", einmal mit Strom aus der Oberleitung, einmal aus der Batterie. Das wäre einer Innovationsregion würdig.

Die Bahn, das zweite Auto

"Ein Leben auf dem Land ganz ohne Auto, das ist eine Illusion", weiß auch Gabriele R. – trotz Klimakrise. "Aber die Bahn könnte wenigstens das zweite Auto im Haushalt sein." Wie positiv ein Bahnanschluss wirkt, ist übrigens messbar. Das wenige Kilometer entfernte Pillichsdorf rangiert im Standortranking gleich um Klassen besser.

Ein Schüler, der eben von der HTL in Wien nach Hause fährt, hat die Hoffnung längst aufgegeben: "Ab Jänner hab ich einen Führerschein, dann fahre ich mit dem Auto." Die Kapazitäten dafür werden gerade geschaffen: Der Park&Ride-Platz neben der Haltestelle wird bis Frühjahr 2020 um rund 900.000 Euro ausgebaut. (Luise Ungerboeck, 30.11.2019)