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PRO: Raus aus dem Hinterzimmer

von Fabian Schmid

Knapp einen Monat ist es her, dass aus den tagelangen Sondierungen echte Regierungsverhandlungen wurden. Doch nach wie vor schweigen ÖVP und Grüne, wenn es um inhaltliche Fragen geht. Die Chefs schwurbeln von "Brücken bauen" und "Brocken wegräumen", die anderen Verhandler halten sich brav an das vorgegebene Schweigegelübde.

Aber warum eigentlich? Jeder weiß, dass ÖVP und Grüne inhaltlich weit voneinander entfernt sind und dass die ÖVP mehr als 2,5-mal so viele Stimmen wie die Grünen bekommen hat und dass eine Koalition nur mit Kompromissen möglich ist. Was hindert die beiden Parteien daran, immer wieder einen aktuellen Zwischenstand der Verhandlungen zu präsentieren? So hingegen wird die Zukunft des Landes monatelang im Hinterzimmer ausverhandelt, bevor zumindest die grüne Basis nach einer Art von "Friss oder stirb!" mit dem Koalitionspapier konfrontiert wird. Könnten die Parteien nicht schon vorher Vorschläge präsentieren, Experten und die Bevölkerung miteinbeziehen?

So, wie derzeit verhandelt wird, wirkt es nach alter Message-Control mit neuem, grünem Anstrich. Wird diese durchexerziert, dann wird die Regierung wohl kurz vor Weihnachten stehen. Bald darauf ist die Öffentlichkeit mit Geschenkeauspacken und Silvesterfeiern statt mit einer kritischen Analyse des Regierungsvertrags beschäftigt. Transparenz und Offenheit sehen jedenfalls anders aus. (Fabian Schmid, 4.12.2019)

KONTRA: Lasst ihnen Beweglichkeit!

von Sebastian Fellner

Niemand ist gegen Transparenz in der Politik – nicht einmal jene, die genau diese Transparenz seit Jahrzehnten verhindern und gerade eine weitere Regierungsbeteiligung verhandeln. Die Politik muss mit offenen Karten spielen. Doch es gibt berechtigte Ausnahmen.

Sicherheitspolitische Bedenken und Privatsphäre spielen dabei eine Rolle. Auch wenn es um Koalitionsverhandlungen geht, kann es legitim sein zu schweigen. Denn solche Gespräche sind schwierig – besonders wenn Parteien sie führen, die inhaltlich so weit auseinanderliegen wie die Volkspartei und die Grünen. Sie verhandeln komplexe politische Themen. Und die bestmögliche Einigung ist nicht immer die, bei der sich beide Parteien in der Mitte treffen. Viel besser ist es oft, wenn eine Lösung gefunden wird, die allen politischen Interessen gerecht wird.

Doch diese Lösungen verlangen den Verhandlern einiges an Flexibilität und Geschick ab. Das fällt ihnen ohnehin nicht leicht, haben sie doch die Parteibasis im Rücken, die einen etwaigen Koalitionspakt mittragen muss. Wenn noch dazu die Öffentlichkeit über jeden Verhandlungsschritt informiert ist, von jedem Nachgeben, Einknicken oder Durchsetzen erfährt, nimmt das den Parteien die Beweglichkeit. Das Ergebnis wäre ein schlechteres Regierungsprogramm – und das kann in niemandes Interesse sein. (Sebastian Fellner, 5.12.2019)