14. Es ist nur eine lapidare Nummer. Und doch markiert sie in der Geschichte der Massenindustrie eine einzigartige Pionierarbeit, die es bis heute auf unsere Hintern abgesehen hat. Der Sessel Nr. 14 von Michael Thonet steht im Jahre 1859 für einen Urknall in Sachen Massenmöbel.

Mehr noch, er ist eines der ersten industriell produzierten modernen Designobjekte überhaupt. Allein bis in die 1930er-Jahre werden 50 Millionen Stück verkauft. Denkt heute jemand daran, wenn er darauf sitzt? Wohl nur wenige Zeitgenossen, auch wenn jedem von ihnen das Möbel schon einmal untergekommen sein dürfte.

Schon der große Le Corbusier sagte über den 14er-Stuhl mit seiner charakteristischen Bespannung aus "Wiener Geflecht": "Noch nie ist Eleganteres und Besseres in der Konzeption, Exakteres in der Ausführung und Gebrauchstüchtigeres geschaffen worden."

Eines der berühmtesten und revolutionärsten Möbel der Welt: der Stuhl Nr. 14 von Thonet (gegründet 1819), auch Kaffeehausstuhl genannt, der heute unter Nr. 214 firmiert. Das charakteristische "Wiener Geflecht", aus dem die Sitzfläche des Möbels besteht, sorgte in erster Linie für Leichtigkeit – optisch wie physisch.
Foto: Mak/Georg Mayer

Holz biegen

Dabei bestand das Meisterstück, das nach einigen Adaptionen heute unter Nr. 214 firmiert, gerade einmal aus sechs Teilen, zwei Muttern, zehn Schrauben und natürlich einer sensationellen Idee. Das Fundament der Firma Thonet beruht darauf, Holz zu biegen.

Ein Gedanke, der selbst Mutter Natur fremd ist, krümmt sich ein Ast doch lediglich nach Licht, nicht aber, um dem Design eine Gefälligkeit zu erweisen. Genau das tat dieser Michael Thonet. Und das in Wien. Der Pionier, Tüftler und geniale Geschäftsmann, der sich vor 200 Jahren nach einer Tischlerlehre in Boppard am Rhein selbstständig machte, kam nach wirtschaftlichen Turbulenzen 1842 in die Donaumetropole, in der er 1871 auch das Zeitliche segnete.

Angeblich war Fürst Metternich an der Übersiedlung nicht ganz unbeteiligt: "In Boppard werden Sie immer ein armer Mann bleiben. Kommen Sie nach Wien", soll er zum Möbelerfinder gesagt haben.

Doch spulen wir ein wenig vor: Während die traditionellen Tischler noch hobelten, sägten und feilten, schaffte es Thonet mithilfe von Druck und Wasserdampf, massives Holz unter Verwendung eines Zugbandes zu biegen, wobei die Formteile nach diesem Vorgang eingespannt getrocknet werden. Das Patent dafür erhielt er 1856.

Dies brachte eine neue, überraschende Formensprache in eine bis dato überladene, ornamental geprägte Stilwelt. Doch Thonet wurde nicht nur zu einer Art Formenbarbapapa der Möbelwelt, sondern auch zum Großindustriellen. Über 865.000 Bugholzstühle werden pro Jahr gefertigt, Zahlen, bei denen heutigen Produzenten die Kinnlade runtersaust.

Michael Thonet, Bopparder Sessel, Boppard am Rhein, 1836–1840
Foto: © MAK/Georg Mayer

"Der modernste Stuhl"

Adolf Loos schrieb 1895: "Als ich in Amerika war, begriff ich, dass der Thonetstuhl der modernste Stuhl ist, den es gibt." Über 100 Jahre später sagt der Designer Stefan Diez, der an der Wiener Universität für angewandte Kunst lehrt, und 2007 seinen Möbelbeitrag in Form des Modells 204 zum Thonet-Kosmos ablieferte: "Für mich ist das Thema Dreidimensionalität besonders eng mit der Geschichte von Thonet verbunden. Diese verrückte Idee, Holz so zu biegen, als ob es ein zweites Mal wächst."

Ab den 1930er-Jahren konzentrierten sich die Erben Thonets – er hatte fünf Söhne – auf ein zweites Standbein, eines aus Stahlrohr. Die Firma stieg zum weltweit größten Erzeuger von Stahlrohrmöbeln auf.

Man denke an die Entwürfe von Marcel Breuer oder Ludwig Mies van der Rohe, die bei aller Unterschiedlichkeit in Sachen Material formal einen durchaus hohen Verwandtschaftsgrad mit Möbeln aus Bugholz aufweisen.

Designer & Künstler

Die Zahl der Entwürfe, die von Thonet und seinen Nachfolgern produziert wurden und werden, ist kaum einzugrenzen, sogar Tennisschläger oder Schlitten werden in den zahlreichen Werken gefertigt. Sebastian Hackenschmidt, Kurator am Wiener Museum für angewandte Kunst, der gerade mit den Vorbereitungen zur Schau "Bugholz, vielschichtig. Thonet und das moderne Möbeldesign" beschäftigt ist, schätzt, dass die Zahl in die Tausende geht. Bereits im Jahre 1911 zählte der Katalog der Gebrüder Thonet 980 verschiedene Objekte.

Hackenschmidt sprudelt nur so vor Enthusiasmus, als er im Depot des Museums steht und von der Thonet-Welt erzählt. Links und rechts von ihm steht in dreistöckigen Regalen säuberlich in Reih und Glied aufgereiht, eine der bedeutendsten Thonet-Sammlungen der Welt. Allesamt stecken unter Mäntelchen aus weißem Leinen, auf denen jeweils ein kleines Foto des darunter versteckten Möbels pickt.

Die Möbel wirken, als würden sie den Depotschlaf schlummern. Gut, dass sie schon in Bälde ein kleines Comeback in der Mak-Schau feiern dürfen (Eröffnung am 17. Dezember). Sobald man versucht ist, eines der Stücke zu berühren, um ein altehrwürdiges Stückchen Möbelgeschichte zu fühlen, klopft einem der Möbelauskenner verbal auf die Finger, frohlockt aber sogleich weiter über so manches Detail, das er hier in seinem Reich zeigt.

Gebrüder Thonet, Sessel, Modell Nr. 8, Wien, um 1860
Foto: © Wolfgang Thillmann/MAK

Michael Thonet beschreibt er als einen Neugierigen, als einen, der eine neue Technik erfand, die gleichzeitig überladene alte Formen durch eine neue, reduzierte Eleganz ablöste. "Thonet wollte das Essenzielle." Er bekam es, formal wie wirtschaftlich. Und mit ihm die ganze Welt, denn schon bald waren es vor allem Kaffeehäuser in New York, London, Tokio und sonst wo, die seine Möbel orderten.

Auch dazu führte ein Thonet’scher Clou: In einer Transportkiste mit einem Kubikmeter Rauminhalt wurden 36 zerlegte Stühle samt Zubehör verpackt und auf die Reise geschickt. Fast könnte man von einer Art Ur-Ikea sprechen, wenn man dem guten Stück damit nicht die nötige Ehrerbietung entzöge.

Hackenschmidt ist sich sicher: Dieser Thonet erschuf etwas, das unglaublich beeindruckte, etwas, das fesch und für seine Zeit materialgerecht war. Und bis heute alle Kriterien von gutem Design erfüllt. "Eine Einheit von Form und Funktion, die stilsicher, leicht und vielfältig einsetzbar ist", wie es der Wissenschafter nennt, der die Stirn runzelt, wenn es darum geht, die Verstrickungen der heutigen Thonet-Produzenten aufzudröseln.

Erzeuger sind heute allen voran die Thonet GmbH im deutschen Frankenberg, die Gebrüder Thonet Vienna mit Sitz in Turin und das tschechische Unternehmen Ton. "Außerdem kann jeder Designer mit der Biegetechnik arbeiten und auch von anderen Unternehmen produzieren lassen", erklärt er, während er über den besonders eleganten Bugholzstuhl des Wiener Architekten Hermann Czech aus dem Jahre 1993 streicht. Er darf das offensichtlich.

Eigenwilliges Sitzobjekt

Dabei sind es nicht nur zeitgenössische Designer wie das Duo "Front", Michael Anastassiades, Robert Stadler oder Sebastian Herkner, die die Möbelsippschaft von Thonet weiter gedeihen lassen. Auch bildende Künstler wie Bruno Gironcoli, Rudolf Sachs oder Birgit Jürgenssen haben sich von Thonets Musen küssen lassen.

Auch Künstler und experimentelle Designer beschäftigen sich bis heute mit der Bugholz-Seele von Thonet. Hier das Augenzwinker-Möbel des Wiener Kollektivs "breaded escalope".
Foto: Mak / Georg Mayer

Ein besonderes Stück in dieser Thonet-Nische ist das Sitzobjekt der Wiener Experimentaldesigner "breaded escalope" , eine Art schräg durch die Zeit gereister Nachfahre des klassischen Bugholzsessels: Die Entwerfer griffen zu zwei Herdplatten und Teekesseln, verbanden deren Ausgüsse mittels Schläuchen mit einem Aluminiumrohr, in das Buchenholzlatten gelegt werden.

Nach einem halbstündigen Dampfbad wurde das Holz gefügig, ließ sich bereitwillig biegen und sodann mit einem weltweit im Einsatz befindlichen Plastikstuhl, auch als "Monobloc" bekannt, verbinden. Heraus kam ein eigenwilliges Sitzobjekt der Kleinserie "Love me bender" (siehe Foto).

Ob Michael Thonet angesichts dieses Stücks, dieser Gegenüberstellung einer Ikone der Massenproduktion und eines Experimentalstücks in seinem Grab am Wiener Zentralfriedhof rotiert? Man weiß es nicht.

Angesichts seines Erfindergeists dürfte er wohl eher mit einem Auge zwinkern, schließlich hält er auch 200 Jahre nach seiner Firmengründung die Zunft geistig auf Trab, während bis heute unzählige Hintern über den ganzen Globus verteilt auf seiner Idee sitzen. (Michael Hausenblas, RONDO, 6.12.2019)