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Auch bei der dritten Strophe von Österreichs Nationalhymne nehmen die deutschen Sozialdemokraten für die Gestaltung ihres Parteitags Anleihe.

Foto: Reuters / Fabrizio Bensch

"Es war eine sehr lebhafte Sitzung", sagt Saskia Esken, als sie am Donnerstagnachmittag mit einstündiger Verspätung vor das Willy-Brandt-Haus tritt, um die frierenden Journalisten über die neuesten Beschlüsse zu informieren.

Lebhaft bedeutet, nicht nur bei der SPD, so viel wie: Man hat sich heftig gestritten. Und das kann, mit Blick auf die Lage bei den deutschen Sozialdemokraten, absolut jeder nachvollziehen.

In Berlin soll am Freitag die neue Parteiführung offiziell ins Amt gehoben werden.
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Heute, Freitag, beginnt in Berlin der Parteitag, und immerhin ist der Zeitplan nun klar. Gegen Mittag werden sich Esken und ihr künftiger Co-Vorsitzender Norbert Walter-Borjans den Delegierten vorstellen, beide sollen rund 20 Minuten reden.

Komplizierte Wortspiele

Dann werden die beiden formal gewählt, die Groko-Kritiker sind ja als Gewinner aus einer aufwendigen, wochenlangen Chefsuche hervorgegangen und haben in der Stichwahl Finanzminister Olaf Scholz und die Brandenburger Politologin Klara Geywitz hinter sich gelassen.

Für den Sieg von Esken und "Nowabo" gibt es in Berlin einen neuen Begriff. Es ist von der "Eskabolation" die Rede, und damit ist durchaus auch gemeint, dass die Lage in der SPD und auch der großen Koalition jederzeit eskalieren könne.

Esken und Walter-Borjans ist zunächst nicht daran gelegen. "Es ist deutlich geworden, dass wir die Partei gemeinsam nach vorne bringen wollen", betont Walter-Borjans nach der Sitzung des Parteivorstandes, der den Parteitag vorbereitete. Im Vorstand wurde der Leitantrag einstimmig angenommen, auch die Nominierung für das neue Spitzenduo erfolgte ohne Gegenstimmen oder Enthaltungen.

Union soll Zugeständnisse machen

Per Leitantrag wird am Freitag beschlossen, dass die SPD eine Halbzeitbilanz der Regierung ziehen und überlegen soll, ob es "den einen oder anderen Gedanken" gibt über "Vorhaben, die über den Koalitionsvertrag hinausgehen", wie es Esken formuliert. Soll heißen: Man will der Union Zugeständnisse abringen, und dafür wurde der Leitantrag nun doch wieder verschärft.

Zunächst war von "Schritten" hin zu einem höheren Mindestlohn die Rede gewesen, nun aber wird eine Erhöhung auf zwölf Euro angepeilt. Derzeit liegt der Mindestlohn bei 9,19 Euro pro Stunde.

Streit ums Klimagift

Zudem wird die SPD, wenn der Leitantrag angenommen wird, für eine Erhöhung des CO2-Preises eintreten. Die große Koalition hat in ihrem Klimapaket beschlossen, eine Tonne mit zehn Euro zu bepreisen, Esken und Walter-Borjans hingegen sprechen immer wieder von 40 Euro pro Tonne.

Esken hätte gerne noch weitere Forderungen im Antrag gestellt, entschied sich dann aber für den Kompromiss. Allerdings räumte sie ein: "Aber Sie werden nachvollziehen können, dass es nicht die reine Lehre dessen, wovon wir überzeugt sind, sein kann. Das ist das Wesen eines Kompromisses. Aber es geht in die richtige Richtung."

Doch die Parteilinken sind mit dem Antrag offenbar nicht zufrieden. Sie fühlen sich ja durch die Wahl von Esken und Walter-Borjans sehr beflügelt und drängen auf ein baldiges Ende der großen Koalition.

Keine wachsweiche Formulierung

Für den Parteitag hat die Linke Hilde Mattheis einen Initiativantrag angekündigt. "Die Delegierten auf dem Parteitag erwarten, dass es eine Entscheidung über die Bilanz der großen Koalition und daraus ableitend eine Entscheidung über den Verbleib in der Koalition gibt", sagte sie in der "Passauer Neuen Presse" und mahnte: "Wir dürfen auf dem Parteitag keine wachsweichen Formulierungen beschließen."

Walter-Borjans hingegen will nicht, dass die Partei voreilig über ein Ende des Bündnisses abstimmt. "Es geht nach Inhalten, nicht nach Ja oder Nein", betont er.

Doch die Frage "Groko oder nicht Groko?" zieht sich wie ein roter Faden auch durch Personalfragen. Nebst der Wahl des Spitzenduos steht auch die Kür seiner Stellvertreter auf dem Programm. Als gesetzt gilt Geywitz, dies ist ein Zugeständnis an das in der Stichwahl unterlegene Groko-freundliche Lager. Auch die SPD-Chefin aus dem Saarland, Anke Rehlinger, soll Vizechefin werden.

Kühnert will ein Amt

Um den dritten Platz rittern Juso-Chef Kevin Kühnert, eher ein Groko-Gegner, und Arbeitsminister Hubertus Heil, ein Befürworter des Bündnisses. Möglicherweise zieht sich die SPD hier aus der Affäre, indem sie sie auf vier Stellvertreterposten einigt, dann können Kühnert und Heil zum Zug kommen.

Unfreundlicherweise hat sich vor dem Parteitag auch ein Altvorderer zur Lage der SPD gemeldet. Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder sagte über die Wahl von Esken und Walter-Borjans: "Ich habe das Verfahren für unglücklich gehalten, und das Ergebnis bestätigt meine Skepsis."

Ex-SPD-Chef Oskar Lafontaine hingegen sieht eine Chance, dass das neue Duo "mit dem Neoliberalismus brechen" wird. Esken und Walter-Borjans zeigen sich jedenfalls unverdrossen optimistisch. Sie wollen die SPD, die in Umfragen zwischen 13 und 15 Prozent liegt, binnen eines Jahres wieder auf "Zustimmungswerte von 30 Prozent und vielleicht mehr" bringen. (Birgit Baumann aus Berlin, 6.12.2019)