"Phoenix Point"
"Phoenix Point"
"Phoenix Point"
"Phoenix Point"
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"Phoenix Point"

Wenn erfolgreiche Spielideen inspiriert nachgebaut werden, spricht man von Epigonen; wenn das scheinbare Imitat allerdings über zwei Banden vom Erfinder des Originals kommt, darf man von liebevoller Weiterentwicklung sprechen. Die Rede ist von Julian Gollop: Der legendäre britische Spieleentwickler hat als Schöpfer des Original X-Com, Anfang 1994 in Europa unter dem Titel UFO: Enemy Unknown erschienen, die Blaupause für ein ganzes, höchst erfolgreiches Strategiegenre geliefert. Taktische, rundenweise ablaufende Gefechte zwischen kleinen Gruppen von Soldaten und Monstern auf der einen, globalstrategische Ressourcenplanung, Forschung und Basenbau auf der anderen Seite: Das ist das Patentrezept, das durch endlose Nachahmer, aber vor allem durch die offizielle Wiederbelebung der Franchise durch Firaxis mit der sehr erfolgreichen, entschlankten XCOM-Reihe ab 2012 unzählige neue Fans gewonnen hat.

Mit Phoenix Point kehrt der Meister höchstpersönlich zurück und setzt kickstarterfinanziert seine Version eines modernen XCOM-Nachfolgers in die Tat um. Die Basics sind dabei gleich geblieben: Diesmal bedrohen durch einen Virus mutierte Monster die Menschheit, als Leiter einer schlagkräftigen Geheimorganisation sitzen Spieler*innen an den zentralen Schalthebeln des Abwehrkampfs. Es gibt Basen, es gibt Forschung, es gibt bis an die Zähne bewaffnete Einsatzteams, die gegen eine Vielzahl von mutierten Bösewichten ins Feld ziehen, kurz: Es ist alles so, wie man es aus XCOM und Co auch kennt.

Mit einigen kleinen Innovationen: Das Zielsystem der Schusswaffen ist völlig neu konzipiert. Das ermöglicht zum einen Körperteiltreffer, die vor allem beim Kampf gegen Bossmonster essenziell wichtig sind, und es entschärft die legendär absurden Fehlschüsse aus nächster Nähe, für die XCOM berüchtigt war. Zudem darf man sich mit drei stark unterschiedlichen Fraktionen menschlicher Überlebender diplomatisch verbünden oder bekriegen: Militaristen, Wissenschafter und eine esoterischer Mutation zugetane Sekte bringen vor allem im späteren Spielverlauf eigene Dramatik in die Kampagnen. Was ebenfalls neu ist: Die Standardgegner passen sich im Spielverlauf durch Mutationen unserer bevorzugten Taktik an und bleiben so gefährlich – ein netter Trick.

Phoenix Point

Was ist gelungen?

Atmosphäre und Handlung sind bei aller Ähnlichkeit zu XCOM eigenständig und interessant, der zentrale Gameplay-Kern bleibt spannend und motiviert wie eh und je. Die verbesserte Zielfunktion ist ein willkommenes Novum, das man bald nicht mehr missen möchte. Das Verhältnis zu den oft untereinander verfeindeten Fraktionen gibt jeder Kampagne zusätzliche narrative Tiefe und motiviert zum Ausprobieren verschiedener Strategien und Allianzen.

Was ist weniger gelungen?

Mit Bugs ist vor allem jetzt, kurz nach Release, zu rechnen, doch die größte Schwäche von Phoenix Point liegt in seiner Natur: Originalität hat dieses Spiel nicht zu bieten, und es misst sich an Kultspielen, die in einigen Details und vor allem durch die XCOM2-Expansion War of the Chosen jahrelang bis zur Perfektion auf Hochglanz poliert wurden. Gerade zu Spielbeginn warten auch einige Längen, bis nach vielen Standardeinsätzen endlich motivierendere Spezialeinsätze und Storymissionen die Spannung spürbar ansteigen lassen.

Phoenix Point

Fazit

Wer sich von Julian Gollop eine umfassende und revolutionäre Weiterentwicklung "seines" Genres erwartet hatte, wird enttäuscht sein, dass hier "nur" Feintuning und kleinere Innovationen geboten werden. Wer hingegen auf der Suche nach frischem Futter für die latent schlummernde XCOM-Sucht ist, hat keinen Grund zu klagen, im Gegenteil: Nach einem etwas lauen Beginn verfällt man trotz momentan noch hin und wieder störender Bugs dem düsteren Charme dieser ganz speziellen Postapokalypse und freut sich über die kleinen, aber feinen Unterschiede. Phoenix Point stellt sich selbstbewusst neben seine älteren Geschwister – und wird nicht nur Genrefreunden zahllose verspielte Tage und Nächte bereiten. (Rainer Sigl, 8.12.2019)