Gene Clark 1974 – dass sein Album "No Other" nicht als Meisterwerk erkannt worden war, hat er nie verwunden.

Foto: John Dietrich / 4AD

Der lange Schatten dieses Albums fiel sogar noch auf seinen Grabstein. Als Gene Clark 1991 mit nur 46 Jahren von uns ging, ließ seine Familie die Worte "No Other" in Stein meißeln. Das sollte die Unverwechselbarkeit des Verblichenen unterstreichen. Gene Clark galt als Genie, der in den 1960ern mit den Byrds dem Westcoastsound zu globalem Erfolg verhalf. Er hat ewige Songs wie Feel a Whole Lot Better oder Eight Miles High (mit)geschrieben, gleichzeitig bremsten seine Flugangst und sein Lampenfieber die Karriere der Folkrockgruppe – bis er sie verließ.

Die Inschrift "No Other" erinnerte zudem an das gleichnamige Album, das sein Herz gebrochen hatte; 1974 war das gewesen. Nach dem Flop einer Byrds-Reunion, die nur wegen Clarks Zutun halbwegs hörbar ausfiel, gab ihm David Geffen von Asylum Records einen Vertrauensvorschuss und 100.000 Dollar, um ein Album aufzunehmen. Als Clark lieferte, soll Geffen das Werk nicht einmal angehört haben.

Ein Blick auf die acht langen Songs der Testpressung ließ ihn erkennen, dass darauf keine radiotaugliche Hitsingle war. Ungehört soll er die Scheibe in den Mistkübel befördert haben, nur knapp entging er einem Faustkampf mit dem Künstler. Asylum bewarb das Album nicht und strich es nach einem Jahr aus seinem Katalog.

Es folgten Jahrzehnte, in denen No Other als geheimes Meisterwerk gehandelt wurde, als eines der schönsten Alben aller Zeiten. Nun hat das britische Label 4AD eine umfassende Aufarbeitung vorgenommen und diese Perle in mehreren Versionen neu aufgelegt, darunter als Box Set, das Demos und verschiedene Versionen einzelner Songs bietet, deren Genialität einen in die Knie zwingt.

Ein Kreis schließt sich

Der Verlag 4AD hat eine Vorgeschichte mit Gene Clark. Gründer Ivo Watts-Russell formierte 1983 This Mortal Coil. Diese Supergroup produzierte überästhetisierte Coverversionen von Liedern persönlicher Helden wie Alex Chilton, Tim Buckley oder eben Gene Clark. Auf dem 1986 erschienenen Filigree & Shadows befand sich eine Coverversion von Clarks Strength of Strings. Jetzt schließt sich dieser Kreis.

This Mortal Coil warf sich in nden 1980ern schon vor Gene Clark in den Staub.
Clapham Junction

Clark war in den frühen 1970er Teil der künstlerischen Großfamilie, die im Laurel Canyon in den Hügeln von Hollywood wohnte. Es war das die Heimat von Figuren wie Carole King, Joni Mitchell oder Neil Young und ähnlichen Kapazundern.

Der in Missouri geborene Star sprach allerhand Drogen zu und lebte vom Mythos und den Tantiemen der Byrds. Drei Soloalben und ein unveröffentlichtes hatte er bis dahin produziert. Solide Country-Rockalben mit Folkeinschlag, gottvollen Melodien und verführendem Gesang. Doch erst No Other sollte sein Meisterstück werden.

Eine Demo-Version von Silver Raven – die Originale des Albums sind auf Youtube nicht zu finden.
4AD

Dafür zog er sich nach Mendocino zurück. Drei Stunden nördlich von San Francisco schrieb er das Album mit Blick auf den Pazifik. Drogen sollen keine im Spiel gewesen sein, erst wenn er zu Aufnahmen nach L.A. fuhr, wurde er schwach. No Other ist üppig instrumentiert. Eine von genialischen Studiomusikern umgesetzte Mischung aus Folk, Soul, Country, Rock und Gospel, die Clark in einer noch nicht gehörten Mischung zwischen die Stühle setzte. Der Song Strength of Strings zitiert Neil Young, dessen Einfluss schon auf dem Byrds-Reunionalbum hörbar war, abseits davon entsprang dieses üppige, dabei nie Sättigungsgefühl verursachende Werk allein Clarks Imaginationskraft.

Songs im Cinemascope

Die meisten Lieder dehnt er ins Cinemascope. Chöre tragen seine Stimme, während er sich verzehrt und leidet. Dermaßen aufgewärmt ebnet er den Weg für Some Misunderstanding: ein Titel wie eine Prophezeiung, muss man rückblickend sagen, der bis heute nichts von seiner spirituell anmutenden Erhabenheit eingebüßt hat. Zuletzt schuf die US-Gruppe Soulsavers mit Mark Lanegan als Sänger eine werkgetreue Coverversion. Da wie dort ist es ein episches Stück Seelenmusik. Musik in einer originären Ästhetik, die an vielem anstreift jedoch nichts kopiert. Das gilt für alles hier.

Some Misunderstanding – ebenfalls ein Demo. Das Original dauert über acht Minuten.
4AD

Clark dachte jedes Genre weiter, verknüpfte es mit anderen, verdrehte es sanft. Daraus entstand eine zärtliche Innovation, eine in sich stimmige und eigene Anmutung, die sich gängigen Zuschreibungen und Schubladen versagt. Deshalb klingt No Other heute noch zeitlos und nachgerade unberührt von der Banalität des Popgeschäfts.

Dass das damals nicht erkannt worden war, hat Clark nie verwunden. Von vergleichsweise konventionellen Songs konnte er gut leben, sein Meisterwerk wurde aber nicht als solches erkannt. Schön, dass diese so mysteriöse Musik bis heute strahlt. Wie das Licht einer fernen Sonne, die längst erloschen ist. (Karl Fluch, 2.12.2019)