Tausende Packerln verlassen täglich die Logistikzentren von Amazon. Betrüger haben sich die Paketflut zunutze gemacht.

Foto: AFP / Daniel Leal-Olivas

Als die englische Nachrichtensprecherin Emily Maitlis im August über Amazon ein neues iPad bestellte, staunte sie nicht schlecht, als stattdessen ein Paket, korrekt adressiert, mit einer Ladung Waschmittel ankam. Sie reklamierte sofort. Am nächsten Tag wurde eine Packung Haferflocken geliefert und, wie am Vortag, an einem "sicheren Ort" an Maitlis’ Adresse hinterlegt. Die BBC-Moderatorin schrieb auf Twitter, niemand hätte geklingelt, und beschwerte sich öffentlich bei Amazon.

Dutzende Twitter-User kommentierten, ihnen sei Ähnliches passiert: Hochwertige Produkte seien geordert worden, jedoch nie angekommen. Statt teurer Kameras erhielten Kunden Pakete mit Backsteinen, Laptops wurden zu Säcken voll Gartenerde. Ein britischer Kunde schrieb, er habe eine Bratpfanne bestellt, jedoch eine Flasche Jack Daniels in limitierter Frank-Sinatra-Edition erhalten. An einem Umtausch, so schrieb er, sei er nicht interessiert.

Paket kommt zum Ersatzempfänger

Ein weiteres Detail stimmte in den Schilderungen der Betroffenen oftmals überein: Die Lieferungen wurden entweder vor der Tür abgestellt oder beim Nachbarn gelassen, scheinbar ohne Versuche, die Sendung direkt an den Besteller zuzustellen. Maitlis gab an, die Pakete seien in beiden Fällen intakt gewesen. Ein bloßer Gag waren die Haferflocken nicht: Sie wogen genauso viel wie das iPad, das sie bestellt hatte. Wer hinter dem Austausch gesteckt hatte, blieb dennoch ungeklärt.

Der Frage, ob derartige Betrugsmodelle auch auf dem deutschen und österreichischen Markt zu beobachten seien, wich der Konzern aus, man könne Formen von Missbrauch oder Betrug nicht im Detail behandeln, sagt ein Sprecher für Amazon Deutschland und Österreich. Amazon habe Systeme, die automatisch und fortlaufend zahlreiche Informationen analysierten, um betrügerische Aktivitäten zu erkennen.

E-Commerce mag zwar weiter boomen – der EU-weite Umsatz wuchs im vergangenen Jahr auf 621 Mrd. Euro an, ein Wachstum von mehr als 13 Prozent. Aber der Erfolg des Onlinegeschäfts hat eine Kehrseite: Die Automatisierung von Verkaufs- und Lieferprozessen, von denen der Sektor lebt, ist ein gefundenes Fressen für Betrüger.

Auch Verkäufer werden Opfer

Es sind allerdings nicht immer die Käufer, die E-Commerce-Gaunereien zum Opfer fallen. Wer beispielsweise auf Ebay Produkte feilbietet, läuft Gefahr, nach einem ehrlichen Verkauf leer auszugehen. Seit geraumer Zeit floriert ein bestimmter Streich auf der britischen Variante der Plattform besonders: Betrüger posieren als Käufer, bezahlen und erhalten die Ware. Der vermeintliche Käufer reklamiert anschließend den Zustand des Gegenstandes und verlangt eine Rücksendung samt Rückerstattung des Geldes.

Doch zurückgeschickt wird nicht der bestellte Artikel, sondern Reis, an eine andere Adresse mit gleicher Postleitzahl: Der von Ebay gestellte Retourscheine zum Selbstausdrucken wird per Photoshop manipuliert, eine falsche Empfängeradresse rückt an die Stelle der richtigen.

Ebay registriert nämlich nur, dass das Retourlabel an einem Ort mit gleicher Postleitzahl eingetroffen ist, und veranlasst sofort die Rückerstattung des Geldes. Die genaue Zustelladresse wird von Ebay nicht überprüft. Proteste der Verkäufer treffen meist auf taube Ohren: Ebay schlägt sich fast immer auf die Seite des Käufers (Käuferschutz). Das Unternehmen gibt automatisierten Datenerfassungssystemen, die täglich Millionen von Transaktionen scannen, die Schuld. Auf dem deutschen und österreichischen Ebay- Markt habe man diese spezielle Form des Betrugs bisher nicht beobachten können, sagte ein Sprecher. Vielleicht ist es aber auch nur eine Frage der Zeit, bis es auch hierzulande zu solchen Vorfällen kommt.

Österreich noch verschont

Jakob Kalina von der Konsumentenabteilung der österreichischen Arbeiterkammer hat zwar bisher nur über die Medien von Päckchen voller Sand gehört. Doch auch in Österreich kommen E-Commerce-Gauner auf ihre Kosten. Ein Szenario, bei dem seine Abteilung schon öfter schlichten musste, ist das "leere Paket". "Der Kunde behauptet in diesem Fall, es sei eine leere Schachtel zugestellt worden", erklärt Kalina. "Der Händler beteuert, den Artikel gesendet zu haben." In solchen Fällen greift der Konsumentenschutz: Der Verkäufer trägt das Gefahrenrisiko und muss dem Kunden die Ware erneut senden.

"Das mag für Riesen wie Amazon kein Problem sein, nach dem Motto: Die meisten Verkäufe laufen glatt. Doch für ein kleines Unternehmen ist das natürlich sehr belastend, wenn ein 500-Euro-Laptop weg ist und neu geliefert werden muss," sagt Kalina. Der Trick funktioniert auch bei privaten Ebay-Verkäufern: Diverse Onlineforen wimmeln von Betroffenen, die mit der Nummer "leeres Paket" übers Ohr gehauen wurden.

Prinzipiell seien die für die Eindämmung derartiger Betrugsmodelle notwendigen Gesetze vorhanden, sagt Konsumentenexperte Kalina. Wer fälschlich angibt, einen Artikel nicht erhalten zu haben, macht sich wegen Betrugs strafbar. Doch das Problem ist die Beweisschwierigkeit. Wie soll der ursprüngliche Inhalt eines Paketes bewiesen werden? "Das Ganze basiert auf Vertrauen", sagt Kalina. Und wenn sich eine Seite nicht daran halte, dann werde es schwierig. Man könnte sich also sogar die gephotoshoppten Ebay-Retourscheine sparen, und einfach behaupten, man habe das iPhone tatsächlich zurückgeschickt.

An einen Fall kann Kalina sich besonders gut erinnern. "Eine Konsumentin konnte beweisen, dass sie zu einer gewissen Zeit beim Arzt war", erzählt er. "Es gab aber auch eine Empfangsbestätigung, dass die Dame zu Hause zur gleichen Zeit ein Paket angenommen habe." Man habe entschieden, dass der Lieferdienst schuld gewesen sei, die Konsumentin wurde entschädigt.

Vom Opfer zum Täter

Von der Polizei wisse er, so Kalina, dass viele Opfer derartigen Betrugs zu Tätern werden. "Den Leuten passiert so was, und sie merken, dass Narren- und Straffreiheit herrscht. Man bekommt mit, dass eh nix passiert."

Könnten solche Zustände dazu führen, dass Verbraucher in Zukunft dem Onlineshopping den Rücken kehren? Direkt von einem reputablen Anbieter zu kaufen, anstatt online nach potenziell dubiosen Schnäppchen zu suchen, sei oftmals tatsächlich sicherer und habe selbstverständlich seinen Reiz, meint Kalina. "Doch dass jemand sagt: ‚Ich werde in Zukunft nicht mehr online kaufen, weil ich betrogen wurde‘, habe ich noch nie gehört." (Jedidajah Otte, 8.12.2019)