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Die weltweiten Schulden haben den Rekordwert von 250.000.000.000.000 Dollar erreicht.

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Den Zombies schmecken die Nullzinsen, der Weltwirtschaft weniger.

Foto: EPA/Sebastiao Moreira

Verkehrte Welt. Das reale Vermögen auf dem Sparbuch schrumpft beständig, auch wenn das Guthaben weder für den Kauf eines Autos noch für einen Urlaub angetastet wird. Die Inflation ist zwar niedrig, doch sie knabbert beständig an den Einlagen, deren Höhe in Ermangelung einer Verzinsung in absoluten Zahlen zwar gleich bleibt, aber wegen der Teuerung an tatsächlichem Wert verliert.

Die Gewinner der Nullzinspolitik profitieren im Gegenzug immer stärker. Häuslbauer, die einen Kredit aufnehmen, erhalten manchenorts schon Zinsen, statt diese zahlen zu müssen. Staaten, Unternehmen und Haushalte, die sich verschulden, leben in einem Schlaraffenland.

Pirsch in riskanten Gefielden

Verkehrte Welt. Wenn Sparen nicht mehr lohnt und Schuldenmachen Geld einbringt, hat das natürlich Folgen. Profianleger wie Fonds oder Pensionskassen wechseln die Jagdreviere. Die Pirsch verlagert sich in entlegenere Gebiete, in denen freilich auch mehr Gefahren lauern – in steil abfallende Schluchten oder hohes felsiges Gebirge beispielsweise.

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Die weltweiten Schulden haben neue Rekordwerte erreicht, das Platzen der Blase droht.
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In der Finanzwelt heißen die unwegsamen Jagdgründe: Leverage. Der Ausdruck heißt so viel wie Hebel und hat Hochkonjunktur. Derzeit wird dank Nullzinsen alles gehebelt: Übernahmen, Aktienrückkäufe, Dividendenausschüttungen.

Dabei wird mit wenig Eigenkapital viel Fremdkapital aufgenommen, um entsprechende Aktivitäten zu finanzieren. Das gilt vor allem für die USA, wo die Ausgaben für Firmenkäufe zuletzt die Werte von kurz vor dem Lehman-Kollaps 2008 übertroffen haben. Das Bedrohliche daran: Die Schuldenqualität sinkt. Das Risiko der Ausleihungen steigt in den führenden entwickelten Volkswirtschaften, schreibt der Internationale Währungsfonds in seinem Finanzstabilitätsbericht im Oktober.

Geschäft mit Schulden

Immer mehr Finanzierungen kommen dabei nicht von Banken, sondern von privaten Kreditfonds. Das Geschäft mit Schulden, die ein wenig mehr Zinsen abwerfen als Staatsanleihen oder Schuldverschreibungen gut situierter Unternehmen, boomt. Die Entwicklung in Europa passt dabei in das große Bild. Auch am alten Kontinent sind private Financiers auf dem Vormarsch, die noch dazu bei den Kreditbedingungen ziemlich die Hosen herunterlassen: Die Absicherung der Investoren nimmt ständig ab.

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Das Auf und Ab an den Märkten wird von Profis ausgenutzt, kleine Anleger schauen durch die Finger.
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Klare Finanzkennzahlen wie Ertragslage oder Obergrenze für Fremdkapital, an die sich die Schuldner halten müssen, werden verwässert. Auch die Qualität von hochverzinsten Bonds rutscht immer tiefer in den Keller, wie die Ratingagentur Moody’s feststellte. Die Dynamik hat längst von großen Konzernen auf Klein- und Mittelunternehmen übergegriffen. Die Jagd nach Rendite habe die Standards bei der Kreditgewährung sinken und den Trend zur Hebelung steigen lassen, meint der Währungsfonds.

Riskante Wette

Das Problem von der Geschichte: Bei niedrigen Zinsen und guter Konjunktur mag die riskante Wette der Finanzjongleure noch aufgehen. Doch wenn Wachstums- und Ertragsaussichten purzeln, wie das derzeit der Fall ist, könnte es eng werden.

Dann sind auch die in den Bilanzen aufgeblähten Wertansätze für die übernommenen Unternehmen und Beteiligungen nicht mehr zu rechtfertigen: Abschreibungen und schlechte Kreditqualität könnten einen gefährlichen Cocktail bilden.

Riesige Schuldenblase

Dabei schlägt das Risikobarometer jetzt schon ordentlich aus: Der Anteil der Ramschkredite liegt in China und den USA bei fast 50 Prozent, in Italien, Spanien und Großbritannien sogar darüber, heißt es im IWF-Report. Die Inhaber solcher Schuldenpapiere könnten bei drohenden Ausfällen leicht in Panik geraten.

In einem wirtschaftlichen Abschwung werden viele Kreditfonds unter Druck geraten, sagte der Fondsmanager Jiri Krol dem Handelsblatt. Er rechnet mit der Restrukturierung von Transaktionen, wenn der Konjunkturmotor stottert.

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Manchem Börsenhändler wird angesichts der wachsenden Schuldenblase schon ganz bange.
Foto: AP/Richard Drew

Das klingt nicht besonders lustig, zumal die Kredite der Unternehmen nicht der einzige Bestandteil der riesigen Schuldenblase sind, die sich seit der Finanzkrise aufgebaut hat. Sie ist im ersten Halbjahr 2019 auf den Rekordwert von 250 Billionen Dollar angewachsen. Zur Verdeutlichung: Das sind 250.000.000.000.000 Dollar, die wiederum mehr als das Dreifache der weltweiten Wirtschaftsleistung ausmachen.

In Rekordhöhe getrieben haben die Verbindlichkeiten laut internationalem Bankenverband IIF die Entwicklungen in China und den USA. Vor allem in Industrieländern wird die kontinuierlich steigende Staatsverschuldung zunehmend zu einem Problem. Das schwächt die Abwehrkräfte in einem Abschwung zunehmend, denn angesichts der Politik auf Pump des letzten Jahrzehnts kann konjunkturell nicht mehr so leicht gegengesteuert werden.

Helikoptergeld

Die Theorie, wonach niedrige Zinsen zur Kreditaufnahme verleiteten und Strukturreformen – gerade in Hinblick auf die Alterung in den Industriestaaten – verhindern, hat sich also eindrucksvoll bewahrheitet. Der aktuelle Kurs gleicht einer Fahrt gegen die Wand, bei der man diese zu durchbrechen versucht, indem der Lenker noch stärker aufs Gaspedal tritt.

Das heißt in der Praxis: Noch weiter runter mit den Zinsen, dazu neue unkonventionelle Methoden der Geldpolitik. Nicht nur Wertpapierkäufe der Notenbank stehen auf dem Programm, sondern weitere Spielarten – von Helikoptergeld über Modern Monetary Theory (MMT) bis hin zu Digitalwährungen.

Was kommt da alles auf die Sparer zu? Beim Helikoptergeld, das auf ein Gedankenspiel des Ökonomen Milton Friedman zurückgeführt wird, sollen die Wirtschaftsakteure direkt von der Geldschöpfung der Zentralbanken profitieren. Höherer Konsum soll die Realwirtschaft ankurbeln und die Inflation in die gewünschten Höhen hieven.

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Die Finanzverzweigungen werden immer komplexer.
Illustration: Getty Images / Ikon Images / Stuart Kinlough

Bei MMT wiederum finanziert die Notenbank den Staat hemmungslos. Was ein derartiges Anwerfen der Druckerpresse bedeutet, hat Venezuela vor Augen geführt, wo eine Hyperinflation die Wirtschaft ins Chaos stürzte.

Beim Digitalgeld wiederum geht es vor allem um eines: Wenn die Notenbanken ihre Zinsen immer tiefer ins Minus drücken, werden die Menschen irgendwann Bargeld horten, um Strafzinsen zu vermeiden. Für die Damen und Herren des Geldes wäre das ein Problem, weil ihre Zinsmaßnahmen wirkungslos werden würden.

Innovations- und Investitionsstau

Wie auch immer: Schon mit den bisherigen Geldinjektionen der Notenbanken ging ein ziemlicher Umverteilungseffekt einher. Während die Einkommen grosso modo stagnieren, steigen die Vermögenspreise. Das trifft untere Einkommen ebenso wie die Mittelschicht insbesondere wegen der massiven Verteuerung von Immobilien.

Österreicher sind von der Zinsflaute besonders stark betroffen.

Und dennoch: Das Spiel geht immer weiter, geldpolitischen Fantasien sind keine Grenzen gesetzt. Dabei zeigte ein Blick nach Japan, dass ein noch so starkes Drehen am Geldrad wenig Impulse, aber erhebliche Nebeneffekte mit sich bringt. Nun, Nippon ist zwar nach wie vor eine reiche Nation, doch der Geburtenrückgang und die fortschreitende Alterung werden immer sichtbarer, Produktivitätszuwächse sind mit der Lupe zu suchen, es herrscht – trotz der großen Hightech-Dichte japanischer Unternehmen und entsprechender Erfolge auf den Weltmärkten – Innovations- und Investitionsstau.

Die Megaschuldenlast von fast 240 Prozent sorgt nicht gerade für Zuversicht. Wer investiert schon munter drauflos, wenn die Verschuldung des eigenen Landes völlig untragbar ist? Gewiss: Das Risiko wird dank Negativzinsen nicht schlagend, und die Abhängigkeit von internationalen Finanzmärkten erscheint wegen der dominanten Inlandsverschuldung gering. Die Bremsspuren sind dennoch unübersehbar.

Zombiefizierung der Wirtschaft

Zudem bildet das Umfeld einen perfekten Nährboden für Zombieunternehmen. Das sind Betriebe, die sich dank Nullzinsen gerade mal über Wasser halten können, obwohl sie nicht profitabel sind. In Japan nach Ausbruch der Krise Anfang der 1990er-Jahre scheuten die Banken davor zurück, den Betrieben die Kredite fällig zu stellen, um keine Kettenreaktionen auszulösen und eigene Abschreibungen auf die lange Bank zu schieben.

Der Ökonom Philippe Aghion hat mit seinen Kollegen jüngst in einer Studie dargelegt, dass derartige Entwicklungen die Wirtschaft belasten. Steigende Zinsen, wie sie in Aufschwungphasen üblich sind, könnten "reinigend" wirken und die Produktivität erhöhen, sagen die Forscher.

Der Anteil der Zombiefirmen verdoppelte sich seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008.
Foto: EPA/Sebastiao Moreira

Das erinnert ein wenig an die Thesen des Ökonomen Joseph Schumpeter, der in der Zerstörung eine Notwendigkeit sieht, um neue Ideen und Unternehmungen hervorzubringen. Doch der Österreicher ist in Vergessenheit geraten, wie auch andere Untersuchungen zeigen: "Bis vor kurzem war alles, was wir über das Thema Zombies wussten, mit dem Japan der Neunziger verknüpft", heißt es in einer OECD-Studie.

Dort ließen die Untoten der Wirtschaftswelt die Marktpreise sinken, die Löhne wurden im Vergleich zu den Unternehmensgewinnen inflationiert. Die Konsequenz: Die Produktivität ganzer Branchen ging rapid zurück. In Japan führt die Zombifizierung der Wirtschaft dazu, dass es schließlich auch an frischem Kapital für die gesunden und insbesondere die jungen Unternehmen fehlte.

Zu geringe Dosis

Nun, das Ganze ist längst nicht mehr ein japanisches Problem. Vielmehr befinden sich auch andere Länder auf dem besten Weg zur Zombifizierung. Die hohe Zahl der Unternehmen, die nicht in der Lage seien, ausreichend Gewinne zur Deckung ihrer Zinskosten zu erwirtschaften, sei "besorgniserregend", meint die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die auch als Bank der Notenbanken bekannt ist.

Demnach lag der Anteil der Zombiefirmen zehn Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise in 14 der wichtigsten Industrieländer bei 10,5 Prozent, fast doppelt so hoch wie 2008. Auch die BIZ ist wegen dieser Entwicklung alarmiert.

Hängen an schlechten Krediten

Sie schreibt in ihrem heurigen Jahresbericht, dass niedrige Zinsen den Transfer von Ressourcen von unproduktiven in produktivere Sektoren behindern. Die Experten der Einrichtung stellen dabei den direkten Zusammenhang zwischen der Zunahme von Zombieunternehmen und dem Rückgang der Zinsen her.

Den Banken kommt bei dieser Entwicklung große Bedeutung zu. Schlecht aufgestellte Geldinstitute hängen an alten Finanzierungen und können nicht ausreichend frische Kredite gewähren. Die Fokussierung auf Untote drückt die Profitabilität immer weiter nach unten.

Gewinne, betont die BIZ, sind wichtig für die Kreditvergabe, doch hier sieht es nicht gerade rosig aus. Genauer gesagt: In Japan, der Eurozone und in Großbritannien darben die Geldinstitute, während die US-Banken Kohle scheffeln.

Die japanische Zombiekultur ist längst auf Europa übergeschwappt. Wenn sich die Wirtschaft weiter abkühlt und die Zinsen im Keller bleiben, geht den Banken zunehmend die Luft aus, den hochverschuldeten Unternehmen sowieso. Doch noch immer herrscht unter Notenbankern die Auffassung vor, dass ihre Medikation richtig, nur die Dosis zu gering war. Und sie bereiten die nächsten Zombieattacken vor. (Andreas Schnauder, Portfolio, 26.12.2019)