Schon vor der Tür des kleinen Reihenhauses in der Wiener Donaustadt hört man, dass drinnen einiges los ist. Lachen, Trippeln, auch ein wenig Gezeter schallt nach draußen. Leise ist es selten, hier ist immer volles Haus.

Josef und Sonja Bohrn kümmern sich um Kinder, die gerade nicht bei ihrer leiblichen Familie leben können.
Foto: www.corn.at , Heribert CORN

Josef und Sonja Bohrn sind Krisenpflegeeltern, derzeit leben vier Kinder, die aus unterschiedlichen Gründen gerade nicht bei den leiblichen Eltern bleiben können, bei dem Paar. Das Wohn- und Esszimmer ist voller Spielsachen: Bücher, Puppen und Stofftiere sind auf dem Sofa verteilt. Kaum sind sie verräumt, werden sie schon wieder rausgeholt. Während Josef dem drei Monate alten Mädchen das Fläschchen gibt, kümmert sich seine Frau liebevoll um die drei Älteren. Für die vier Krisenpflegekinder sind sie "Onkel und Tante"; für ihre 14-jährige Tochter Vanessa und den 16-jährigen Pflegesohn "Mama und Papa".

Mehr als 50 Kinder hat Sonja bereits betreut. Eigentlich ist sie ausgebildete Friseurin. Als die Bohrns vor über 15 Jahren ihren autistischen Pflegesohn aufgenommen haben, lernte Sonja dessen Krisenpflegemutter kennen. "Da hab ich gewusst: Das mache ich einmal", sagt Sonja. Als ihre Tochter in der zweiten Klasse Volksschule war, bewarb sich die heute 42-Jährige um die Aufgabe. Das ist bald sieben Jahre her.

Von da an betreute Sonja mindestens zwei Kinder gleichzeitig. Josef half ihr, arbeitete jedoch bis Herbst als U-Bahn-Fahrer, "Linie 2 und 3". Seit Oktober 2019 ist es erlaubt, dass beide Partner als Krisenpflegeltern angestellt werden. Der 40-Jährige meldete sich sofort. Die Bohrns sind das erste von mittlerweile zwei Paaren, die den Beruf gemeinsam ausüben. "Wenn Besuchstermine stattfinden, passt der andere von uns auf die Kinder auf", sagt Josef. Einmal pro Woche sehen die Kinder ihre leiblichen Eltern. Bei den Treffen darf kein anderes Pflegekind dabei sein.

"Für die drei Größeren gibt es schon Pflegefamilien", sagt Sonja. Das kleine Mädchen, das Josef gerade gefüttert hat, liegt mittlerweile im Bettchen. "Bei ihr wird es schwer, sich zu trennen. Sie ist gleich nach der Geburt zu uns gekommen", sagt er. Doch verabschieden müssen sich die beiden von allen Kindern, die bei ihnen einziehen. Entweder werden Pflegeeltern gefunden, die sich auf Dauer um die Kleinen kümmern, oder sie kommen zurück zu den leiblichen Eltern – was das Ziel der Stadt ist. "Das ist eben der Job", sagt Sonja.

Und der sieht so aus: Wenn das Telefon klingelt, dann geht es meistens sehr schnell. Die Bohrns erfahren die Basics: Alter, Geschlecht und ein bisschen etwas über die Geschichte des Kleinkindes, das von der Wiener Kinder- und Jugendhilfe den leiblichen Eltern in akuter Notlage abgenommen wurde. Spricht nichts gegen die Pflege, ist das Kind "höchstens eine Stunde später bei uns", sagt Sonja: "Ich hatte schon Kinder, die standen nur im Pyjama da."

Ab dann bleibt das Kind Tag und Nacht bei der Familie. Passt man auf ein Kind auf, liegt das monatliche Einkommen knapp über der Geringfügigkeitsgrenze. Ist man bereit, zwei Kinder zu versorgen, erhält man dafür 1350 Euro brutto. Dazu kommt für jedes Kind jeweils Pflegegeld. Angestellt sind die Eltern über den Verein Eltern für Kinder Österreich, arbeiten aber für die Wiener Kinder- und Jugendhilfe (MA 11). "Wir sind immer intensiv auf der Suche nach Pflegeeltern", heißt es dort.

180 Kinder bei Kriseneltern 2018

Laut Jahresbericht 2018 sorgten vergangenes Jahr 41 Krisenpflegeeltern für 180 Kinder zwischen null und drei Jahren. 883 ältere Kinder wurden in Krisenzentren untergebracht.

Warum die Kinder aus den Familien genommen werden, wird nicht dokumentiert, die Meldungen vermuteter Gefährdung von Kindern jedoch schon: Zwei Prozent ergehen wegen sexueller Gewalt, 15 wegen körperlicher. Der Verdacht auf psychische Gewalt liegt bei 26 Prozent der Meldungen vor. Das Gros machen jedoch mit 57 Prozent Meldungen wegen Vernachlässigung aus. Im Jahr 2018 gab es insgesamt 10.497 Gefährdungsabklärungen der MA 11.

Viele der Kinder brauchen vor allem eines: Routine. Die Tage bei den Bohrns verlaufen darum ähnlich. Nach dem Aufstehen machen sich alle fertig. Mindestens zwei Stunden ist die Familie im Freien. Neben drei Hauptmahlzeiten gibt es am Vor- und Nachmittag einen kleinen Snack, an diesem Morgen Äpfel, die Josef in Spalten schneidet. Jedes Kind hat seinen fixen Tischplatz. "Oft hatten die Kinder vorher nicht genug zu essen", sagt Sonja. Sie bekommen jetzt immer erst eine kleinere Portion, dann gibt’s Nachschlag: "So sehen sie, dass genug da ist, wenn sie mehr wollen." Die Äpfel sind schon weg. "Gegen 19 Uhr haben wir Feierabend, dann gehen die Kinder schlafen", sagt Sonja. In Wirklichkeit sind sie rund um die Uhr im Dienst – dabei sehen sie einander ständig. "Wir wussten, worauf wir uns einlassen", sagt Josef lachend. Sechs bis acht Wochen sind die Kinder bei ihnen. Danach trappeln andere Kinderfüße durch das Haus. (Oona Kroisleitner, 12.12.2019)