Mein Vater hat zwei Kinder mitgebracht, meine Mutter drei. Dann haben sie gemeinsam noch drei weitere Kinder bekommen. Eines davon war ich. Das Lustigste ist, dass ich jetzt zwei Schwestern namens Anna habe, die sogar gleich alt sind", sagt Aaron Scheer (28) grinsend. Es amüsiert ihn merkbar, zu beobachten, wie es im Kopf des Gegenübers rattert, wenn er seine Familienkonstellation schildert. "Da die Ex-Partner meiner Eltern auch Kinder bekommen haben, gibt es so gesehen noch weitere Brüder und Schwestern. Ich nenne sie Viertelgeschwister." Alles klar?

Aaron (Zweiter von links) trifft seine Familie regelmäßig in Wien. Seine 30 Familienmitglieder sind in der ganzen Welt zu Hause.
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Aaron ist in einer großen Patchworkfamilie in einem Haus in Graz aufgewachsen. Drei Kinder waren immer da, drei sind wochenweise gependelt, und zwei weitere studierten und kamen nur hin und wieder nach Hause. Zwischen der ältesten Schwester und dem jüngsten Bruder liegen zwanzig Jahre Altersunterschied. "Ich weiß, das alles klingt total schräg. Aber für mich war das als Kind völlig normal." Heute arbeitet Aaron als Organisationsberater und macht zusätzlich eine Ausbildung zum Gruppendynamiker. Kein Zufall, meint er: "Meine Familie war die beste Schule dafür." Was andere Teilnehmer in den Seminaren oft als bahnbrechend und intensiv beschreiben, erscheint ihm völlig normal: "Ein Haushalt, in dem so viele Meinungen und Charaktere aufeinanderprallen, hat natürlich hohes Konfliktpotenzial." Seine Kindheit sei zwar prinzipiell harmonisch und schön gewesen, aber gerade für die Scheidungskinder in der Familie war es nicht immer einfach. Diese mussten sich schließlich an neue Partner der Eltern und neue Geschwister gewöhnen. Plötzlich gab es nicht mehr nur ein Familiensystem, sondern gleich zwei oder mehrere, mit völlig neuen Beziehungen zueinander.

Von Ritualen und Rollen

Susi Pacher ist Patchwork-Coach. Die Expertin sieht das Loslassen von festgelegte Rollen und Ritualen als größte Herausforderung der Würfel-Familien: "Tagesabläufe, Erziehungsfragen oder die Familienhierarchie – hier donnern oft Galaxien aufeinander." Sich daran anzupassen, gewohnte Abläufe und Muster zu verlassen, sei schwierig. Ein großer Fehler, den viele Eltern machen: Sie ziehen schnell zusammen, ohne sich vorher Gedanken zu machen, wie man mit ersten Krisen umgeht. Im Alltag treten bei den Kindern nach einiger Zeit essenzielle Fragen auf: "Wo gehöre ich dazu?", "Wem darf ich was sagen?", "Werde ich fair behandelt?" Nach einiger Zeit kann Unsicherheit, Ärger oder Frust entstehen. Deshalb sei es wichtig, schon im Vorhinein zu klären, wie das neue Lebensmodell aussehen sollte – und ob man wirklich bereit ist, Kompromisse einzugehen. Wie schwierig sich das gestaltet, zeigen die Zahlen: Nur etwa die Hälfte aller Patchworkfamilien in Österreich bleibt bestehen.

Patchworkfamilie = Stieffamilie

Für die Kinder kommt noch ein gravierender Punkt hinzu: Sie leiden unter der Trennung der leiblichen Eltern. Familienberaterin Pacher: "Kinder haben Angst davor, eine wichtige Bezugsperson zu verlieren. Kein Wunder, dass sie oft erst einmal mit Ablehnung auf den neuen Partner der Mutter oder des Vaters reagieren." Wenn sie den neuen Partner mögen, dann mischt sich oft sogar schlechtes Gewissen dazu: "Kinder brauchen die Gewissheit, dass sie keinen Verrat an der leiblichen Mutter oder dem leiblichen Vater begehen."

Daher rät die Expertin, die Ex-Partner, so gut es geht, in das neue System zu integrieren. Kinder sollten immer die Möglichkeit haben, über ihre leiblichen Eltern zu sprechen – ohne spitze Bemerkungen fürchten zu müssen. "Selbst wenn man den Ex-Partner nicht ausstehen kann, die eigenen Verletzungen dürfen in diesem Fall keine vordergründige Rolle spielen." Damit eine Patchworkfamilie funktioniert, braucht es noch mehr Reflexion, Pragmatismus und Geduld – von allen Beteiligten.

Für die Familie Scheer war die Kooperationsbereitschaft der Ex-Partner der Schlüssel zum Erfolg. Aarons Eltern haben das Thema Stiefeltern und Stiefgeschwister sehr offen thematisiert. "Es wurde sogar extrem viel Wert auf ein gutes Verhältnis zu den Ex-Partnern gelegt." Diese lösungsorientierte Gesprächskultur der Eltern war für Aaron ein wesentlicher Aspekt, um "diesen bunte und chaotischen Haufen" zu einer großen Familie zu machen. Er betont immer wieder den emotionalen Gewinn, den er aus seiner Patchworkerfahrung gezogen hat. Die Kinder hätten von klein auf gelernt, mit neuen Strukturen und den verschiedenen Interessen umzugehen. Heute sind Aaron und seine sieben Geschwister erwachsen. Einige haben schon eigene Kinder. Bei Familienfesten kann es sein, dass 30 Menschen zusammenkommen. "Chanukka steht vor der Tür, und dazu werden auch die Ex-Partner meiner Eltern, deren neue Partner und alle Kinder eingeladen." Groll gibt es keinen.

Aaron findet: "Familie ist kein fixes Konstrukt, sondern ein Gefühl. Und damit etwas, das sich formen lässt." (Nadja Kupsa, 12.12.2019)