Der Klimaschwerpunkt der neuen EU-Kommission von Ursula von der Leyen wird sich auch massiv im Unionsbudget widerspiegeln. Am Mittwochnachmittag legt von der Leyen in Brüssel ein Paket mit etwa 50 Maßnahmen vor, die die EU bis 2050 klimaneutral und weltweit führend im Klimaschutz machen sollen.

Die deutsche EU-Parlamentarierin Monika Hohlmeier redet als Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses an vorderster Front mit bei den Einnahmen und Ausgaben der Union. Nicht zuletzt Österreich ist bei den Verhandlungen immer unter denen, die weniger einzahlen wollen. Warum Hohlmeier das nicht ganz nachvollziehen kann, erklärt sie im Interview.

STANDARD: Im November haben sich kurz vor Fristablauf das Europaparlament und die Mitgliedsstaaten auf den EU-Haushalt für das kommende Jahr geeinigt. Österreich stimmte gegen das Budget. Warum?

Hohlmeier: Der Haushalt sei deutlich zu groß, hieß es von vier Mitgliedsstaaten, darunter auch Österreich. Das zweite Argument war, dass dadurch zu wenige Margen für unvorhergesehene Ereignisse vorhanden seien. Dabei liegen die Mittel für Verpflichtungen (der Betrag, bis zu dem finanzielle Verpflichtungen eingegangen werden können, Anm.) nur bei 0,99 Prozent, die tatsächlichen Zahlungen bei 0,9 Prozent, also unter der von Österreich eingeforderten Obergrenze von einem Prozent. Um bei den Verpflichtungen auf 1,0 Prozent zu kommen, hätten wir zusätzlich eine Milliarde im Haushalt beschließen müssen, ohne dass wir das von Österreich gesetzte Ziel verfehlt hätten. Da kann man nicht von Unmäßigkeit des EU-Parlaments sprechen.

Die Schwerpunkte, die wir setzen – Klima, Digitalisierung und Jugend –, wurden auch von Österreich goutiert. Wir haben deshalb nicht verstanden, warum Österreich Kürzungen durchsetzen wollte. Die österreichische Regierung verschweigt ihrer Bevölkerung den ungeheuren finanziellen Vorteil, den sie aus dem europäischen Binnenmarkt zieht. Nur nehmen und nichts geben wollen funktioniert nicht.

Zur Größe der Margen: Allein für 2020 haben wir Margen von 1,5 Milliarden Euro, aus vorhergehenden Jahren bleiben weitere 2,7 Milliarden, also 4,2 Milliarden insgesamt für Unvorhergesehenes. Selbst in der Bankenkrise 2008 oder im Jahr 2015, wo wir auf einen Schlag eine Milliarde Euro für den Türkei-Deal umschichten mussten, haben wir niemals so viel innerhalb eines Jahres für Unvorhergesehenes ausgegeben. Das sind regelrechte Fake-News.

STANDARD: Die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat bereits für die ersten 100 Tage ihrer Präsidentschaft Maßnahmen zum Klimaschutz angekündigt. Die Pläne zum Klimaschutz sind insgesamt ambitioniert. Für Länder, die zum Beispiel in der Energieversorgung stark umstellen müssen, wird das teuer.

Hohlmeier: Für Länder, die stark am Kohlebergbau hängen, haben wir schon im Haushalt 2020 ein Budget für den Übergang hin zu erneuerbaren Technologien und zur Ansiedlung neuer Unternehmen reserviert. Im mehrjährigen Finanzrahmen soll es ein neues Programm mit diesem Ziel geben. In diesem Bezug müssen wir dringend an der Weiterentwicklung innovativer Speichertechnologien arbeiten, da nur mit einer Speicherkapazität von circa drei Monaten erneuerbare Energien voll rentabel einsetzbar sind. Ansonsten wird das Ganze schwierig. Auch die klimarelevante Forschung auf EU-Ebene wird verstärkt gefördert. Sinnvolle Klimapolitik heißt nicht, radikal abzubauen, sondern neue Ideen für einen Umbau zu haben, um damit neue Arbeitsplätze zu schaffen und auch als weltweites Vorbild zu dienen. In Wasserstofftechnologien haben wir beispielsweise einen dreijährigen Vorsprung vor China und den USA. Diesen Vorsprung sollten wir nicht verspielen.

STANDARD: Die Einigung auf das siebenjährige Budget ab 2021 geht schleppend voran und wird auch Thema beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag sein. Die finnische EU-Ratspräsidentschaft hat vergangene Woche einen Vorschlag in Höhe von 1,06 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) eingebracht. Damit liegt Helsinki unter den Zielen der EU-Kommission und des Parlaments, aber über dem einen Prozent, das Österreich bereit ist zu zahlen.

Hohlmeier: Schlussendlich wird dieser Vorschlag wohl nicht das Licht der Welt erblicken. Er animiert aber alle Seiten zu definieren, wohin sie wollen. Bei den aktuellen Diskussionen muss man zwei Dinge berücksichtigen: Wir hatten ja bisher den Europäischen Entwicklungshilfefonds außerhalb des Budgets, der soll in den neuen mehrjährigen Finanzrahmen integriert werden. Hier zu behaupten, das Budget würde deshalb größer werden, ist Unsinn.

Zweitens: Wenn sich die Mitgliedsstaaten einig sind, dass sie im Bereich der Verteidigungspolitik stärker synergetisch zusammenarbeiten wollen, dann bedeutet das, dass diese Mittel neu im Haushalt zur Verfügung gestellt werden müssen. Wir werden genug damit zu tun zu haben, Mittel für den Bereich Klima und Wettbewerbsfähigkeit zu generieren. Große landwirtschaftliche Betriebe werden ein Minus hinnehmen müssen, Kohäsionsländer (Länder, die Zuschüsse etwa für Umwelt- und Verkehrsprojekte erhalten, Anm.) werden sich umstellen müssen, dass sie mehr in Innovation und nicht nur in Bauprogramme investieren. Wir werden aber auch über die Eigenmittel, das heißt die Einnahmequellen der EU, reden müssen.

STANDARD: Zum Beispiel die Plastiksteuer?

Hohlmeier: Genau. Oder im Bereich Emissionszertifikatehandel: Wie wird dieser ausgeweitet, und werden diese Mittel teilweise für grüne Schlüsseltechnologien, deren Entwicklung auf europäischer Ebene stattfindet, verwendet? Wenn das Programm "Clean Sky" neueste Technologien für CO2-freie Flugzeuge und Hubschrauber hervorbringen soll, dann muss das Programm verdreifacht werden. Die Industrie ist bereit, ihren Anteil entsprechend zu steigern.

STANDARD: Österreich steht auf dem Standpunkt, dass es jetzt weniger ins Budget einzahlen muss, weil ein Mitgliedsstaat weniger zu berücksichtigen ist.

Hohlmeier: Ein Prozent bleibt ein Prozent, es wird nichts billiger. Ich kann nicht mehr Aufgaben auf europäischer Ebene haben und weniger Geld ausgeben. Aber wir müssen uns genauer darauf verständigen, welche Aufgaben zwingend auf europäischer Ebene zu bewältigen sind und welche nicht. Wenn wir im Klimasektor und im Technologiesektor darin übereinstimmen, dass mehr Mittel auf europäischer Ebene nötig sind, müssen die auch zur Verfügung gestellt werden. Wenn die Mitgliedsstaaten wollen, dass Forschung im Bereich Verteidigung auf europäischer Ebene günstiger und synergetischer zu realisieren ist, dann kann man die nationalen Etats nicht komplett beibehalten, und in Europa schneidet man das Geld aus dem Budgetposten für Landwirtschaft. Ich weiß nicht, ob die österreichischen Landwirte damit einverstanden wären.

STANDARD: Sie sind die oberste Haushaltskontrolleurin des EU-Parlaments. Eine Ihrer Aufgaben ist auch zu kontrollieren, dass EU-Geld nicht verschwendet wird. Was sind hier die Hauptbaustellen?

Hohlmeier: In bestimmten Mitgliedsstaaten entwickelt sich eine Art Oligarchentum, das eine problematische Nutzung von EU-Fonds nach sich zieht. Da gibt es Fälle unterschiedlicher Art: aktuell in der Tschechischen Republik (Premier Andrej Babiš steht im Verdacht, mit seinem Konzern Agrofert unrechtmäßig EU-Subventionen in hoher Millionenhöhe eingestrichen zu haben, Anm.) oder Verdachtsfälle in Rumänien und der Slowakei. In Ungarn gab es Rückforderungen und Finanzkorrekturen gemäß Mitteilung und auf Druck der EU-Kommission in Höhe von einer Milliarde Euro. Im neuen mehrjährigen Finanzrahmen muss die Kommission zur präventiven Abwehr missbräuchlicher Verwendung europäischer Steuerzahlermittel effektivere Maßnahmen zur Vermeidung von Interessenkonflikten einführen.

Ein zweites großes Problem sind grenzüberschreitender Mehrwertsteuerbetrug und Geldwäsche, durch die den Staaten und dem EU-Haushalt unglaubliche Summen vorenthalten werden (nach Schätzung der EU-Kommission rund 50 Milliarden Euro pro Jahr, Anm.). Der dritte Schwerpunkt liegt im Bereich Zoll. Ein Zollfall der vergangenen Jahre hat beispielsweise mit einem Schlag dreieinhalb Milliarden in die Kassen der EU gespült. Es läge also sehr im Interesse der Mitgliedsstaaten, diesen Themen grenzüberschreitend mehr Aufmerksamkeit zu schenken, bevor man an neue Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger denkt.

STANDARD: Es wird damit gerechnet, dass es eine Einigung auf den mehrjährigen Finanzrahmen erst in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres unter deutscher Ratspräsidentschaft gibt. Wird es da auch vorgezogene Wahlen in Deutschland geben, und wie schlimm wäre das für die EU?

Hohlmeier: Bisher haben die neuen Groko-skeptischen Parteichefs der SPD keine Signale gesetzt, dass sie die Koalition gleich aufkündigen wollen. Sie wollen den Koalitionsvertrag nachverhandeln, aber da kam aus der Union ja ein klares Gegensignal. Es kann ja nicht sein, dass man nach jeder emotionalen Aufwallung in einer Partei einen bestehenden Koalitionsvertrag infrage stellt. Ich hoffe, dass die neuen Parteichefs hier vernünftig sind. Sollten sie das nicht sein, muss man sehen, wie man damit umgeht. Es bleiben ja auch noch andere Koalitionsvarianten oder eine Minderheitsregierung.

STANDARD: Jedenfalls ist Angela Merkel als Bundeskanzlerin spätestens nach der nächsten Wahl Geschichte. Eine Zäsur auch für Europa?

Hohlmeier: Der Abtritt eines großen Bundeskanzlers wie Helmut Kohl oder einer Bundeskanzlerin wie Angela Merkel bedeutet immer eine Zäsur, nicht nur im Land selbst.

STANDARD: Kann die designierte Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer auf europäischer Ebene in Merkels Fußstapfen treten?

Hohlmeier: Das kann sie. Ich habe eine große Wertschätzung für AKK. Das heißt aber nicht, dass ich nicht auch eine große Wertschätzung für Friedrich Merz habe. (Manuela Honsig-Erlenburg, 11.12.2019)