Familien sind das Fundament unserer Gesellschaft. Wichtig ist eine wertorientierte Erziehung unserer Jugend. Familien werden stärker als bisher gefördert. Es braucht Wahlfreiheit für Familien, wie sie ihre Kinder betreuen möchten. Und: Die Familienbeihilfe wird für jene Arbeitnehmer gekürzt, deren Kinder im Ausland, in Staaten mit geringeren Durchschnittseinkommen, leben.

Das ist die eine Erzählung. Sie stammt, in Auszügen, aus dem Regierungsprogramm von ÖVP und FPÖ vom Dezember 2017.

Jedes Kind ist gleich viel wert. Wir wollen ein neues Kinderbetreuungsgeld, mehr Väterbeteiligung, besseren Wiedereinstieg für Frauen, keine Benachteiligung Alleinerziehender, Gratiskindergarten für alle Kinder. Keine Kürzung der Mindestsicherung, steuerliche Entlastung nicht nur für Besserverdienende. Rechtsanspruch auf kostenlose Kinderbetreuung.

Das ist die andere Erzählung. Sie stammt von der Website der Grünen.

ÖVP-Chef Sebastian Kurz und Grünen-Chef Werner Kogler.
Foto: Matthias Cremer

Diese Gegenüberstellung zum Thema Familie zeigt, warum Sebastian Kurz meint, die Koalitionsverhandlungen mit den Grünen seien viel schwieriger als jene 2017 mit der FPÖ. Der Umgang einer Regierung mit Familien zeigt, wo diese gesellschaftspolitisch steht. Ist sie liberal, fortschrittlich, egalitär? Oder konservativ, traditionell, elitenorientiert? Vielleicht eine Mischung?

Familienformen

Im Sinne von Österreichs Familien wäre es allemal, wenn Türkis und Grün versuchten, in der Familienpolitik neue Wege zu gehen. Österreichs Familien sind viel bunter als die Politik, die vermeintlich in ihrem Sinne gemacht wird. Das beginnt bei den Familienformen und der Frage, wie Paare zu Kindern kommen. Social Egg-Freezing oder Leihmutterschaft sind nicht nur Exaltiertheiten reicher US-Amerikaner. Auch für österreichische Paare, egal in welcher Geschlechterkonstellation, ist beides eine Option. Die Politik befasst sich damit aber nur zögerlich.

Das ist nur ein Aspekt. Ein weiterer ist, wie sich Familien organisieren, wie sie ihre Work-Life-Balance finden und wie sie der Staat dabei unterstützt. Hier geht es um Papamonat, Väterkarenz, um flächendeckende, qualitätsvolle Kinderbetreuung.

Es geht auch um Österreichs Frauen. Denn die erleben, wie auch der aktuelle OECD-Gerechtigkeitsindex zeigt, Tag für Tag massive Benachteiligungen: Beim Zugang zum Arbeitsmarkt, im Gesundheitsbereich, bei der sozialen Inklusion, in Sachen Altersarmut. Die Gehaltsschere klafft immer weiter auseinander: Frauen ohne Matura verdienen noch viel weniger als Männer ohne Gymnasialabschluss. Die Sozialpartner erwiesen sich als unfähig, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen.

Auch das Bildungssystem muss dringend umgebaut werden, will man vermeiden, dass Teile künftiger Generationen sozial massiv abrutschen.

Familienpolitik ist eine Querschnittsmaterie. Wie wir künftig arbeiten, unsere Kinder erziehen und bilden, wie wir miteinander umgehen, wenn es einmal nicht so gut läuft, geht die gesamte Gesellschaft an. Familienpolitik ist nicht nur eine Frage des Geldes, es ist eine des Hinschauens, des Bewusstseins. Und der Toleranz. Wenn die neue Regierung dies beherzigte, würden für Österreichs Familien tatsächlich neue Zeiten anbrechen. (Petra Stuiber, 8.12.2019)