Exemplare von Mimodactylus kreisen über der Meeresstraße, die in der Kreidezeit den Norden und den Süden der Welt trennte.
Illustration: Julius Csotonyi

Vor 15 Jahren wurden in einem Kalksteinbruch im Libanon die Fossilien einer neuen Flugsaurierart entdeckt, die inzwischen den Namen Mimodactylus erhalten hat. Die Entdeckung war an sich schon eine freudige Überraschung, denn die Flug- oder Pterosaurier waren im Erdmittelalter zwar weltweit verbreitet – doch Funde aus dem Großraum Afrika und Arabien waren bislang dünn gesät. Nach eingehender Analyse bereichert Mimodactylus nun nicht nur die geografische Bandbreite, er dürfte auch einen Lebensstil verkörpert haben, den man bei Pterosauriern bislang nicht kannte.

Übers Meer

Vorgestellt wurde die 95 Millionen Jahre alte Spezies von Forschern der kanadischen University of Alberta und des brasilianischen Museu Nacional im Fachjournal "Scientific Reports". Mimodactylus libanensis hatte eine Flügelspannweite von etwa 1,30 Metern (oder auch mehr, wenn das ausgegrabene Exemplar noch nicht voll ausgewachsen war) und lebte entlang der Küsten des Tethys-Meeres, das in der Kreidezeit den nördlichen Superkontinent Laurasia vom südlichen Gondwana trennte.

Es war eine relativ schmale Meeresstraße voller Riffe und Buchten, die sich zwischen den Regionen erstreckte, die heute Südostasien und der Levante entsprechen. Dass es sich dabei um einen durchgängigen Lebensraum handelte, zeigt laut dem Team um Michael Caldwell auch der Umstand, dass Mimodactylus mit Haopterus gracilis einen nahen Verwandten am östlichen Ende dieser Meeresstraße hatte.

Durch Kombinieren zur Ernährungsweise gelangen

Um die Ernährungsweise des Flugsauriers zu rekonstruieren, widmeten sich die Forscher vor allem seinen Zähnen: Diese waren kegelförmig mit ovalem Querschnitt, insgesamt recht robust, und sie wiesen keine scharfen Kanten oder Sägezacken auf. Laut den Forschern wäre eine solche Form gut dafür geeignet, den Panzer von Gliederfüßern zu knacken. Ähnliche Zähne kenne man bereits von Flugsauriern, die sich höchstwahrscheinlich von Insekten ernährten.

Insekten kommen für Mimodactylus aber eher nicht in Frage: Seine Fossilien wurden in Meeresablagerungen gefunden, der Flugsaurier dürfte also über dem Wasser gejagt haben. Dafür sprechen auch seine langgestreckten Flügel, die an die Schwingen von Albatrossen oder Fregattvögeln erinnern: gut zum Gleiten geeignet – aber nicht wendig genug, um in der Luft nach fliegenden Insekten zu jagen. Daraus folgern die Forscher, dass sich Mimodactylus Krabben und andere Krebse aus dem flachen Wasser schnappte.

Enorme Vielfalt

In ihrer Studie bilanzieren die Forscher die verschiedenen Ernährungsstile, die man bei Pterosauriern bereits gefunden zu haben glaubt: Es gab Fisch-, Frucht-, Insekten- und Aasfresser ebenso wie einige Arten, die etwas exzentrischeren Methoden nachgingen. So soll Argentinadraco seinen zahnlosen Schnabel durch das lose Sediment von Binnengewässern gezogen haben, um Kleintiere aufzusammeln, während die riesigen Azhdarchiden unter anderem kleine Dinosaurier fraßen. Aufgerichtet so hoch wie eine Giraffe, gingen sie wohl zu Fuß auf die Jagd.

Mimodactylus erweitert die Palette nun um seine – vermutliche – Spezialisierung auf Krebse. Insgesamt dürften die Pterosaurier also eine ähnliche Vielfalt an Lebensweisen aufgewiesen haben wie heute die Vögel, die zwar nicht die Nachfahren der Flugsaurier sind, aber ihre ökologischen Nachfolger. Caldwell abschließend: "Die Vielfalt dieser uralten Tiere war viel größer, als wir jemals vermutet hätten. Und sie war wahrscheinlich um ganze Größenordnungen reicher, als wir jemals aus den erhalten gebliebenen Fossilien erkennen können." (jdo, 8. 12. 2019)