Nach der Westbahn stehen auch die Signale für die Fahrprüfung der ÖBB-Lokführer auf Rot und die Staatsbahn unter Beobachtung.

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Die Affäre um mutmaßlich gefälschte Lokführerzeugnisse hat offenbar eine viel größere Dimension, als bisher bekannt. Sie erfasst nach der privaten Westbahn nun den marktbeherrschenden Bahnanbieter Bundesbahn. Wie sich aus einem offenen Brief eines ehemaligen Rechnungshofprüfers an Verkehrsminister Andreas Reichhardt erschließt, war die von ÖBB-Betriebsräten und der Eisenbahnergewerkschaft Vida als vorbildlich gepriesene Lokführerausbildung der Staatsbahn doch nicht so vorbildhaft.

Bei den alle drei Jahre zu wiederholenden Prüfungen war das zuständige Prüforgan offenbar genauso wenig anwesend wie bei den vor wenigen Wochen beanstandeten Prüfungen der Westbahn-Lokführer. Außerdem dürften Prüfzeugnisse ad infinitum ausgestellt worden sein, obwohl die Beurkundung obligatorisch regelmäßig zu wiederholen beziehungsweise überprüfen ist.

Mord als Auslöser

Ins Rollen kam die Causa, die nun die Oberste Eisenbahnbehörde im Verkehrsministerium und die für die Erteilung der Fahrerlaubnis für Triebfahrzeugführer (nach Vorlage der einschlägigen Zeugnisse) zuständige Schieneninfrastrukturgesellschaft Schig (eine dem Verkehrsministerium nachgeordnete Gesellschaft) unter Druck bringt, ausgerechnet durch einen Mord am Nationalfeiertag. Der für die fachliche Leitung und Ausbildung im ÖBB-Ausbildungszentrum in Wörth bei St. Pölten zuständige ÖBB-Fachlehrer und -Instrukteur wurde in einem Hotel in St. Pölten ermordet. Er sei deshalb, so notierte der Anzeiger, nicht mehr dazugekommen, die Prüfungsprotokolle des am 25. Oktober abgeschlossenen Ausbildungskurses nachträglich zu unterfertigen.

Ist die Prüfung von Führerscheinen für Cityjet und Co hinfällig?
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Wäre der ÖBB-Prüfer wie vorgeschrieben anwesend gewesen, hätte er die Papiere sofort beurkunden können. So aber nahm das Unglück seinen Lauf. Denn es stellte sich heraus, dass die gesamte Prüfungskommission versagte respektive nie vorhanden war. Denn Prüfungen wurden offenbar über Jahre hinweg von Einzelprüfern abgenommen und nicht, wie in der Triebfahrzeugführer-Verordnung vorgesehen, von einer dreiköpfigen Kommission aus je einem Kommissär für die technische Teilprüfung, die betriebliche Teilprüfung und für die praktische Teilprüfung, wie die Prüfungsfahrt, auf der spezifische Kenntnisse für einen bestimmten Triebfahrzeugtyp unter Beweis zu stellen sind, im Fachjargon heißt.

Prüfungen hinfällig

Die Auswirkungen dieses Versagens – auch der für Eisenbahnsicherheit zuständigen Eisenbahnbehörde – wären dramatisch für die Österreichische Bundesbahn und vor allem die Fahrgäste: Da sich Anzeichen mehren, dass nach diesem Muster bereits seit mindestens drei Jahren verfahren wird, wären alle Triebfahrzeugprüfungen für die Elektrotriebfahrzeuge des Typs ÖBB-Cityjet von Siemens hinfällig. Der Verkehr mit rund hundert Schnell- und Regionalbahnzügen der ÖBB, mit denen der tägliche Pendlerverkehr insbesondere in der Ostregion – inklusive Wiener Schnellbahn zwischen Wien-Floridsdorf und Wien-Meidling – absolviert wird, müsste mangels qualifizierter Lokführer stillgelegt werden.

Die ÖBB betont, Prüfer H. sei nicht der Einzige im Dienst der ÖBB gewesen. Daher gebe es keinen Stillstand bei Ausbildungen. Und überhaupt könne man die Vorwürfe nicht nachvollziehen, alle Prüfungen liefen gemäß den einschlägigen Gesetzen und Verordnungen ab, versicherte ein ÖBB-Sprecher. "Alle Züge fahren bei uns unter Einhaltung höchster Sicherheitsstandards."

Das Verkehrsministerium verweist darauf, dass erst nach einem Ermittlungsverfahren eine Stellungnahme erteilt werden kann. Ein Zusammenhang mit dem Mord in St. Pölten sei nicht erkennbar, auch habe der Anzeiger offenbar einige eisenbahnrechtliche Bestimmungen durcheinandergebracht. Eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft sei jedenfalls noch nicht erfolgt. (Luise Ungerboeck, 5.12.2019)