Traditioneller Maiaufmarsch der SPÖ am Rathausplatz in Wien.

Foto: Robert Newald

Ein Gespenst geht um in Wien. Oder, genauer, in Wiener SPÖ-Kreisen. Es bestehe die Gefahr, so lautet die Erzählung, dass sich nach der Wien-Wahl (wahrscheinlich im Herbst 2020) eine Mehrheit aus Türkis, Grün und den Neos ausgeht.

Die drei würden sich dann darauf verständigen, die vor 100 Jahren begonnene Herrschaft der SPÖ in der Bundeshauptstadt zu beenden, indem sie eine Koalition gegen diese bilden. Bürgermeister würde eine "unabhängige Persönlichkeit", mit der alle können. Eine Subvariante dieser Erzählung besagt, dass die Türkisen den Grünen bereits zugesagt hätten, sie könnten sich ihren Kandidaten oder ihre Kandidatin aussuchen, solange diese Person irgendwie bürgerlich verträglich wäre.

Auf den ersten Blick sieht das nach einer Mobilisierungsstrategie der Wiener SPÖ aus. Bisher wurde versucht, die SPÖ-Wähler mit der Furcht vor und der Abneigung gegen eine schwarz/ türkis-blaue Koalition im Bund (eventuell auch in Wien selbst) zu motivieren. Wien sollte die Bastion gegen rechts-rechtsaußen bleiben.

Nach einer Umfrage von Unique Research vom 2. November würde sich Türkis (20 Prozent), Grün (18 Prozent) und Neos (acht Prozent) nicht ausgehen. Die SPÖ kam auf 36 Prozent, die FPÖ auf 16 Prozent. Aber die Voraussetzungen ändern sich. Im Bund wird an einer türkis-grünen Koalition gearbeitet, also fällt diese Motivation wahrscheinlich weg. Ibiza und die Folgen haben die FPÖ schwer beschädigt, sodass sie in Wien von 30,8 Prozent (!) bei den Gemeinderatswahlen 2015 auf 12,8 Prozent bei den Nationalratswahlen 2019 heruntergerasselt ist. Die fast sichere Kandidatur von H.-C. Strache mit einer eigenen Liste wird die FPÖ weiter schwächen. Außerdem haben die Türkisen – 24,6 Prozent in Wien bei der Nationalratswahl! – das FP-Thema "Ausländer" eiskalt übernommen. Damit ist auch die Idee hinfällig, die der Wiener Neos-Chef Christoph Wiederkehr vor über einem Jahr äußerte: eine Dreierkoalition Türkis, FPÖ, Neos.

Machtwechsel

Aber die Versuchung, die Herrschaft der SPÖ in Wien zu brechen, könnte zumindest für Türkise und Neos sehr groß sein. Und bei den Grünen könnte man sich daran erinnern, dass Bürgermeister Michael Ludwig eine Zeitlang kein Fan der Grünen war und mit den Stadt-Türkisen liebäugelte.

Bei der Nationalratswahl erreichte die SPÖ magere 27,1 Prozent und hatte Floridsdorf, Donaustadt, Simmering, Favoriten, Meidling, Rudolfsheim, Ottakring. Die ÖVP war mit 24,6 Prozent gleich dahinter und hatte außer der Inneren Stadt noch Döbling, Penzing, Hietzing – und Liesing, Heimat der Faymann-Bures-Deutsch-Gruppe (!). Die Grünen mit 20,7 Prozent die Innenbezirke 2 bis 9, dazu Währing und Hernals (!).

Wie gesagt, eine NR-Wahl. Aber die SPÖ macht sich zu Recht Sorgen. Ein Verlust von Wien wäre das Ende der Sozialdemokratie in Österreich insgesamt. Unter dem Strich gibt es auch keine überwältigenden Gründe, die SPÖ in Wien abzuwählen, aber ein Machtwechsel könnte für manche doch verlockend sein. So gesehen wäre es angemessen, sich nicht nur auf das Schreckgespenst einer Koalition gegen die SPÖ zu verlassen, sondern allmählich doch zur Diskussion zu stellen, was man mit der Stadt will. (Hans Rauscher, 4.12.2019)