Tom Mercier (Mitte) trägt in der Hauptrolle viel zur Schaulust in "Synonymes" bei. Dabei steht er für diesen Film das erste Mal vor der Kamera.

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Eine Wiedergeburt mit Hindernissen. Yoav hat die erste Übernachtung in Paris vor dem Abflug in Israel online gebucht. Ein typischer Airbnb-Deal, wie es zuerst scheint, der Schlüssel liegt unter der Matte. Aber die riesige Wohnung ist komplett leer, eisigkalt, mit offenen Fenstern, und als der junge Mann spätnachts mit erigiertem Glied unter die Dusche hüpft, sind danach Gepäck, Geld und alle Kleidung verschwunden.

Nass und nackt sucht Yoav (Tom Mercier) nach den Dieben, trommelt unerhört an fremde Wohnungstüren, ruft immer drängender um Hilfe. Er muss zurück in die Badewanne, um nicht zu erfrieren. Ein Neubeginn in Paris, ohne Ballast der Vergangenheit, das kann ein Albtraum sein. Aber auch eine Verheißung.

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Die Kamera hat Yoav kurz davor auf den Straßen von Paris aufgegabelt, in einer Begegnung, die bereits so dynamisch ist wie der ganze folgende Film. Synonymes, der Berlinale-Gewinner 2019, leiht sich seinen Titel von Worten, die sich so näher kommen, dass sie einander ersetzen können oder auch einander bedrängen: "Worte, die andere Worte dominieren, die andere Worte schlagen, ihnen die Fresse polieren", sagt der sprachverliebte Held einmal.

Das Thema ist Israel

Als Synonyme könnte man auch die Szenen und Beziehungen verstehen, in denen wir alle unser jeweiliges Lebensthema immer und immer wieder durchspielen. Für den Regisseur Nadav Lapid und sein Alter Ego Yoav ist dieses Thema Israel, mitsamt seinen Widersprüchen, ein Staat, dessen gewaltförmige Vergangenheit und Gegenwart sich nicht abstreifen lässt. Das stand schon im Mittelpunkt von Lapids Spielfilmdebüt Policeman (2011), in dem er die enge Welt einer Antiterroreinheit mit der einer israelischen Terroristengruppe mit bitterer Konsequenz zusammenschloss. In Synonymes spielt er das Thema erneut durch – nun unter den Vorzeichen einer autobiografischen Komödie.

Lapid, Jahrgang 1975, hat wie sein Filmheld als junger Mann seinen Abschied von Israel geprobt. Es war ein radikaler Bruch nach dem Militärdienst, Israel war ihm unerträglich geworden. Er ging nach Paris, verwarf seine Sprache, telefonierte selbst mit seinen besorgten Eltern nur noch auf Französisch. Man kann sich den Regisseur in diesen Jahren wohl genau so vorstellen wie seinen Filmhelden: ein charismatischer, junger Mann, mit Autorenambitionen und einer theatralen Neugier auf alles Französische, auf Bücher und die Reichtümer des Autorenkinos.

Im gelben Mantel durch Paris

Am Eingang zu der immer leicht absurden Welt von Synonymes steht ein verführerisches Geschwisterpaar (Quentin Dolmaire und Louise Chevillotte), das Yoav am ersten Abend vor dem Erfrieren rettet. Sie schenken ihm für seine Inspiration und körperliche Präsenz im Gegenzug Geld, großbourgeoise Freundschaft (später auch eine Affäre und eine Hochzeit) und natürlich auch den gelben Mantel, mit dem er fortan durch Paris schreiten wird. Bald kommen zu diesen neuen Wahlverwandten die halbverrückten Kollegen vom Sicherheitsdienst der israelischen Botschaft dazu, die mit paranoiden Projektionen die Pariser U-Bahn nach möglichen Antisemiten durchkämmen. Um keinen Preis werden sie jemals wieder Opfer werden.

Verspielt, hakenschlagend, narzisstisch selbstverliebt: Nicht zufällig sieht Synonymes aus wie ein Liebesbrief an die Nouvelle Vague. Tom Mercier in der Hauptrolle trägt viel zur Schaulust bei, mit der man diese Fantasie erlebt. Kaum zu glauben, dass die intensive Eingangsszene des Films tatsächlich sein allererster Moment vor einer Kamera war. Diese bleibt Zeugin seiner Transformation in einen Wahlfranzosen, der seine Muttersprache ausgerechnet bei einem Kunstpornofotoshooting wieder fluchend hervorholt, und es passt, dass er dabei einen Finger im Anus hat. Alle Schotten dicht.

Das heißt auch: Yoav entflieht seiner Identität mit so viel Gewalt, dass ihm diese Energie auch wieder alle Türen zu verschließen droht. Synonymes ist selbst der aufregende Beweis dafür, dass mindestens Nadav Lapid in der Krisis ein Portal aufgestoßen hat. (Robert Weixlbaumer, 7.12.2019)