"Die linkshändige Frau" war 1978 Peter Handkes (Mitte) Kinodebüt als Regisseur. Edith Clever und Bruno Ganz spielen die Hauptrollen.

Foto: Filmarchiv

Das filmische Werk von Peter Handke beginnt mit einer großen Frage: "Wie soll man leben?" So steht es am Eingang zu Chronik der laufenden Ereignisse, einer Fernseharbeit im Auftrag des WDR, fertiggestellt im Jahr 1971, zu datieren aber auf das Jahr 1969, also auf einen Zeitpunkt, zu dem die Studentenrevolten sich in dogmatischen Fraktionierungen zu verlaufen begannen, während ein anderer Trend in Richtung einer neuen Sensibilität ging. Handke war damals auf dem Höhepunkt seines frühen Ruhms. So bot ihm das wichtigste unter den deutschen Dritten Programmen an, einen Film ganz nach seinen Vorstellungen zu machen.

Die Frage nach dem richtigen Leben wird in der Chronik der laufenden Ereignisse einerseits ästhetisch verrätselt, sie wird aber auch mit einer Strategie angegangen, die gut in die Zeit passte: Sie wird ausdiskutiert. Wobei die Haupt figur, quasi ein Lebensrichtungsdetektiv namens Spade, gespielt von Rüdiger Vogler, gern auch einmal ein Argument im Ungefähren ankommen lässt. Und manchmal reicht es, einen Sixties-Hit nachzusingen: "Sweet little girl, that’s my little Sheila." Der Name Spade enthielt eine Anspielung, die Programm war: Sam Spade war eine Figur aus den Kriminalromanen von Dashiell Hammett und im Kino für alle Zeiten mit Humphrey Bogart verbunden.

Alle Probleme werden im Kino zu Genres, hat Handke später einmal geschrieben. Man kann seinen Weg mit dem Kino durchaus als eine Emanzipation von dieser Annahme lesen. Mit der Schau Peter Handke. Filmarbeiten (bis 23.12.), die im Filmarchiv Austria nun bis Weihnachten läuft, kann man eine spannende Verlaufskurve beobachten, und man kann sie, wenn man auch Zeit zum Lesen hat, mit der Entwicklung des frühen zum späten Dichter Peter Handke vergleichen.

Zeitgenosse ohne Distanz

Zum Kino kam Handke wie von selbst als ein (für damalige Verhältnisse) Popliterat. Mit Wim Wenders drehte er den Kurzfilm 3 amerikanische LPs (1969), ein kleines Stück Konzeptkunst über die Verehrung für Van Morrison oder Creedence Clearwater Revival, aber auch für die Medienmaterialität in der Zeit. Wenders verfilmte danach Handkes Roman Die Angst des Tormanns beim Elfmeter auf eine Weise, die schon ahnen lässt, welche Probleme es bei der Übersetzung von einer Literatur, die alles andere als buchstäblich ist, in das unweigerlich viel konkretere Bildmedium geben kann.

In der Chronik der laufenden Ereignisse kam dann viel von dem zusammen, was man wohl Zeitgeist nennen kann. Handke griff Strategien von Godard oder von den Situationisten auf, er ließ zumindest in Ansätzen ausdrückliche Politik in seine Welt dringen, er zeigte sich auf jeden Fall als Zeitgenosse und nicht als einer, der sich in Distanz zu seiner Ära begreift. Von diesem Auftakt führt der Weg dann bis zu L’absence (Die Abwesenheit, 1992). Hier ging Handke von seinem eigenen, gleichnamigen Roman aus, der in seinem Werk eine Schlüsselstellung einnimmt, und der übrigens in der Buchfassung mit einem "Blick" erzählt wird, der einer entfesselten – oder jedenfalls einer frei beweglichen – Kamera bedürfte. Wie so häufig geht es um einen Aufbruch, um eine Bewegung in eine eigentümliche Welt(wahrnehmung). Neben Bruno Ganz und Jeanne Moreau ist hier auch Sophie Semin zu sehen, die langjährige Lebensgefährtin und Freundin Handkes in den späten Jahren.

Einzelgängerei und Nähe

In dem Porträtfilm Bin im Wald, kann sein, dass ich mich verspäte von Corinna Belz, den das Filmarchiv auch zeigt, hört man ihn telefonieren, wie er sich mit Sophie verabredet, sie in Paris, er außerhalb, in einer Beziehung, die Einzelgängerei und Nähe gleichermaßen kennt.

Handkes Frauen, zu denen ja auch Jeanne Moreau zählt, sind in seinen Filmen stets präsent. In Das Mal des Todes (nach Marguerite Duras) spielt Marie Colbin die Hauptrolle, und Libgart Schwarz taucht in Chronik der laufenden Verhältnisse auf. Neben den kanonischen Kinoarbeiten von Handke, an denen er als Autor beteiligt war, gibt es in dem Programm auch noch eine österreichische Spezialität: Wolfgang Glücks Adaptation von Wunschloses Unglück. Eher kurios, als Zeitdokument aber unbedingt sehenswert ist schließlich Helmut Veselys Der kurze Brief zum langen Abschied, in dem man sieht, wie man mit übermächtiger Filmmusik (Brian Eno) und haltloser Kamera über einen Text stolpern kann. Die Frage nach dem richtigen Leben ist manchmal leichter zu beantworten als die Frage nach der richtigen Einstellung. Vielleicht hat Peter Handke das auch irgendwann geahnt, und sich auf das Handwerk mit dem Bleistift konzentriert. (Bert Rebhandl, 6.12.2019)