Französinnen und Franzosen äußern ihren Unmut über Emmanuel Macron – und stellen den Präsidenten als Monarchen und Alleinherrscher dar.

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An sich würde man erwarten, dass eine Bahngesellschaft froh über Kunden ist. Doch die französische SNCF rief ihre Passagiere dazu auf, am Montag weder Bahn noch Metro zu benützen. Als Grund gab sie an, es sei mit einem "gemeingefährlichen Andrang" zu rechnen. Statt 20 Vorortezüge pro Stunde sollten im Schnitt nur vier zirkulieren – und das auch nur zu den Spitzenzeiten morgens und abends. Schon am Freitag war es auf einzelnen Bahnsteigen zu einem Gedränge und Gezerre gekommen, dem schwächere Personen nicht gewachsen waren. Um einen "schwarzen Montag" zu vermeiden, appellierte die SNCF deshalb "an alle, die dazu in der Lage sind, ihre Fahrt zu verschieben".

Wie die Millionen Pendler im Großraum Paris an ihren Arbeitsplatz gelangen sollen, blieb offen. Schon am Freitag war es um die Hauptstadt insgesamt zu über 500 Kilometern Stau gekommen. In der Innenstadt verkehren nur zwei der 16 Metro-Linien. Im Flugverkehr sieht es besser aus, auch wenn mit Verspätungen zu rechnen ist.

Hart getroffen ist auch das Weihnachtsgeschäft. Nach den samstäglichen Protesten der Gelbwesten, die viele Läden zur Schließung zwangen, bezeichnet Frankreichs Händlerverband FCF die Lage als "wahre Katastrophe". "Das muss aufhören", sagte Verbandspräsident Francis Palombi am Sonntag, wobei er sich auffälligerweise nicht an die Streikenden wandte – sondern an die Regierung.

Rückzug der Reform gefordert

Während Präsident Emmanuel Macron am Montag als Gastgeber des international vielbeachteten Ukraine-Gipfels beschäftigt ist, gerät er also von allen Seiten unter Druck. Ein Ende der Blockade allerdings gebe es nur bei einem "Rückzug der Reform", betonte am Sonntag der Vorsitzende der Gewerkschaft CGT, Philippe Martinez, der nach den Protesten vom Donnerstag mit 800.000 bis einer Million Teilnehmern Härte zeigt.

Auch parteipolitisch hat Macron keine Verbündeten: Nicht nur die Linke und die Grünen lehnen die Reform ab, sondern auch die konservativen Republikaner. Dabei vertreten sie sehr ähnliche Vorschläge wie die Abschaffung der Spezialpensionssysteme für Beamte, Eisenbahner und Lehrer oder die Erhöhung des Pensionsalters von 62 auf 64 Jahre. Macrons Plan läuft de facto auf das Gleiche hinaus: Die "régimes spéciaux" will er auflösen; und wer in den Genuss einer Vollrente kommen will, wird länger als bisher in die Pensionskasse einzahlen müssen.

Auch Marine Le Pen vom Rassemblement National (RN) wettert gegen die Reform, die ihrer Meinung nach einen "Raubüberfall" auf die Pensionisten darstellt. Die Rechtspopulistin wollte zuerst sogar an der Großkundgebung vom Donnerstag teilnehmen. An der Seite der exkommunistischen CGT zu demonstrieren war dann aber einigen Rechtsextremisten im RN doch zu viel. Die Gewerkschaften hätten Le Pen wohl auch kaum mit offenen Armen empfangen.

Angst vor Auswirkungen auf Wahlen

Trotz der breiten Protestfront schließt Macron einen Rückzug seiner wichtigsten Reform aus. Eine solche Schlappe würde zweifellos auf die anstehende Kommunal- und die 2022 folgende Präsidentschaftswahl abfärben. Um massive Zugeständnisse wird der Präsident aber nicht herumkommen. Am Sonntag berief er die zuständigen Minister zu einer Krisensitzung ein. Finanzminister Bruno Le Maire erklärte sich am Sonntag bereit, die Reform aufzuschieben, am Vorhaben an sich hielt er allerdings fest.

Nach einem weiteren Protesttag der Gewerkschaften will Premier Edouard Philippe die Katze am Mittwoch endlich aus dem Sack lassen und die Reform vorstellen. Das ist vielleicht zu spät. Wie schon gegenüber den Gelbwesten wird die Staatsführung die Lage auf jeden Fall nur beruhigen können, wenn sie viel Geld lockermacht – Geld, das weder Frankreich noch die Pensionskassen haben. (Stefan Brändle aus Paris, 8.12.2019)