Am 10. Dezember findet in Stockholm die Nobelzeremonie für Peter Handke statt. Nach welchen Kriterien beurteilt man nobelpreiswürdige Literatur, und warum scheiterten einige österreichische Autoren an der Verleihung? Karl Kraus, Hugo von Hofmannsthal, Sigmund Freud, Max Mell und Peter Rosegger waren vergeblich für den Literaturnobelpreis nominiert, und 1924 galt dies auch für den heute eher unbekannten Nobelkandidaten Max Neuburger. Warum wurde seine Nominierung abgelehnt?

Wer war Max Neuburger?

Neuburger erblickte am 8. Dezember 1868 als Sohn des aus München stammenden jüdischen Kaufmanns Ferdinand Max Neuburger (1831–1914) und der aus Hamburg gebürtigen Helene Neuburger, geborene Defflis (geboren um 1838), in Wien das Licht der Welt. Nach seiner Matura am Staatsgymnasium in Wien-Josefstadt studierte er ab 1887 Medizin in seiner Heimatstadt. 1893 erwarb er sein Doktorat. Seine medizinische Karriere begann Neuburger 1894 als Sekundararzt im Rudolfspital, 1895 wechselte er an die Wiener Allgemeine Poliklinik, wo er 1897 eine Assistentenstelle an der neurologischen Abteilung erhielt. Später eröffnete er eine eigene Praxis in Wien. 1906 heiratete er die konfessionslose Buchdruckertochter Johanna Conrad (um 1878 bis 1930), mit der er zwei Söhne hatte, den Röntgenologen und Physiker Camillo Maximilian Neuburger (1900 bis um 1980) sowie den Hals-Nasen-Ohrenarzt Friedrich (Fritz) Neuburger (1908–2002).

Max Neuburger.
Foto: fair use

Neuburgers Interesse galt vor allem der Geschichte der Medizin. 1898 habilitierte er sich mit der Arbeit "Die historische Entwicklung der experimentellen Gehirn- und Rückenmarksphysiologie vor Flourens" für dieses Fach. 1904 wurde er zum außerordentlichen, 1912 zum Titularprofessor und 1917 zum ordentlichen Professor ernannt. Im letztgenannten Jahr erwarb er auch das philosophische Doktorat an der Universität Wien. Neuburger stieß mit seinen Ideen allerdings nicht immer auf Wohlwollen. Vieler seiner Ärztekollegen belächelten seine Beschäftigung mit der Geschichte ihres Faches, an Studenten hatte er meist nur vier bis fünf pro Vorlesung, manchmal sogar nur einen einzigen.

Institutsgründung und Vertreibung

Neuburgers Name ist eng verbunden mit der Etablierung des Instituts für Geschichte der Medizin in Wien, dessen offizielle Gründung 1914 erfolgte und das ab 1920 im Gebäude der ehemaligen Medizinisch-Chirurgischen Josephs-Akademie untergebracht ist. Bereits vor der Eröffnung hatte Neuburger Fotografien, Gemälde und Aquarelle sowie Instrumentarien und andere Ausstellungsobjekte, aber auch Fachbücher zum Thema Medizingeschichte gesammelt. Später sollte er die Institutsbibliothek mehrmals mit Schenkungen medizinhistorischer Bücher aus seinen eigenen Beständen bereichern, die den Grundstein der nach ihm benannten "Max Neuburger"-Bibliothek bildeten. Neuburger leitete das Institut bis zu seiner aus Einsparungsgründen erfolgten Zwangspensionierung im April 1934. Danach wirkte er noch als Honorarprofessor ohne Lehrkanzel, bis er aus rassischen Gründen im April 1938 endgültig entlassen wurde. Im August 1939 emigrierte er völlig mittellos nach London, wo er am Wellcome Historical Medical Museum eine Anstellung als Medizinhistoriker erhielt. 1948 zog er zu seinem Sohn Fritz in die USA und übernahm eine Professorenstelle an der University of Buffalo. 1952 kehrte er nach Wien zurück, wo er am 15. März 1955 starb.

Nobelpreisverdächtig: Geschichte der Medizin

Max Neuburger verfasste Arbeiten zur sogenannten Wiener Medizinischen Schule, zu Entwicklungen der Medizin in Österreich, zur arabischen Medizin, aber auch zahlreiche Biografien. Zu seinen bedeutendsten Werken zählt das von Theodor Puschmann begründete und gemeinsam mit Julius Pagel herausgegebene "Handbuch der Medizingeschichte". Ebenfalls erwähnenswert sind "Die Wiener medizinische Schule im Vormärz" (1921) und "Das alte medizinische Wien" (1921). Seine zweibändige "Geschichte der Medizin" (1906–1911), die als "History of Medicine" (1909–1925) ins Englische übersetzt wurde, galt als Grundlage für die Nominierung zum Literaturnobelpreis.

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Was ist würdig eines Literaturnobelpreises? Klar sind die Vorgaben nicht.
Foto: AP Photo/Fernando Vergara

"Herausragendste Arbeit in idealistischer Richtung"

Jede Entscheidung des Nobelkomitees für Literatur bedeutet nicht nur einen kommerziellen Aufschwung für die ausgewählten Autoren und ihre Verlage, sie prägt auch den literarischen Kanon global. In Anbetracht des Renommees der Auszeichnung ist es natürlich eine verantwortungsvolle Aufgabe, einen Nobelpreisträger auszuwählen, noch dazu, wo der schwedische Erfinder Alfred Nobel keine genauen Auswahlkriterien vorgab, außer dass der Preisträger "der Menschheit mit seinen Erfindungen einen größtmöglichen Nutzen verleihen" und der Literat "die herausragendste Arbeit in idealistischer Richtung" verfassen soll. Beide Aussagen lassen Interpretationsspielraum zu.

1924 wurde also Neuburger nominiert, und das warf die Frage auf, ob Publikationen zur Medizingeschichte für den Literaturnobelpreis ausreichend sind. Neuburgers Förderer, der norwegische Arzt, Orientalist und Medizinhistoriker Adolf Fonahn, argumentierte, dass der Preis bereits zuvor an wissenschaftliche Autoren, etwa 1902 an Theodor Mommsen "als den größten lebenden Meister der historischen Darstellung" vergeben wurde, und Neuburger daher als "Begründer der Medizingeschichte als eigene Disziplin" ein potenzieller Kandidat wäre.

Nobelpreisnominierung für Max Neuburger, 19. 1. 1924.
Foto: Archiv der Schwedischen Akademie, Stockholm.

Für den Laien zu langweilig

Das Mitglied der Schwedischen Akademie Per Hallström hat Neuburgers Nominierung ausführlich beurteilt. Er räumte zwar ein, dass Neuburger mehrere Studien mit einigem Interesse für die Geisteswissenschaften, darunter über Schillers Beziehung zur Medizin, veröffentlicht und zahlreiche Auszeichnungen von ausländischen wissenschaftlichen Gesellschaften erhalten hatte, aber sein bedeutendstes Werk, "Geschichte der Medizin", entsprach den Vorstellungen nicht. Es war nach Hallströms Meinung für den Spezialisten interessant, für den Laien aber zu langweilig. Daher kam er in seinem Urteil zum Schluss, Neuburger als Nobelpreisträger nicht weiter zu berücksichtigen. Stattdessen erhielt im Jahr 1924 der polnische Autor Władysław Reymont die Auszeichnung "für sein großes Nationalepos 'Die Bauern'".

Anhand Neuburgers Fall zeigt sich, dass das Nobelpreiskomitee keine klaren Definitionen hat, welche Literatur als nobelpreiswürdig gilt. Diese Problematik wird bis heute immer wieder diskutiert. Nach Neuburger wurden weitere "Schriftstellerärzte" wie Gottfried Benn, Karl Jaspers und Sigmund Freud vorgeschlagen, aber auch sie scheiterten "an einer idealen Richtung", wie diese auch immer zu deuten ist.

Nichtsdestotrotz hat Max Neuburger mit dem Institut für Geschichte der Medizin in Wien eine bedeutende Stätte wissenschaftlicher Lehre und Forschung geschaffen, die rasch internationale Nachahmung erfuhr und wo er durch umfangreiches Quellenstudium die Zusammenhänge der Medizingeschichte mit den allgemeinen kulturellen, sozialen und politischen Entwicklungen zu deuten wusste. Seit 2016 werden ihm zu Ehren im Josephinum regelmäßig die Max Neuburger Lectures in Kooperation mit der Arbeitsgruppe Geschichte der Medizin, der Kommission für Geschichte und Philosophie der Wissenschaften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften abgehalten. (Daniela Angetter-Pfeiffer, Nils Hansson, 9.12.2019)