Treffen im Café Le Bol im ersten Wiener Gemeindebezirk. Lili Radu sitzt in ihrem babyblauen Kapuzenpullover inmitten des Frühstückstrubels. Acht Jahre lang hat die gebürtige Frankfurterin während ihres Publizistik- und Wirtschaftsstudiums in Wien gewohnt, das Lokal am Neuen Markt war ein Lieblingsplatz.

Das ist lange her, diesmal ist die 38-Jährige von Berlin nach Österreich gereist, um ihre Taschenkollektion im Steffl vorzustellen. Neues Logo, neue Website, neue Taschenmodelle: Die Unternehmerin aus Berlin, die bereits auf zehn Jahre Businesserfahrung zurückschauen kann, hat radikal aufgeräumt. Das gehöre dazu, dass man sich von alten Zöpfen trennen könne, erklärt sie achselzuckend, und nein, Angst kenne sie als Unternehmerin nicht.

Einen Riecher für den Zeitgeist und fürs Geschäftliche hingegen hat Radu schon während des Fashion-Management-Studiums an der Bocconi, einer privaten Wirtschaftsuni in Mailand, bewiesen. Damals, mit Ende zwanzig, fing sie mit Laptoptaschen an. Entdeckt wurden sie von einem Apple-Mitarbeiter auf der Berliner Messe Bread & Butter.

Einen Namen machte sie sich dann mit Handtaschen, die mit einem V aus geflochtenem Leder verziert waren: Die Modelle aus Leder mit den Kettenriemen trafen einen Nerv und verbreiteten sich schnell. Ein Händchen fürs Netzwerken bewies die Designerin schon damals.

Berliner Promis wie Hannah Herzsprung trugen ihre Taschen auf dem roten Teppich, 2014 marschierte der deutsche Fußballbundestrainer Jogi Löw während der WM in Brasilien mit einer Umhängetasche auf, die Radu gemeinsam mit Sarah Brandner, der damaligen Freundin des Fußballprofis Bastian Schweinsteiger, auf den Markt gebracht hatte.

Mehr Experimente

Nun will Lili Radu, die ihr Unternehmen seit 2012 gemeinsam mit Ehemann Patrick Löwe führt, mit ellipsenförmigen Ledermodellen ("eigentlich wollten wir sie rund hinbekommen") Instagram und die modebewussten Konsumentinnen dort erobern. Die Umorientierung der in Berlin lebenden Geschäftsfrau führt vor, wie grundlegend sich das AccessoireBusiness verändert hat.

Die Handtasche, einst die Cashcow der Luxusmodeunternehmen, wird zunehmend von neuen Statussymbolen wie Kopfhörern abgelöst: Zuletzt stellte das amerikanische Marktforschungsunternehmen NPD Group fest, dass die US-Verkäufe von Damenhandtaschen in den ersten acht Monaten des Jahres 2019 gegenüber dem gleichen Zeitraum im Jahr 2016 um mehr als 20 Prozent zurückgegangen sind. Gleichzeitig laufen mittelpreisige Handtaschen kleinerer Labels den teuren It-Bags den Rang ab.

Seit zehn Jahren im Geschäft: Die 38-jährige Unternehmerin Lili Radu führt mittlerweile gemeinsam mit ihrem Mann Patrick Löwe zwei Taschenlabels.
Foto: Romy Rodiek

Das kommt Unternehmen wie Lili Radu zugute. Neue Handtaschenmodelle verbreiten sich heute über Influencer in den sozialen Netzwerken. Dank Instagram sind die Verbraucher experimentierfreudiger geworden, interessierter an Accessoireunternehmen wie Mansur Gavriel, Staud, Danse Lente, Yuzefi oder Wandler, die mittlerweile auch auf Plattformen wie Net-à-Porter verkauft werden.

Den Modellen dieser Hersteller ist gemein: Während man für die It-Bags von Gucci, Chanel oder Fendi vierstellige Beträge zahlt, bewegen sie sich eher im Preissegment einer Michael-Kors-Tasche. Doch statt auf verkäufliche Mainstreamware setzen Mansur Gavriel und Co auf kompakte, individuelle Formen ohne große Logos.

Instagram-tauglich

Auch Radu hat sich den neuen Bedürfnissen der Verbraucher und dem Tempo der Branche angepasst. Das zahlt sich aus: Der Account ihres Labels, heute eine wichtigere Visitenkarte als die Website, hat mehr als 40.800 Follower. "Man besucht nicht mehr eine Messe, um da alle Einkäufer zu treffen." Die Vermarktung hat Radu ganz auf die Social-Media-Plattform abgestimmt: "Früher hat man querformatige Bilder für Lookbooks gemacht, heute wird im Instagram-tauglichen Hochformat fotografiert", erklärt die 38-Jährige.

An ihrem Produzenten in Istanbul hält die Unternehmerin zwar seit rund zehn Jahren fest, das Sortiment ist heute aber "kleiner und spitzer". Radu führt weniger Taschenmodelle, diese dafür in drei Größen und sechs Farben. So könne sie schneller auf die Nachfragen der Verbraucher reagieren, erklärt sie. Die Ledermodelle kosten zwischen 350 und 550 Euro, rund die Hälfte ihres Umsatzes macht Lili Radu mittlerweile online.

Radu und Löwe gehen außerdem auf Nummer sicher. Sie haben mit Vee Collective ein zweites Taschenlabel und Standbein gegründet. Mit den sportlichen Shoppern aus Nylon, die zwischen 130 und 190 Euro kosten, macht das zweite Unternehmen heuer mehr als zwei Millionen Euro Umsatz: "Das Label geht gerade durch die Decke", die ausgebildete Betriebswirtin Lili Radu ist sichtlich begeistert.

"Irgendwann soll die Tasche erfolgreicher als die Le Pliage von Longchamps sein." Die Tote des französischen Unternehmens verkauft sich bis heute rund elfmal pro Minute. Fragt sich, ob sich so etwas wiederholen lässt. (Anne Feldkamp, RONDO, 13.1.2020)

Lili Radu hat ihre Handtaschenmodelle und die Bildsprache des Lookbooks ganz auf Plattformen wie Instagram zugeschnitten.
Foto: Andreas Waldschütz