Hauchdünne Elektroden können bestimmte körperliche Veränderungen erkennen, sind aber stabil und reißfest.

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Kinder-Tattoos sind seit Jahren sehr populär, da es unendlich viele Motive gibt, die nach kurzem Befeuchten auf der Haut haften. Das Spezialpapier ist aber auch in Forscherkreisen zunehmend beliebt, denn es erlaubt einfache und günstig herzustellende Gesundheitssensoren.

Wissenschafter bedrucken es etwa im Tintenstrahldrucker mit elektrischen Leiterbahnen und Elektroden und beschichten diese weiter, damit sie bestimmte körperliche Veränderungen erkennen.

Hauchdünne Hautsensoren auf Tattoo-Papier-Basis und anderen Materialien sind gut geeignet, Körperfunktionen und physiologische Werte mehrere Tage zu überwachen. Dabei stören sie nicht, da sie sich mit der Haut mitbewegen. Gleichzeitig müssen sie stabil genug sein, um nicht zu reißen.

Wachsender Markt

Der Markt für die Tattoo-Sensoren wächst. Einem Bericht von IDTechEx Research zufolge wurden 2018 mit den auch elektronische Pflaster genannten Sensoren weltweit 7,5 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet. Diese Summe könne bis 2029 auf rund 20 Milliarden US-Dollar steigen.

Katrin Unger, Doktoratsstudentin an der TU Graz, will mit ihrem Tattoo-Sensor beim Menschen bleiben und pH-Wert-Veränderungen im Schweiß auf der Haut erkennen. Diese ist von einem leicht sauren Film bedeckt, um Keime abzuwehren.

Weicht der pH-Wert von dem gesunden Wert 5,5 ab, kann die Haut rissig und damit durchlässiger für Bakterien und Viren werden. pH-Wert-Veränderungen können aber auch auf Probleme im Elektrolythaushalt und bei Chemotherapie-Patienten auf ungewollte Nebenwirkungen hinweisen.

Elektroden, dünner als ein Haar

Für ihr Miniaturlabor druckt Unger zunächst mit dem Tintenstrahldrucker elektrische Leiterbahnen aus einem Spezialkunststoff auf das Papier. Auf diese Elektroden, die dünner als ein Haar sind, soll in einem zweiten Schritt im Vakuum ein pH-reaktives Hydrogel chemisch aufgedampft werden. Dieses verhält sich dann wie ein Schwamm.

Sauren Schweiß absorbiert es besser als basischen, schwillt dann also stärker oder weniger an. Dadurch verändern sich die elektrischen Eigenschaften des Sensors unterschiedlich. Nun müssen weitere Experimente zeigen, welche elektrischen Signale welchen pH-Werten entsprechen. Für ihre Forschung erhielt Unger Anfang November das mit 25.000 Euro dotierte L’Oréal-Österreich-Stipendium "For Women in Science" vom Wissenschaftsministerium und von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Mit ihrer Forschung verknüpft die Jungwissenschafterin die Arbeit zweier TU-Graz-Forscher: Anna Maria Coclite, in deren Gruppe Unger arbeitet, – sie hat 2016 für ihre Forschung zur Herstellung einer smarten künstlichen Haut einen ERC Starting Grant in Höhe von 1,5 Millionen Euro erhalten – und Francesco Greco, der auch druckbare Elektroden auf Tattoo-Papier-Basis zur Diagnostik entwickelt.

Zwanzigmal empfindlicher

Coclites Kunsthaut soll einmal ähnlich dem echten Vorbild Feuchtigkeits-, Temperatur- und Druckveränderungen spüren. Sie ist besonders einfach herzustellen und soll zwanzigmal empfindlicher als menschliche Haut werden. Für die bessere Auflösung werden später 2000 Nanostäbchen pro Quadratmillimeter sorgen. Die Empfindlichkeit läge damit weit über jener unserer Fingerspitzen, deren Auflösung bei einem Millimeter liegt.

Um die Materialien dafür im Nanobereich manipulieren zu können, brachte die italienische Chemikerin zweierlei Abscheidungstechnologien von einem Forschungsaufenthalt in den USA mit. In Kombination mit pH-Messungen kann man mit den Elektroden später Bakterien in Wunden früh aufspüren.

Die Nanostäbchen bestehen aus einem piezoelektrischen Kernmaterial, umhüllt von einem Hydrogelmantel, der sich sowohl bei Temperatur- als auch bei Feuchtigkeitsveränderungen durch Schweißaufnahme ausdehnt. Das übertrifft bisherige Sensormaterialien, die nur auf eine Eigenschaft reagieren. Schwillt nun der Mantel in Coclites Hybridmaterial an, löst der entstehende Druck auf den Kern eine Spannung in ihm aus.

Elektrische Stimuli

Wie aber weiß der Kern, ob das Hydrogel auf Temperatur- oder auf Feuchtigkeitsänderungen reagiert? "Diese lösen elektrische Stimuli in verschiedenen Intensitätsbereichen aus", erklärt Coclite das Ergebnis von Computersimulationen. Bevor die Komponenten auch im Labor getestet werden können, will die Forscherin die Form und Anordnung der Kerne optimieren, damit sie sie sich nicht gegenseitig stören.

Francesco Grecos gedruckte Tattoo-Elektroden können sogar Körpersignale durch Haut und Knochen detektieren. Für die Messung der elektrischen Aktivität von Muskeln (Elektromyografie, EMG) und des Gehirns (Elektroenzephalografie, EEG) kommen meist Gel-Elektroden zum Einsatz. Diese sind für Langzeitmessungen nicht gut geeignet, erklärt Greco, da sie nicht flexibel genug seien, das Kontaktgel schnell austrockne und wachsende Haare die Elektroden wegdrückten.

Sensoren haften ohne Gel

Diese Probleme umgeht man mit den Tattoo-Sensoren des Forschers, die er mit Kollegen an des Istituto Italiano di Tecnologia in Pontedera und der Università degli Studi in Mailand sowie der Scuola Superiore S. Anna in Pisa entwickelt hat. Sie haften ohne Gel, und auch Haare wachsen einfach durch sie hindurch, ohne dass die winzigen Löcher die Funktion beeinträchtigten.

EMG-Sensoren lieferten bei Sportlern drei Tage lang stabile Messwerte. Für die neueste Elektroden-Inkarnation für EEG-Messungen, die wegen geringer Amplituden eine besonders gute Elektrodenhaftung erfordern, lösten Greco und Kollegen zwei weitere Probleme. Anpassungen auf der Sensoroberfläche und bei der Dicke der leitenden Schicht sorgten für bessere Signalstärken als herkömmliche Messungen.

Da die neuen Tattoo-Elektroden komplett mit Polymeren druckbar sind, erleichtern sie kombinierte Messungen der elektrischen und magnetischen Aktivität des Gehirns. Die Magnetfeldmessung wird von Metallbestandteilen der Elektroden oft gestört. Als Fernvision skizziert Greco drahtlose Tattoo-Elektroden mit eingebautem Transistor, die Signale nicht nur empfangen, sondern auch senden und damit Körperteile stimulieren könnten. (Veronika Szentpétery-Kessler, 8.12.2019)