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Ich glaube nicht, dass ich vom Schweizer Autor Tom Turtschi schon mal etwas gelesen habe. Aber ich würde ihn vermutlich wiedererkennen, wenn mir wieder mal ein Text von ihm unterkommt. Denn sein Roman "Gotteszone" mag zwar einen im Kern wohlvertrauten Plot haben. Doch er verfügt aber auch über das, was es dazu als notwendigen Ausgleich braucht: Turtschi drückt sich auf eine Weise aus, die vermutlich kein anderer Autor wählen würde – er hat also das, was man gemeinhin eine "Stimme" nennt.

Zur Handlung

Wir befinden uns im 23. Jahrhundert und schweben mit dem Raumschiff Golombek über dem Kolonialplaneten Gordian Prime ein. Die fünfköpfige Crew unter Kapitän Karl Gerlach zählt nicht gerade zu den großen Fischen im interstellaren Transportgeschäft – entsprechend verwundert sind sie, dass ausgerechnet sie von jemandem gechartert wurden, der sehr wohl zu den Big Players zählt. Der undurchsichtige Ogenslaw Jastrof ist nämlich im Auftrag des Konzerns X-Logistic unterwegs, einer ganz großen Nummer in der Milchstraße.

Auf Gordian Prime existiert nicht nur eine menschliche Kolonie mit 1.300 Siedlern, vor allem lässt X-Logistic dort importierte Nexen züchten – Photosynthese betreibende Schnecken im Sauropoden-Format, die ein begehrtes Polymer produzieren. Allerdings sind die Lieferungen seit ein paar Monaten ausgeblieben, und auch der Kontakt zu den Siedlern ist abgerissen. Die letzte Nachricht von Gordian Prime war ein verstümmeltes Geschwurbel mit religiösen Anklängen. (Der Titel "Gotteszone" bezieht sich übrigens auf jene Regionen im Gehirn, die bei verschiedenen Formen religiösen Erlebens aktiv werden.)

Ominöse Anzeichen

Bei ihrer Ankunft entdeckt die Crew der Golombek eindeutige Anzeichen für Sabotage – und sonst zunächst nicht viel. Ein Toter liegt herum, alle übrigen Kolonisten sind einfach verschwunden. Immerhin stöbert man beizeiten ein altes Ehepaar auf, das bei der Aufklärung aber auch nicht weiterhelfen kann. Die beiden wirken wie völlig ruinierte Junkies und können sich nicht mehr artikulieren.

Der Klappentext greift meiner Meinung nach etwas zu weit (nämlich bis auf die zweite Romanhälfte) vor, aber nachdem er nun einmal schon dasteht, sei noch darauf hingewiesen, dass der fragmentarische Funkspruch nicht das einzige Indiz mit religiösem Bezug bleibt. An den Wänden der Siedlung prangen seltsame Graffiti, ein wirres Pamphlet und eine Art Altar werden ebenfalls entdeckt. Hat sich hier eine Sekte herausgebildet oder sind die Kolonisten gar von einem "Religionsvirus" befallen worden? Und wenn ja, wird dann auch die Crew der Golombek noch angesteckt?

Der Plot von "Gotteszone" – Erkundung nach mysteriösem Vorfall – deckt sich also weitestgehend mit dem, was eine Episode von "Star Trek" (oder jeder anderen TV-Space-Opera) ergeben würde. Wenn auch mit leichtem Einschlag von "Solaris", da Turtschi das Ganze mit einer größeren Portion Nachdenklichkeit versieht, als es im Fernsehen möglich wäre. Sehr schöne SF-Elemente sind übrigens die Beschreibung der Fahrt mit dem Weltraumfahrstuhl zur Planetenoberfläche oder die psychedelische Begegnung der Exobiologin Masha Cejka mit den Nexen.

Letzte Worte

Erzählt wird die Geschichte in einer Sprache, für die Turtschi seine ganz eigene Mischung aus technischen Bezeichnungen (nur der Clark-Orbit tut echt weh!), blumigen Vergleichen, englischen und französischen Anteilen und ein paar spezifisch schweizerischen Ausdrücken gefunden hat. Jetzt weiß ich auch, dass bei unseren westlichen Nachbarn "sperbern" für "spähen" steht.

Das Ende hätte gerne noch etwas besser ausgebaut sein können. "Gotteszone" klingt mit einer schönen Geste aus, die allerdings in den philosophischen Schlussworten fast ein bisschen untergeht. Insgesamt ist es aber ein gelungener Roman, der jederzeit auch bei einem der großen Publikumsverlage erscheinen hätte können, an deren Türen Turtschi vergeblich geklopft hat.