Die türkis-grünen Verhandlungsteams treffen sich auch am Wochenende. Viele Themen sind noch nicht fertig diskutiert.

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Fast einen Monat lang gelang es den türkis-grünen Koalitionsverhandlern, jeden öffentlichen Disput zu vermeiden. Bei ihren sporadischen Medienauftritten versuchen die Parteichefs Sebastian Kurz und Werner Kogler, positive Stimmung zu versprühen – über inhaltliche Konflikte herrscht nach wie vor Stillschweigen, das viele Beobachter an die Zeiten türkis-blauer Message-Control erinnert.

Aus den Reihen der grünen Verhandler kommt Kritik an der ÖVP.
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Mittlerweile werden allerdings erste Unstimmigkeiten ruchbar, nachdem im Laufe der vergangenen Woche via Boulevardmedien öffentlicher Druck im Hinblick auf einen möglichst schnellen Abschluss des Pakts aufgebaut wurde, was die Verhandler unter zeitlichen Zugzwang bringt. Immer wieder war von einer Fertigstellung des Regierungsvertrages noch vor Weihnachten zu lesen, die "Kronen Zeitung" schreibt gar von einer möglichen Angelobung der Regierung am 16. Dezember.

Beschwerde über türkisen Spin

Am Donnerstagabend war es dann so weit, dass ein grüner Verhandler aus seinem Unmut keinen Hehl mehr machen wollte. "Manchmal wäre die Versuchung groß, aus den Regierungsverhandlungen hinauszutwittern, weil Türkis es meisterhaft beherrscht (Respekt!), medialen Spindrift in die eigene Richtung zu erzeugen. Eventuell ist doch derjenige doof, der sich an die Spielregeln hält", ärgerte sich Johannes Rauch auf Twitter.

Der Vorarlberger Verkehrslandesrat sitzt für die Grünen im Verhandlungsteam für Umweltthemen und hat auf Landesebene durchaus Erfahrungswerte zu Koalitionsgesprächen mit der ÖVP, da er in seinem Heimatbundesland im November bereits zum zweiten Mal in Folge seine Partei in eine schwarz-grüne Regierung geführt hat.

In Vorarlberg hat Johannes Rauch die Grünen zweimal in eine Koalition mit der ÖVP geführt. Auf Bundesebene verhandelt der 60-Jährige nun in der Umweltgruppe.
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ÖVP erstaunt

Bei der ÖVP gibt man sich über Rauchs Tweet erstaunt. Man habe, wie vereinbart, keine Informationen über die Verhandlungsdetails öffentlich gemacht, sagt der Sprecher von Elisabeth Köstinger, der türkisen Chefverhandlerin in der Umweltgruppe. Für eine Stellungnahme zu seinem Tweet war Rauch selbst am Freitag nicht erreichbar.

Unzufrieden zeigte sich auch Grünen-Abgeordneter Michel Reimon. "Die ÖVP hat sich da bisher nicht bewegt. Für uns ist das aber unbedingt notwendig, damit der Pakt am Ende eine deutliche grüne Handschrift trägt", sagte er zum "Kurier" (Samstag-Ausgabe).

Aus grünen Kreisen hört man, dass man die ÖVP hinter jenen Medienberichten wähnt, die auf einen möglichst raschen Abschluss drängen, und sich von diesem Tempo überrollt fühlt. In Wahrheit sei weder der Bereich Klimaschutz noch der Menschenrechts- und Sozialbereich fertig ausverhandelt, obwohl mancherorts Gegenteiliges kolportiert wurde. Bei zwei inhaltlich so weit entfernten Parteien brauche es einfach noch Zeit, um ein gutes Ergebnis zu erzielen. Die Pressesprecher der ÖVP würden gezielt Informationen über einen baldigen Verhandlungsabschluss über die Boulevardmedien lancieren, um den Grünen das Bremser-Image umzuhängen, vermuten Grüne. Die Pressesprecher von Sebastian Kurz waren dazu für keine Stellungnahme erreichbar.

Natürliche Krise im Endspurt

Eine andere Theorie hat Heidi Glück, PR-Beraterin und frühere Sprecherin von ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel. Für sie ist es völlig normal, dass im Endspurt von Verhandlungen kleine Krisen entstehen. In der Anfangsphase von Gesprächen sei die Stimmung immer positiv, weil man in den unkomplizierteren Punkten schnell vorankommt. Am Ende von Verhandlungen stehen dann allerdings die strittigsten Punkte auf der Tagesordnung, die zuvor liegengeblieben sind. Und da entwickle sich naturgemäß ein höheres Reibungspotenzial, und die Widerstände des Gegenübers würden deutlicher.

Glück glaubt, dass die Grünen mit dieser Situation größere Probleme haben als die ÖVP. Als langjährige Regierungspartei habe die ÖVP viel mehr Erfahrung damit, Kompromisse als Erfolge zu kommunizieren. Die Grünen seien es hingegen aus der Oppositionsrolle nicht gewöhnt, schwierige Kompromisse zu verkaufen, zumal als stimmenmäßig weitaus schwächerer Partner viele Kompromisse weiter von der grünen Position entfernt sein dürften als vom ÖVP-Programm.

Die Parteichefs selbst üben sich weiterhin in Geheimhaltung. Am Wochenende wird in unterschiedlichen Konstellationen abseits der Öffentlichkeit weiterverhandelt. Gerüchte, wonach die Grünen bereits dieses Wochenende ihren Bundeskongress einberufen werden, der laut Parteistatut über eine Koalition abstimmen muss, sind falsch. Das geht aus vielfachen Anfragen des STANDARD bei den Grünen hervor. (Theo Anders, red, 6.12.2019)