Das Scheitern tanzt hier quasi als unsichtbarer Dämon mit.

Niklas Koch

Vieles könnte richtig ordentlich sein, wenn alles so käme wie geplant. Nur leider, manchmal auch zum Glück, werden beim Planen oft die Tücken komplexer Umgebungen ausgeblendet. Was passieren kann, wenn Ordnungen scheitern, zeigt Elio Gervasi (bis Samstag) mit seinem Tanzstück Incorpo-ratis im Wiener Theater Off White Box.

Eine sympathische kleine Gesellschaft aus vier Tänzerinnen, drei Tänzern, einem Sänger und einem malenden Künstler versammelt sich auf der Bühne und versucht, Muster aus bunt bemalten Stangen auf den Boden zu legen. Erst planvoll, dann zunehmend eilig und fahrig. Also geschieht es wie so oft, wenn Menschen "spielen": Etwas wird mit Enthusiasmus zusammengepfuscht, sieht auch ganz nett und bunt aus, aber eine permanente Vorläufigkeit verhindert, dass wirklich Brauch bares entstehen kann.

Diszipliniert, individuelle

Gegen die daraus resultierende Verunsicherung helfen der Incorpo-ratis-Gruppe weder das Annehmen einer roboterhaften Ordnung noch diverse Nachweise – in Form beeindrucken sollen der Soli –, dass man es als Persönlichkeit eigentlich eh richtig draufhat. Die Verwirrung wächst. Dabei konterkariert die Musik (Alessandro Vicard) mit ihrem mechanischen Rhythmus das Disziplinierte und das Individuelle gleichermaßen.

Das Malen (Valter Esposito) live auf der Bühne mündet im hilflos wirkenden Aufstand gegen das Unberechenbare. Gervasi drängt seine Performer und Tänzer in zunehmende Auflösungserscheinungen, und das so lange, bis die Gruppe am Ende die Fassung verliert. Geradezu rührend scheinen ihre Bemühungen davor: geschäftiges Treiben und Versuche, ein Miteinander zu erreichen.

Spiel des Chaos

In das antanzende Chaos inte griert sich mit Leib und Stimme der Sänger Claudio Covato, gewichtig und trotzdem leicht, seltsame Laute aus seinem Körper pressend und auf Italienisch von – unter anderem – einer "falschen Bescheidenheit der Sterne" singend. Eigentlich gilt in den Stücken von Elio Gervasi (66), diesem Fixstern der Wiener Tanzszene, das Primat des Poe tischen. Jetzt, bei Incorpo-ratis, schiebt sich doch eine inhaltliche Komponente in den Vordergrund: das schwindelerregende Spiel des Chaos mit jenen, die zunehmend nervös nach einer gewissen Ordnung suchen. Dabei tanzt nun wie ein unsichtbarer Dämon das Scheitern mit.

Für das Stück, das vor einem Monat als Vorversion bereits beim Festival "Tanz ist" in Dornbirn voraufgeführt wurde, hat sich Elio Gervasi überzeugende Tänzerinnen und Tänzer ausgesucht. Darunter Luna Cenere, die hier eine luftige Figur verkörpert, oder Lotta Sandborgh als leidenschaftliche Träumerin und drei sensible Männer ohne Eigenschaften, die sich in ihrer Suche nach einer klaren Position verlieren.

Obwohl sich Gervasi in etlichen Passagen verzettelt, ist Incorpo-ratis ein sehenswertes Stück geworden. (Helmut Ploebst, 6. 12. 2019)