Vor etwas mehr als zehn Jahren, zu Beginn der Finanzkrise, titelte der "Economist" sehr schlicht und eindrucksvoll: "Be afraid. Be very afraid."

Heute ist die Finanzkrise nicht wirklich überwunden – sonst bekämen wir für unser Geld wieder Zinsen –, aber zumindest eingehegt. Wovor wir uns heute fürchten, sehr fürchten sollten, ist der Zerfall unserer demokratischen, rechtsstaatlichen Ordnung.

Die wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von den westlichen Industriestaaten gegründet und sorgte 70 Jahre lang für Stabilität, Frieden, Wohlstand und eine demokratisch-freiheitliche Grundordnung, zumindest in Westeuropa und den USA. Ein Institutionengeflecht von UN, Nato, EU und vielen kleineren Abkommen stützte dieses Konstrukt ab. Es gab einen großen Außenfeind – die Sowjetunion –, der aber implodierte. Revolutionäre, "antiimperialistische" Bewegungen in aller Welt endeten meist im Chaos.

Die Finanzkrise ist nicht wirklich überwunden, aber zumindest eingehegt.
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Ein Vierteljahrhundert nach dem "Sieg des Westens" steht aber dessen Modell unter enormem Druck von außen und, gefährlicher, von innen. Das Russland des Wladimir Putin hat die Kunst der Destabilisierung perfektioniert. Die Trollarmeen Putins haben zum Sieg von Donald Trump und zum Brexit beigetragen, er arbeitet unablässig an einer Destabilisierung der EU. Nützliche Idioten sind dabei die europäischen Rechtsextremen (Strache auf Ibiza: "Wir haben die Dekadenz im Westen ... im Osten sind sie normal. Ich habe auch mit einen Putin-Berater besprochen, wie wir strategisch zusammenarbeiten").

Rechtspopulistischer Weg

Das wäre weniger beunruhigend, gäbe es in den USA noch ein starkes Gegengewicht. Doch Trump ist dabei, nicht nur das internationale Institutionengefüge wie Nato, Klimapakt oder Welthandelsorganisation zu sprengen, sondern vor allem auch die demokratische Struktur der USA. Er wäre gern ein autoritärer Herrscher wie sein Vorbild Putin oder andere Diktatoren, die er bewundert. Wenn er das Impeachement-Verfahren übersteht und 2020 wiedergewählt wird, wofür es gute Chancen gibt, dann müssen wir uns ernsthaft Sorgen machen. Auch deshalb, weil ein großer Teil der US-Bürger bereit ist, Trump auf diesem autoritären, rechtspopulistischen Weg zu folgen.

Europa kann sich ohne die USA kaum verteidigen. Dazu kommt, dass die Zentrifugalkräfte in der EU selbst schon sehr stark sind. Brexit: ein schwerer Schlag. In Deutschland und Frankreich droht jeweils ein Führungsvakuum, und in Osteuropa sind die Autoritären auf dem Vormarsch. Der hundertjährige Religionskrieg im muslimisch-arabischen Raum und die Klimakrise in Afrika setzen Europa unter einen Migrationsdruck, der vorläufig nur durch Abkommen mit unzuverlässigen Autokraten wie Tayyip Erdogan eingedämmt werden kann.

Im Hintergrund steht eine Bedrohung, deren Folgen für uns noch kaum auszumachen sind. Während westliche Industrielle und Politiker weiter nach Peking pilgern, verwandelt sich China unter Xi Jinping zu einem digitalen Gehirnwäschestaat, der nicht nur eine bloße Diktatur sein will, sondern aus seinen Untertanen auch einen "neuen Menschen" machen will.

Das alles muss man sich erst einmal bewusst machen, ehe man beginnt, über Gegenstrategien nachzudenken. (Hans Rauscher, 7.12.2019)