v.l.n.r.: Klara Geywitz, Olaf Scholz, Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken

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"Na, letzte Wette?", sagt ein Mitarbeiter am Samstag kurz vor 18 Uhr im Willy Brandt-Haus. "Ich wette, es wird jetzt alles gut", erwidert ein anderer und lacht. Ob es gut wird, weiß man zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Aber eines ist klar: Die lange Suche nach einer neuen SPD-Führung ist nach Monaten zu Ende, und das Ergebnis ist das, was man einen Knaller nennt: In der Stichwahl setzen sich der frühere nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans und die baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Saskia Esken durch. Sie erhielten 53,06 Prozent der Stimmen. Es unterlagen Finanzminister Olaf Scholz und die Brandenburger Politologin Klara Geywitz, die beiden kamen auf 45,33 Prozent.

"Nowabo" und Esken strahlen, als sie die Bühne betreten. "Das ist ziemlich goßartig, vielen, vielen Dank", sagt Esken. "Ich fand, dass wir uns mal Kontroversen geliefert haben, aber immer im Stil, der in Zukunft folgen muss." Es gelte nun, "dass wir zusammenbleiben", ergänzt Walter-Borjans. Scholz und Geywitz, die trotz vieler Bedenken als Favoriten gegolten hatten, ist der Schock anzusehen, als sie auf der Bühne mit dem Schriftzug "Jetzt entscheiden wir die Zukunft" stehen. Dennoch sagt Geywitz: "Olaf und ich gratulieren natürlich ganz herzlich." Und Scholz fügt hinzu: "Die SPD hat eine Entscheidung getroffen, und hinter der müssen sich alle versammeln. Wir werden die neuen Vorsitzenden unterstützen."

Die GroKo-Skeptiker haben sich durchgesetzt

"Ich gratuliere den neuen Vorsitzenden", sagt auch die kommisarische Chefin Malu Dreyer, "ihr übernehmt ein wunderbares Amt". Sie betont aber auch: "Wir brauchen euch alle vier." Dreyer, wie auch andere Spitzenkandidaten hatten sich nicht festgelegt, doch es war klar gewesen, wen die SPD-Spitze eigentlich favorisiert: Scholz und Geywitz, denn diese hatten ganz deutlich gemacht, dass sie in der großen Koalition bleiben wollen. Scholz will trotz der Niederlage auch deutscher Finanzminister bleiben. Er werde nicht zurücktreten, erfuhr die Deutschen Presse-Agentur aus Parteikreisen.

Hingegen sind Walter-Borjans und Esken sehr viel skeptischer. Einen sofortigen Ausstieg wollen auch sie nicht. Aber sie stellen Bedingungen für die künfige Zusammenarbeit, sie möchten, dass der Koalitionsvertrag in Teilen neu verhandelt wird. Ihre Forderungen: Ein Mindestlohn von zwölf Euro pro Stunde, mehr öffentliche Investitionen und ein Ende der schwarzen Null. Vor allem letzteres wird aber mit der Union nicht zu machen sein. Wir haben einen Koalitionsvertrag, wir brauchen nicht neu zu verhandeln, heißt es in Unionskreisen. "Wir freuen uns auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zum Wohl unseres Landes", sagte CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak in einer ersten Stellungnahme.

Die Parteibasis hat entschieden

Die lange Kandidatensuche war nötig geworden, da Anfang Juni die damalige SPD-Chefin Andrea Nahles aufgegeben hatte. Frustriert hatte sie nicht nur das desaströse Abschneiden der SPD bei der EU-Wahl, erstmals war die SPD bei einer bundesweiten Wahl hinter die Grünen gefallen. Zermürbt hatten sie auch die ewigen Querschüsse aus den eigenen Reihen.

Danach übernahmen der hessische SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel und die Ministerpräsidentinnen von Rheinland-Pfalz (Malu Dreyer) und Mecklenburg-Vorpommern (Manuela Schwesig) kommissarisch die Führung der SPD und schworen: Bei der Suche nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger für Nahles machen wir es diesmal anders. Nichts mehr wird im Hinterzimmer ausghandelt, die Basis soll entscheiden, jeder und jede kann sich um den SPD-Vorsitz bewerben.

Zunächst liefen die Kandidaturen eher mau. Keiner aus der ersten Reihe der deutschen Sozialdemokraten wollte sich den Job antun. Nachdem mehr oder weniger Unbekannte ihren Hut in den Ring geworfen hatten, entschied sich doch ein Schwergewicht zum Antreten: Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz. Eine Partnerin hatte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht gefunden, bald aber war die Brandenburger Politologin Klara Geywitz an seiner Seite.

54 Prozent Wahlbeteiligung

Am 1. September endete die Bewerbungsfrist, acht Paare und ein Einzelbewerber gingen in die erste Wahlrunde. Die SPD scheute keine Mühen und schickte die 17 Bewerber zum Vorstellen auf 23 Regionalkonferenzen in ganz Deutschland. Eine absolute Mehrheit erreichte niemand, in die Stichwahl gingen Scholz/Geywitz und Walter-Borjans/Esken.

Die Wahlbeteiligung hatte in der ersten Runde 53 Prozent betragen, nun, in den zweiten, hatten sich 54 Prozent der 430.000 Mitglieder beteiligt. Zum Vergleich: Als die SPD nach der Bundestagswahl 2017 über den Eintritt in die große Koalition abstimmen hatte lassen, lag die Beteiligung bei 78 Prozent.

Formal gewählt werden Esken und Walter-Borjans beim SPD-Parteitag am nächsten Wochenende in Berlin. Der Parteivorstand wird eine Empfehlung für die beiden aussprechen. (Birgit Baumann aus Berlin, 30.11.2019)