Milben graben Gänge unter der Haut: Betroffene merken es durch einen intensiven Juckreiz.

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Marianne Reber streift sich Gummihandschuhe über, zieht dem kleinen Noah den Body aus und legt ihm eine frische Windel an. Dass sie Handschuhe trägt und, obwohl es warm ist, ein Oberteil mit langen Ärmeln, liegt nicht etwa an übertriebener Hygiene. Der Grund ist die Krätze. Seit der kleine Bub vier Wochen alt ist, hat er am ganzen Körper die kleinen Pusteln. Der Ausschlag hat die Form kleiner Gänge und juckt – vor allem nachts.

Schuld an der Erkrankung sind Krätzmilben. Das Weibchen gräbt die Gänge und legt dort täglich bis zu vier Eier und ihren Kot ab. Nach etwa drei Wochen entstehen weitere geschlechtsreife Krätzmilben. Das menschliche Immunsystem reagiert darauf mit dem typischen Ausschlag.

Woher habe ich es?

Auch Noahs Eltern wissen, wie sich das anfühlt. Denn sie haben sich zuallererst angesteckt. Und zwar im dritten Schwangerschaftsmonat. Wo genau, das wissen sie nicht sicher. Im Fitnessstudio, im Griechenland-Urlaub oder bei einem Freund, der ein paar Tage bei ihnen übernachtet hat? Die Krätze tritt zwei bis fünf Wochen nach der Ansteckung auf. Marianne und ihr Mann gehen die besagten Wochen immer wieder gedanklich durch.

Skabies, wie die Erkrankung medizinisch heißt, wird durch längeren direkten Hautkontakt übertragen, Händeschütteln und kurze Umarmungen sind keine Gefahr. "Die Ansteckung über Textilien ist generell selten", sagt Cord Sunderkötter von der Uniklinik Halle (Saale). Familie Reber, die in Wahrheit anders heißt, ist dennoch misstrauisch geworden, gegenüber Kinositzen, Textilien in Hotelzimmern oder dem Umhang beim Friseur.

Dazu kommt, dass Mediziner die Krätze oft lange nicht erkennen. Nach vier Krätzebehandlungen haben die Dermatologen von Familie Reber, sowohl der niedergelassene Facharzt als auch jene in der Spezialambulanz, den Ausschlag auf eine Allergie geschoben. Bis ihnen ein Arzt glaubte, dass sie immer noch die Krätze hatten, und sie mit der Behandlung wieder beginnen konnten, vergingen zweieinhalb Monate. Doch selbst dann, nach mehreren abgeschlossenen Durchgängen, kam die Krätze vor dem Geburtstermin immer wieder zurück – das letzte Mal nur vier Wochen vor der Geburt. Das mögliche Problem: Schwangere können dagegen nur äußerlich behandelt werden.

Wie wird behandelt

Der Wirkstoff Permethrin als Creme gilt als Therapie der Wahl. Sie muss bei Erwachsenen vom Kinn abwärts am ganzen Körper gründlich aufgetragen werden, auch unter den Fingernägeln und im Intimbereich – und acht bis zwölf Stunden einwirken. Nach einer Woche wird die Behandlung wiederholt. Oft wird zusätzlich der Wirkstoff Ivermectin als Tablette verabreicht, Schwangere und Kinder unter 15 Kilogramm sind davon jedoch ausgenommen.

Dann ist sie endlich weg, rechtzeitig zur Geburt. Das Baby kommt, die Freude ist groß. Bis nach wenigen Wochen auch der kleine Noah den Ausschlag bekommt. Seine Mutter erkennt ihn sofort. Schon davor hat sie bei jedem einzelnen Pickel am Babykörper daran gedacht. Nun ist die Krätze wieder da – von einer Freundin, die die werdenden Eltern vor Wochen besucht und dann das Neugeborene gehalten hat. Sie wusste nicht, dass der juckende Ausschlag, den sie hat, ansteckend sein könnte.

Mutter und Kind werden stationär aufgenommen, aber falsch behandelt. Noah wird nur vom Kinn abwärts eingecremt, obwohl Kinder – anders als Erwachsene – Skabies auch am Kopf bekommen. Franz Trautinger vom Uniklinikum St. Pölten weiß: "Säuglinge müssen auch am Kopf behandelt werden. Ängste sind unbegründet, es gibt keinen Hinweis, dass Permethrin für Kinder toxisch ist." Zudem sollte, so Sunderkötter, bei fortbestehender Skabies im Idealfall die ganze Familie stationär aufgenommen werden – mit dem zusätzlichen Vorteil, dass währenddessen zu Hause die Milben auf den Oberflächen absterben. Denn die Tiere überleben ohne ihren menschlichen Wirt höchstens vier Tage.

Sozialer Supergau

Die Krätze geht bei Familie Reber also auch nach dem Spitalsaufenthalt nicht weg. Ihnen bleibt nur: die Therapie immer neu wiederholen und abwarten. 30-mal haben sich Marianne und ihr Mann die Creme insgesamt schon auf den ganzen Körper geschmiert. Ein Jahr oder gar länger kämpfen auch viele andere Patienten mit der Krätze, bestätigen Mediziner.

Im Alltag heißt das für die Patienten, jeden Tag Bettwäsche und Kleidung zu waschen, Textilien mit Plastik zu überziehen oder nicht zu benutzen, zudem 36 Stunden keinen Körperkontakt zu Partner oder Baby zu haben. "Kollegen haben beobachtet, dass 36 Stunden nach einer Behandlung noch bewegliche Milben zu sehen sind. Deshalb sollte man in dieser Zeit längeren Hautkontakt vermeiden", so Sunderkötter. Wie das gehen soll, wenn man stillt? Milch abpumpen und die Zeit mit dem Fläschchen überbrücken. Noah trägt jetzt Socken an den Händen, damit er sich nicht kratzen kann. Und seine Mutter muss beim Spazierengehen oft erklären, warum man das süße Baby lieber nicht anfassen sollte.

Die Familie muss sich quasi isolieren, kann Noahs Großeltern nicht besuchen, keine Gäste einladen oder jemand anderen auch nur kurz auf das Baby aufpassen lassen. Hinzu kommt: Bei der Krätze müssen auch alle Kontaktpersonen mitbehandelt werden. Familie Rebers Ärzte empfehlen, alle zu informieren, mit denen sie Kontakt hatten. Es sind viele, die den kleinen Noah nach seiner Geburt besucht und im Arm gehabt haben. Sie alle müssen zum Hautarzt, sich vorsorglich behandeln, auch wenn sie noch symptomlos sind.

Statistisch mehr Fälle

"Alle Kollegen in Deutschland und Österreich sind sich einig, dass es in den letzten Jahren eine drastische Zunahme an Skabies-Fällen gibt", sagt Trautinger. Der Verbrauch von Antiskabiosa, mit denen die Krätze behandelt wird, sei deutlich gestiegen. Weltweit komme es immer wieder zu Skabies-Epidemien. Warum, sei unklar. Für Österreich haben die dermatologischen Fachgesellschaften ÖGSTD und ÖGDV aufgrund des Anstiegs der Skabies-Fälle ihre Empfehlungen geändert. Sie raten, Permethrin und Ivermectin – also Creme und Tablette – immer in Kombination zu verschreiben. "So können Anwendungsfehler so gering wie möglich gehalten werden", sagt Trautinger. Mit einer neuen Leitlinie sollen auch Allgemeinmediziner die Krätze besser diagnostizieren können.

"Funktioniert die erste Behandlung nicht, sind es schätzungsweise in 60 bis 70 Prozent der Fälle Anwendungsfehler", sagt Sunderkötter. Obwohl laut Studien, also ohne Anwendungsfehler, die Erfolgsquote von Permethrin bei 95 bis 100 Prozent liegt, führt die Therapie nicht immer zur Heilung. Daher wird zunehmend über mögliche Resistenzen von Milben spekuliert. Auch weil Patienten immer wieder glaubwürdig berichten, die Behandlung korrekt durchgeführt zu haben. Für Resistenzen gibt es bislang jedoch keine klaren Belege. "Wir beobachten, dass Permethrin nicht mehr so wirksam und die Empfindlichkeit mancher Milben geringer zu sein scheint. Von einer Resistenz kann aber nicht gesprochen werden", sagt Sunderkötter.

Wenn Plan A nicht greift

Marianne Reber ist hingegen überzeugt, dass Permethrin bei ihrem Sohn nicht gewirkt hat. Schlussendlich wurde die Familie mit zwei anderen Wirkstoffen – Crotamiton und Benzylbenzoat – erfolgreich behandelt. Beide Medikamente sind in Österreich nicht zugelassen und wurden aus Deutschland bestellt. Laut Trautinger werden diese Wirkstoffe in Österreich eingesetzt, "wenn tatsächlich sonst nichts wirkt". Er beruhigt: "Die Krätze ist nicht unheilbar und kann behandelt werden. Am Ende geht sie immer weg, auch wenn viele Patienten nicht mehr daran glauben."

Letztendlich war es auch bei Noah und seinen Eltern so: Seit dreieinhalb Monaten sind sie nach insgesamt elf Monaten krätzefrei. Zumindest körperlich, denn mental, sagt Marianne, begleiten sie die Gedanken an die Krätze weiterhin täglich. Jedes Mal, wenn bei Noah ein kleiner roter Punkt auf der Haut auftaucht, hat sie Angst. Und die wird ihr wohl noch lange bleiben. (Bernadette Redl, 10.12.2019)