Nils Hohenhövel ist im Volkstheater Peer Gynt, Evi Kehrstephan seine Solvejg.

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"Peer, du lügst!", entfährt es Mutter Aase (Steffi Krautz) in ihrem Kassenrollstuhl Marke früher skandinavischer Wohlfahrtsstaat. Der Junior (Nils Hohenhövel) sitzt ihr schlotternd und patschnass zu Füßen. Der Sturz aus den Höhen seiner imaginierten Heldentaten mit Trollen und wilden Tieren hat ihn hart auf den Dielen der kargen Kate landen lassen.

Als Jungbauer will er einfach nichts taugen, der Bub – gerade so wie der Vater. Der hat auch nie eingesehen, dass Genuss etwas ist, das man aufschiebt, bis man sich ihn leisten kann.

Im Idyll nordisch-protestantischer Frömmigkeit ist das gleich doppelt schlecht. Gottesfurcht hat hier etwas mit Buchführung zu tun, und Höllenstrafen werden im Diesseits und obendrein fristlos exekutiert.

So kommt in der Inszenierung von Viktor Bodó auch gleich der königlich schwedisch-norwegische Kuckuckpicker herein und pfändet der armen Aase den flackernden Schwarzweißfernseher unterm Hintern weg. Ihre Liebe aber hört nimmer auf.

Bild eines neuen Menschen

Was hat es heute noch auf sich mit dieser Versdichtung anno 1867, mit der Henrik Ibsen der Moderne früh den Weg freimachte? Hier wurde nichts weniger geschaffen als das Bild eines neuen Menschen. Einer, der sich selbst noch nicht versteht und an dem wir heute durchaus noch zu knabbern haben. Industrielle Produktion hat die Kräfte der Natur entfesselt, doch er erkennt die Geister, die er rief, nicht wieder.

Die Vernunft der Weltbeherrschung und die Gabe, sie vernünftig einzurichten, bleiben zweierlei. Auch hat der arme Peer noch die Pflicht, zwischen allen Rollen- und Karriereangeboten er selbst zu sein. Wenn er fehlt, kommen nicht Tod und Teufel wie bei Jedermann oder Faust, sondern es kommt der böse, böse Knopfgießer. Er droht, den Helden wie einen Zinnknopf in eine andere Persönlichkeit materialerhaltend umzugießen. Sein Selbsterfahrungstrip kostet allerdings mehr als ein Esoterik-Wochenende im Waldviertel.

Prinzessinnen und Trolle

Peer legt sich mit dem Schmied an (Andreas Grötzinger), der ihn durchprügelt. Man erkennt ihn an der Otto-Waalkes-Zwergenzipfelmütze. Er brennt mit anderer Leute Bräuten durch (Dorka Gryllus), bandelt mit einer Trollprinzessin an (Evi Kehrstephan), seiner Männerfantasie in Grün, wo er doch nur in Solvejg (Evi Kehrstephan), seiner Männerfantasie in keusch, wahre Bestimmung fände.

Was dem männlichen Subjekt bei der Weltunterwerfung nicht dienlich ist, wird an die Frauen abgespalten. Milliardär wird er, Kolonisator, See- und Menschenhändler, Natur- und Seelenforscher, der schlussendlich herausfindet, dass die Zwiebel keinen Kern hat.

Wie aber zeigt man das alles heute noch im Theater? Wie erzählt man von Dingen, die regelmäßig im Universum zu sehen sind, was hat man den Rückkehrenden einer Ägypten-Pauschalreise von der Sphinx zu berichten? Regisseur Viktor Bodó hegt den Verdacht, dass zumindest der Pudel einen Kern haben muss, und verlegt seine Betrachtung ins Innere des Gynt’schen Selbst.

Peer als Prophet in der Wüste

Eigentlich sitzt der Bub die ganze Zeit im Topf. Ágnes Bobor hat ein Ensemble aus hellgrauen verschiebbaren Wände in Portalhöhe geschaffen. Ab jetzt wird zurückprojiziert. Gelegentlich passt auch ein Popsong oder doch etwas Edvard Grieg.

Hin und wieder öffnet sich eine Tür oder eine Klappe im David-Lynch-Puppenhaus. Es kullern Bälle heraus oder stereotype Figuren. Ist das ganze Feuerwerk am Ende nur Dopamin-Überschuss in einem verwirrten Hirn?

Die Peers, die Ibsen auf drei Lebensalter verteilt, sind vereint und geben einander Stichworte (Nils Hohenhövel, Jan Thümer und Günter Franzmeier). Der grüne Trollkönig (Stefan Suske) leitet eine Quizshow, deren Trollteilnehmer den Akzent unserer skandinavischen Mitbürger diskriminierend nachahmen.

Peer als Prophet in der Wüste ist eine Altherrenrockband mit der geheimnisvollen Anitra (Dorka Gryllus) als Leadsängerin, ein Blumenkind, das seine Kiffereltern in Marrakesch zurückgelassen haben.

Auf den Putz hauen

Ein gut eingespieltes Ensemble exekutiert das präzise geölte Chargenspiel. Sendezeit ist knapp. In kaum zwei Stunden gelangt man zu Schiffbruch und Tod. Hier haut das Volkstheater noch mal so richtig auf den bröckelnden Putz. Die Nebelmaschine taucht den ganzen Theaterraum in ein maritimes Chaos. Sobald es sich legt, mischt der Ventilator auf der Bühne die ganze Suppe wieder auf wie in einer Schneekugel. Die wird zum Sinnbild des Abends. Wenn die Schwebstoffe sich legen, zeigen sich schöne Bilder.

Aber was außerhalb des Glases ist, geht niemanden etwas an. (Uwe Mattheiß, 8.12.2019)