Im Gastkommentar blickt die Journalistin und Buchautorin Eva Maria Bachinger auf den Lebensstil des australischen Seglerpaars, das sich vom nicht ressourcenschonenden Profitdenken habe vereinnahmen lassen.

Greta Thunberg verzichtet aus Klimaschutzgründen auf Flüge. So segelte sie mit den Australiern Riley Whitelum und Elayna Carausu über den Atlantik, um an der Weltklimakonferenz in Spanien teilnehmen zu können. Dienstag erreichten sie Portugal. Und sie sind nicht zu beneiden, zu dieser Jahreszeit war der Segeltörn ein frostiges Vergnügen.

Die Segler sind sogenannte Youtube- und Instagram-Stars: Der "Dokumentation" – wie ihr Tun in Medien bezeichnet wurde – ihres Weltenbummleralltags auf einem 15 Meter langen Katamaran folgen 1,2 Million Abonnenten, um jede Woche ein Video von Bord zu sehen zu bekommen. Die Videos auf Youtube und Instagram zeigen das junge Paar in allen möglichen, auch sehr privaten Situationen. Ihr Kleinkind ist Teil der Selbstdarstellung. Schließlich bringt ein Kind mehr Aufmerksamkeit und damit mehr Geld, ebenso Videos vom Fitnesstraining im Bikini und mit nacktem Oberkörper sowie vom Seglerleben im türkis-blauen Meer. Bilder, die für die Mehrheit der Menschheit entweder nur ein Urlaubstraum sind oder gar kein Traum.

Anleitung zum Konsum

Die Bekanntheit von Thunberg wird nun wohl zu noch mehr zahlenden Abonnenten führen. Das Paar ist seit 2014 unterwegs, mittlerweile kann man auch einen Segelführer, T-Shirts und Bademode kaufen. Am Beginn mit einem alten, kleineren Segelschiff von Griechenland aus unterwegs, wohl ehrlich davon angetrieben, einen alternativen Lebensstil auszuprobieren und möglichst nachhaltig zu leben, haben sie ihr Leben komplett kommerzialisiert – und sie animieren alle anderen dazu zu konsumieren.

Es sei ihnen auch wichtig, auf die Schönheit und gleichzeitige Bedrohung der Weltmeere in ihren Videos hinzuweisen, betont das Seglerpaar. Man fragt sich aber, warum solche Berichte nicht im Vordergrund stehen, sondern eben die Ausstellung des eigenen Lebens.

Nicht nur Fliegen belastet das Klima

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Greta Thunberg ist für den Klimaschutz zur Vagabundin geworden. Nach drei Wochen auf See will sie nun ein paar Tage in Lissabon verweilen, bevor sie nach Madrid weiterreist.
Foto: REUTERS/Rafael Marchante

Die Welt ist ein Dorf geworden. Wir fliegen selbstverständlich übers Wochenende nach Marrakesch und zu einer Hochzeit nach Hongkong. Auch Naturbegeisterte düsen schnell einmal im grauen November für ein paar Tage nach Spanien zum Klettern. Wir freuen uns, wenn wir ein besonders billiges Ticket ergattert haben. Durch Thunberg haben wir vielleicht jetzt ein schlechtes Gewissen, aber der Flugverkehr nimmt ja nicht ab, sondern ganz im Gegenteil sogar zu. Ein Segelschiff zu chartern ist aber für die Masse sicher auch keine Lösung.

Selbstverständlich ist Fliegen sehr klimaschädlich: Ein Hin- und Rückflug auf der Langstrecke, etwa Wien – San Francisco – Wien, soll laut dem International Institute for Applied Systems Analysis in Laxenburg etwa 3,5 Tonnen Treibhausgasemissionen pro Person verursachen. Zum Vergleich: Im Jahr 2017 lag der jährliche Verbrauch pro Österreicher bei 9,4 Tonnen.

Doch eine unangenehme Wahrheit lautet auch, dass ständig online zu sein sowie Nachrichten, Fotos und Videos in sozialen Medien zu checken und abzusetzen im Hintergrund immer mehr Infrastruktur und damit immer mehr Energie benötigt. Knapp vier Prozent der weltweiten CO2-Emissionen gehen heute auf digitale Geräte zurück, Tendenz steigend. Selbst wenn es gelingt, die Energiegewinnung großteils auf erneuerbare Energiequellen umzustellen, sollte Energieeffizienz und vor allem Energiesparen vorrangig sein. Im Vergleich: Der internationale Flugverkehr soll für zwei Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich sein.

Digitale Leibeigenschaft

Eine Wahrheit ist zudem: Auch wenn noch so viele Solarpaneele und Wasserkraftgeneratoren an Bord sind, ist ein millionenteurer, mit jedem Pipapo ausgestatteter Luxus-Katamaran, den das Seglerpaar wohl aus Marketingüberlegungen von einer französischen Werft günstig erhalten haben soll, definitiv weniger nachhaltig als das alte, renovierte Segelschiff zu Beginn ihrer Reise. Man hat den Eindruck, die so nachhaltig lebenden Segler hätten sich vom Profitdenken vereinnahmen lassen. Denn spiegelt ihre Vermarktung und Selbstdarstellung nicht just jene kapitalistische Logik nach Ausbeutung wider, die uns an die Grenze der Ressourcen bringt und die Klimakrise verursacht?

Der Philosoph Byung Chul Han spricht mittlerweile von einer "digitalen Leibeigenschaft". Die neuen Lehnsherren heißen Facebook, Google und Co: "Sie stellen uns kostenlos Land zur Verfügung und sagen uns: Beackert es fleißig. Wir beackern es wie verrückt, indem wir kommunizieren, teilen, unser Leben erzählen, die Timeline füllen. Danach kommen die Lehnsherren und holen die Ernte. Und wir merken nicht einmal, dass wir ausgebeutet werden." Jeder muss sich verkaufen und vermarkten, um wahrgenommen zu werden. Wenn etwas nicht in der medialen Öffentlichkeit stattfindet, existiert es nicht.

Nun braucht man Aufmerksamkeit, um für Klimaschutz zu werben. Es geht auch nicht darum, eine nach außen hin schöne Aktion rundweg zu verurteilen, sondern die Frage zu stellen: Geht es in erster Linie um die Sache oder mehr ums eigene Ego? Warum ist das kapitalistische System so stabil? Weil sich viele noch so idealistische Initiativen irgendwann dem Markt ausliefern und nach Aufmerksamkeit, Klicks und Geld gieren. (Eva Maria Bachinger, 4.12.2019)