Ja, Schnecki, gibst du mir noch zehn Minuten? Mh?", sagt Gerlinde Seebacher in einem beruhigenden Tonfall zu ihrer vier Monate alten Tochter, als diese im Kinderwagen leise quengelt. Seebacher hat eine Geschichte zu erzählen, die fast unglaublich klingt. Es ist die Geschichte, wie sie die Mutter ihrer Tochter wurde – und dafür einen Samenspender auswählte, das Geschlecht ihres Babys festlegte und am Ende eine befruchtete Eizelle adoptierte.

Familie sei für sie keine Frage der Biologie, sagt Gerlinde Seebacher.
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"Bei mir war schon lange klar, dass ich auf natürlichem Wege keine Kinder kriegen kann", sagt die heute 44-Jährige. Gleich mehrere Erkrankungen seien dafür verantwortlich gewesen. Ihr erstes Kind, einen Sohn, bekam Seebacher vor fünf Jahren mittels In-vitro-Fertilisation (IVF), nachdem zuvor ein Versuch fehlgeschlagen war. Dabei werden nach einer Hormonbehandlung herangereifte Eizellen aus dem Eierstock der Frau entnommen, außerhalb des Körpers mit dem Samen des Partners befruchtet und wieder in die Gebärmutter eingesetzt. Insgesamt vier IVF-Durchgänge werden Paaren, die gewisse Voraussetzungen erfüllen, in Österreich mitfinanziert.

Emotional fordernd

Ein Jahr nach der Geburt ihres Sohnes kam der Kinderwunsch erneut. "Mein Freund und ich kommen beide aus Familien mit vier Kindern, deshalb wollten wir noch eines." Drei weitere IVF-Versuche waren ohne Erfolg, der dritte endete in einer Fehlgeburt in der zwölften Woche. Für das Paar eine emotionale Herausforderung: "Man darf das Thema nicht zu groß werden und alles davon bestimmen lassen." In einer anderen Kinderwunschklinik folgten zwei weitere erfolglose Versuche. Laut ihrem Arzt sei das Problem damals nicht die Qualität der Eizellen, sondern die des Spermas ihres Partners gewesen, so Seebacher. Und ein fremder Samenspender? Das sei für ihren Partner keine Option gewesen.

Also begann die Suche nach Alternativen. Bei der Adoption werden verheiratete Paare bevorzugt. Zudem können in Österreich jährlich nur sehr wenige Kinder adoptiert werden, die Wartelisten sind lang. Auch ein Pflegekind kam nicht infrage: "Dass es möglicherweise nicht für immer bei mir bleiben kann, wäre für mich und meine Bindung zum Kind wahnsinnig schwer gewesen", so Seebacher.

Bei ihrer Recherche stieß sie schließlich auf die Möglichkeit einer Embryoadoption. Das funktioniert so: Entscheiden Paare sich für eine künstliche Befruchtung, werden meist mehrere Eizellen entnommen und befruchtet. Erfüllt sich der Kinderwunsch dann schon beim ersten Mal, sind Embryos übrig. Sie können von anderen Paaren oder Frauen adoptiert werden, die diese dann austragen. "Für meinen Partner war es leichter zu ertragen, dass das Kind nicht von uns beiden ist", sagt Seebacher.

Kinder aus Embryoadoptionen sind also mit den Eltern, bei denen sie aufwachsen, genetisch nicht verwandt. Anderswo leben aber die Mutter und der Vater, eventuell auch genetische Geschwister.

Ethisch fraglich

In Österreich ist – anders als Sperma- und Eizellspende – die Embryonenspende gesetzlich verboten. Übriggebliebene Embryos werden für zehn Jahre tiefgefroren und dann entsorgt.

In anderen Ländern ist die Methode hingegen erlaubt. Und mehr noch: Im türkischen Teil von Zypern, wo Seebacher sich schließlich behandeln ließ, werden Embryos eigens kreiert – aus Eizellen einer streng anonymen Spenderin und Samen eines Spenders, den die künftige Mutter selbst auswählen kann. Wie "Zalando für Sperma" nennt Seebacher das. Man kann die Spender nach Aussehen, Stimme, Beruf oder Glaube filtern, auch Kinderfotos sind zu sehen und eine Art Motivationsschreiben. Für richtig hält Seebacher das selbst auch nicht: "Wonach sucht man das aus? Es ist eine befremdliche Situation."

Biologisch und ethisch betritt Seebacher Neuland.
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Auch die Methode selbst findet sie bedenklich. "Ich habe mich gegen meine eigene Ethik dafür entschieden, weil ich unbedingt ein Mädchen wollte", sagt sie. Denn auch das Geschlecht können sich die Eltern bei dieser Methode des Embryotransfers aussuchen.

Rund 12.000 Euro kostet ein Durchgang, rechnet Seebacher vor – inklusive Flüge und aller Medikamente, die den Körper auf den Embryo vorbereiten sollen. "Beim ersten Mal hat es nicht funktioniert. Der zweite Versuch wäre auch mein letzter gewesen, das habe ich vorher schon entschieden", so Seebacher. Zwei Wochen nach ihrer Rückkehr aus Zypern dann die Nachricht: Sie war schwanger.

Blut der Eltern

Die Freude wähnte aber nur kurz, denn eine Schwangerschaftsuntersuchung zeigte eine genetische Auffälligkeit. Um ausschließen zu können, dass das Kind beeinträchtigt sein könnte, bräuchten sie eine Blutprobe von Vater und Mutter, erklärten die Ärzte der werdenden Mutter. "Ich habe erfolglos versucht, Infos über die Eltern zu kriegen, und mich dann entschieden, das Kind dennoch zu bekommen", sagt Seebacher heute. Ob ihre Tochter ganz gesund ist, zeigt sich erst, wenn sie zwei Jahre alt ist. Bisher ist ihre Entwicklung gut.

Sie wolle eine Diskussion anstoßen, so Seebacher, und auf die Möglichkeit der Embryoadoption hinweisen, "ich will aber sicher nichts beschönigen". Dennoch sei die Methode eine Möglichkeit für die Frau, sich von der Biologie zu befreien.

In ihrem Umfeld wisse jeder davon. Auch ihrer Tochter will sie von Anfang an die Wahrheit sagen. "Ich definiere Familie überhaupt nicht biologisch, und emotional macht es für mich keinen Unterschied, dass wir genetisch nicht verwandt sind", sagt Seebacher. So müsse sie sich auch nicht anhören, von wem aus der Familie ihre Tochter die Nase habe. (Bernadette Redl, 7.12.2019)