Handkes Nobelvorlesung zitiert vor allem das eigene Stück "Über die Dörfer", über Serbien sagte er nichts.

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Die Rede muss für viele enttäuschend gewesen sein. Und doch war von Peter Handke nichts anderes zu erwarten. Nach der Aufregung der vergangenen Wochen, den hitzigen und emotionalen Debatten, tat Handke am frühen Samstagabend genau das, was er in den vergangenen Wochen auch getan hatte: Er enthielt seine Stimme in einer Kontroverse, in der er in seinen Augen schon alles gesagt hatte. Oder genauer: zu Papier gebracht hatte.

Mit seiner "Winterlichen Reise" und dem "Sommerlichen Nachtrag", mit Erzählungen wie "Morawische Nacht" und Theaterstücken wie "Die Fahrt im Einbaum" hatte er in den vergangenen 25 Jahren einen anderen Blick auf die jüngere Zeitgeschichte am Balkan eingefordert. Einer der abwägt und zweifelt und nicht einer der urteilt und richtet. "Kein Wort von dem, was ich über Jugoslawien geschrieben habe, ist denunzierbar, kein einziges. Das ist Literatur," hatte er noch zuletzt einer deutschen Zeitung erklärt.

Keine Literatur sind allerdings die mündlichen Wortmeldungen Handkes, von denen es im vergangenen Vierteljahrhundert viele gab, seine Auftritte mit groß-serbischen Nationalisten, seine Besuche in Gefängnissen oder Reden bei Begräbnissen. In ihnen war oft weniger Zweifel als Zorn zu spüren. Wo in den literarischen Texten noch ein Suchender zu entdecken war, trat Handke vor den Mikrofonen oder auf den Bühnen dieser Welt gern als Schimpfender auf. Seine Tiraden konnten die Besucher einer Lesereise genau so treffen wie jene von ihm besonders verachtete Berufsgruppe: Journalisten.

Es sind diese unterschiedlichen Gesichter des Peter Handke, die den Umgang mit ihm und seinem Werk so schwierig machen und in den vergangenen Wochen die Debatte befeuert haben, inwieweit man zwischen Leben und Werk trennen müsse bzw. könne: böser Dichter, gutes Werk sozusagen oder anders gesagt, der Poet als Rappelkopf. Von diesem legten die vergangenen Tage ein weiteres Zeugnis ab: Wurde Handke bei der Pressekonferenz in Stockholm noch ausfällig, beschwor er tags darauf bei seiner Literaturnobelpreisrede die Kraft mündlicher Überlieferung und wundersamer Litaneien.

Widerborstiger Trotz

Wer bei der Rede genau hinhörte, konnte viel vom Trotz und der Widerborstigkeit dieses Schriftstellers vernehmen. Handke zitierte Nova aus seinem beinahe 40 Jahre alten Theaterstück "Über die Dörfer", ein Stück voller Pathos und Verkündigungen. Nova ist eine Kassandrafigur, die dazu aufruft, den Mächtigen Paroli und dem Krieg die Stirn zu bieten. Anders als Kassandra sieht diese Seherin aber nicht das Unheil, sondern das Heil voraus. Eine Anwältin der Natur und des Friedens.

Eine Anwältin des Dialogs ist Nova dagegen nicht. Sie spricht im Imperativ, der Befehlsform. Einwände oder Zweifel sind in ihrer Rede nicht vorgesehen.

En miniature erzählte Handke in seiner Rede viel von sich. Vom Geschichtenerzähler und dem Dichter als Seher. Und er machte durch seine Auslassungen klar, dass er nicht daran denke, ein Wort des Dialogs zu verlieren. Das ist sein gutes Recht, auch wenn es die Fronten mit Sicherheit noch einmal verhärtet.

"Eine Geste der Versöhnung" hatte Handke im Vorfeld angekündigt. Damit hatte er die Idee gemeint, eine bosnische und eine serbische Mutter zu treffen, die jeweils ihr Kind im Krieg verloren hatte. Das wurde ihm laut eigenen Aussagen verwehrt. Es hätte noch viele andere potentiell versöhnliche Gesten gegeben. Handke hat sie nicht genutzt. Der Dichter als Dialogsucher, dieses Bild ist bei Handke offenbar nicht vorgesehen. Damit wird die Öffentlichkeit leben müssen. Und mit einem Nobelpreisträger, der auch bei der Krönung seines Dichterlebens ein Rechthaber sein will. (Stephan Hilpold, 8.12.2019)