Im Gastkommentar ist Zukunftsforscher Daniel Dettling überzeugt: Städte sind motivierter, globale Probleme zu lösen. Ihre Themen sind die großen Fragen unserer Zeit: Klimaschutz, Sicherheit, Integration und Zusammenhalt sowie der Kampf gegen Populismus.

"Das 19. Jahrhundert war das Zeitalter der Weltreiche, das 20. Jahrhundert das Zeitalter der Nationalstaaten, und das 21. Jahrhundert wird das Zeitalter der Städte sein."
Wellington Webb,
Ex-Bürgermeister von Denver

Weltweit leben bald 80 Prozent der Bevölkerung in Ballungsgebieten. Es sind die großen Städte, die die zentralen Probleme unserer Zeit lösen: Klima, Mobilität, Integration, Sicherheit und die Bedrohung von Demokratie und gesellschaftlichem Zusammenhalt durch den neuen Rechtspopulismus. In den USA haben Bürgermeister für ihre Städte neue CO2-Ziele gesetzt – gegen Donald Trumps Klimapolitik. In Polen sind sie ein Bollwerk gegen die rechtspopulistische PiS. In Istanbul leistet ein Bürgermeister Widerstand gegen Tayyip Erdogan. Die Zukunft der Demokratie ist lokal und urban. Die glokalen Städte und Bürgermeister formen die soziale und ökologische Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts.

Städte sind motivierter, globale Probleme zu lösen, weil sie schneller ihr Opfer werden können. Beispiel: Klimawandel. Die Bürgermeister von London, Paris, Los Angeles, Kopenhagen, Barcelona, Mexiko-Stadt und Mailand haben sich verpflichtet, ab 2025 nur noch Elektrobusse zu kaufen. Bis 2030 wollen sie weitgehend emissionsfrei sein. Als erste Frau ist Anne Hidalgo seit 2014 Bürgermeisterin von Paris. Die Sozialistin mit spanischer Herkunft verfolgt eine ökologische Agenda. Paris soll sauberer und grüner werden – durch urbane Landwirtschaft und weniger Verkehr.

Für Integration & Sicherheit

Deutlich wird die neue Rolle der Städte auch bei den Zukunftsthemen Integration und Sicherheit. Vor zwei Jahren wurde Bart Somers zum besten Bürgermeister der Welt gewählt. Ein Jahr zuvor wurde die von ihm regierte Stadt Mechelen in die Top Ten von "Europas Städten der Zukunft" aufgenommen. Zu Recht: Der liberale Somers hat in der belgischen Stadt mit 86.000 Einwohnern aus mehr als 130 Nationen geschafft, was den meisten Städten mit sozialen Brennpunkten nur selten gelingt. Mit einem Mix aus "null Toleranz" und unorthodoxen Integrationsideen hat er Mechelen zu einer der sichersten und saubersten Städte in Belgien gemacht. Seine Erfolgsformel: "Ohne Sicherheit kein bürgerschaftliches Engagement!" Mechelen wendet heute pro Kopf mehr als andere Städte für Sicherheit auf. Somers kritisiert die ideologische Kurzsichtigkeit linker und rechter Politiker, die in Migranten nur Arme und Opfer sehen oder eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Die linke und rechte Kurzsichtigkeit führte zu einer Sozialpolitik, die Armut zementierte, und zu einer gescheiterten Sicherheitspolitik. Nirgendwo in Belgien findet die Integrationspolitik heute so viel Zustimmung wie in Mechelen. Die Bürger sind wieder stolz auf ihre Stadt.

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Erhielt im Juni wieder den Bürgermeisterstab der Stadt Barcelona: die linksalternative Politikerin Ada Colau.
Foto: Reuters / Alberg Gea

Auf Bürgerbeteiligung, Digitalisierung und lokale Wirtschaft setzt die linke Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, die im Juni 2019 wiedergewählt wurde. Drei Viertel des Regierungsprogramms stammen von 40.000 Bürgerinnen und Bürgern. Die Stadt zeigt, wie die technische Revolution einer Smart City die Demokratie revolutionieren kann. Barcelona setzt auf Infrastruktur und lokale Tech-Unternehmen. Die Daten gehören den Stadtbewohnern und sollen ausschließlich für soziale Zwecke genutzt werden.

Gegen Hass & Autoritarismus

Während die Demokratie auf nationaler und supranationaler Ebene in der Krise steckt, gewinnt sie auf kommunaler und städtischer Ebene neue Vitalität. So trafen sich 2017 in Barcelona Bürgermeister und Stadträte aus Spanien, Griechenland, Chile, Indien, Brasilien und den USA, um für Menschenrechte, Demokratie und Gemeinwohl einzutreten. Das Bündnis nennt sich Fearless Cities. Sein Ziel ist, es kommunalen Bewegungen zu ermöglichen, "globale Netzwerke der Solidarität und der Hoffnung im Angesicht von Hass, Mauern und Grenzen aufzubauen".

Akteure und Avantgardisten des Neuen und Kreativen sind pragmatische und nicht polarisierende Bürgermeister. Städte, die auf Beteiligung, Lebensqualität und Offenheit nach außen setzen, haben glücklichere Bürger, sind wirtschaftlich erfolgreicher und sozial innovativer. Die Bürgermeister sind es, die Weltoffenheit und Ökologie machtpolitisch vor dem Neonationalismus retten. Die neue "glokale Demokratie" setzt auf Bürgerbeteiligung und Demokratie von unten. Die neuen Governance-Themen wie Klimaschutz, gesellschaftlicher Zusammenhalt, Diversität und Migration können nicht allein durch zentralstaatliches Handeln beantwortet werden. In den Städten existiert längst eine kollaborative und ko-kreative Praxis. Mit Erfolg. (9.12.2019)