In der Nähe der ehemaligen IS-Hauptstadt Raqqa erinnert noch ein Checkpoint an die Schreckensherrschaft der Terrormiliz. Kurden haben im März einen österreichisch-türkischen Staatsbürger festgenommen, der sich dem IS angeschlossen hatte.

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Er muss die österreichische Staatsbürgerschaft abgeben, nur weiß er das wohl noch nicht. Jener junge Mann mit türkischer und österreichischer Staatsbürgerschaft, der 2013 nach Syrien reiste und sich dem "Islamischen Staat" anschloss, wurde im März von kurdischen Soldaten festgenommen und ist jetzt für die Behörden unauffindbar.

Am Mittwoch aber wurde der Bescheid versandt, der besagt, dass ihm die österreichische Staatsbürgerschaft entzogen wurde, wie dem STANDARD von mehreren Stellen bestätigt wurde. Dem ging ein monatelanger Versuch der Kontaktaufnahme voraus, wie Werner Sadlak, Leiter der Magistratsabteilung 35, zuständig für Einwanderung und Staatsbürgerschaft, sagt. In Fällen wie diesen versuche man erst, über Verwandte und Botschaften im Ausland den Betroffenen zu finden, gelingt dies nicht, wird ein Abwesenheitskurator bestellt. Dieser vertritt dann seine Interessen und gilt als Ansprechperson für die Behörden. Im Fall des IS-Kämpfers ernannte ihn das Bezirksgericht Ottakring. Der Abwesenheitskurator kennt den IS-Kämpfer nicht, dennoch kann er an seiner Stelle binnen vier Wochen Beschwerde gegen den Bescheid einlegen. Damit ist er noch nicht rechtskräftig.

Eine Staatsbürgerschaft bleibt

Grundlage für den Entzug der Staatsbürgerschaft ist in diesem Fall ein Paragraf im Staatsbürgerschaftsgesetz. Er greift, wenn jemand "freiwillig für eine organisierte bewaffnete Gruppe aktiv an Kampfhandlungen im Ausland im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes teilnimmt". Aber nur sofern er dadurch nicht staatenlos wird – was im aktuellen Fall nicht eintreten würde. Er ist damit der zweite bekannte österreichisch-türkische IS-Kämpfer, dem seine Staatsbürgerschaft entzogen wird. Ein Verfahren, das Anfang 2018 begonnen wurde, ist rechtskräftig abgeschlossen. Der damals Betroffene saß in einem österreichischen Gefängnis, der Bescheid zur Aberkennung konnte ihm zugestellt werden.

Lange Verfahrensdauer

Sechs weitere derartige Fälle sind noch offen, bei diesen wird aktuell geprüft, ob die Kriterien des entsprechenden Paragrafen im Staatsbürgerschaftsgesetz erfüllt werden. Eines steht fest: Alle sechs Personen haben zwei Staatsbürgerschaften, heißt es von der MA 35. "Wir sind mitten in den Ermittlungsverfahren", sagt Leiter Sedlak. Die Verfahrensdauer sei jedoch erfahrungsgemäß recht lang, weil erst alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden müssen, bevor ein Bescheid in Abwesenheit zugestellt werden darf.

Auch im aktuellen Fall wurden erstmals im März Stimmen laut, die den Entzug der Staatsbürgerschaft forderten, konkret von Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). Er wies damals die MA 35 an, den Fall zu überprüfen – sie wird aber auch eigenständig aktiv. Mit der Einleitung des Verfahrens wollte Wien ein "deutliches Zeichen" setzen, sagte Ludwig und richtete dem damaligen Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) aus, rasch eine Lösung für zurückkehrende IS-Kämpfer zu finden: "Der Bund ist gefordert, hier eine generelle Entscheidung zu treffen. Aber wir warten nicht", sagte Ludwig. Eine Forderung, die er nun noch einmal bekräftigte.

Bezog Mindestsicherung

Schon vor März dürfte der IS-Kämpfer zwischendurch wieder in Wien gelebt haben. In den Jahren 2014 und 2015 bezog er sogar Mindestsicherung, in Medienberichten ist die Rede von 12.400 Euro. Zuvor wurden Ermittlungen wegen des Verdachts auf Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung mangels Beweisen auf Eis gelegt. Im November 2015 wurden diese wieder aufgenommen, seit Anfang 2016 bestand ein internationaler Haftbefehl.

Laut Bundesverfassungsschutz (BVT) waren Ende des Jahres 2018 320 aus Österreich stammende Personen bekannt, "die sich aktiv am Jihad in Syrien und dem Irak beteiligen oder beteiligen wollten". Davon seien laut unbestätigten Informationen vermutlich 58 Personen in der Region ums Leben gekommen und 93 Personen wieder nach Österreich zurückgekehrt. Weitere 62 konnten, so heißt es im BVT-Bericht, an einer Ausreise gehindert werden und halten sich nach wie vor im Bundesgebiet auf. 107 der sogenannten Foreign Terrorist Fighters aus Österreich dürften sich Ende 2018 noch im Kriegsgebiet befunden haben. (Gabriele Scherndl, 5.12.2019)