Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Freitag einen viereinhalbstündigen Besuch in Auschwitz, "dem deutschen, von Deutschen betriebenen Vernichtungslager" absolviert, das erst am 27. Jänner 1945 von der Roten Armee befreit wurde. Es sei ihr wichtig, "die Täter zu benennen. Die Verantwortung ist nicht verhandelbar, und sie gehört untrennbar zu unserem Land", sagte Merkel, die zum ersten Mal in ihrem Leben an den Ort gereist war, der weltweit als Inbegriff der massenhaften Ermordung, vor allem von Juden, aber auch Polen, Sinti und anderen Opfern gilt. Ihr Besuch war jedoch aus anderen Gründen politisch bedeutsam und hat ein starkes, positives Echo ausgelöst.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel besuchte am Freitag Auschwitz.
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Dass sie nur in der Schlussphase ihrer Kanzlerschaft nach Auschwitz kam, war deshalb überraschend, weil sie bereits 1991, also lange vor der Kanzlerschaft, nach Israel reiste und die wichtigste Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem besuchte. Es folgten weitere vier Besuche als Bundeskanzlerin. Schon vor mehr als einem Jahrzehnt hatte sie erklärt, die Sicherheit Israels sei Teil der deutschen Staatsräson. Darüber hinaus hat sie immer wieder Gedenkstätten wie Buchenwald, Ravensbrück und Dachau besucht und für ihre Bemühungen um das Verhältnis zu den Juden und zum Staat Israel mehrere Preise und Auszeichnungen erhalten. Die Berichte über den Ablauf ihres Besuchs und über ihre Rede in Auschwitz, anlässlich des zehnten Jahrestages der Gründung der auch von der Bundesrepublik mitfinanzierten Stiftung, die sich um die Erhaltung der Häuser und Baracken der Gedenkstätte kümmert, bestätigen ihr tiefes persönliches Engagement.

Keine Relativierung

Die Bedeutung von Merkels Auschwitz-Besuch ging weit über das Protokollarische hinaus. Der Zeitpunkt war besonders bemerkenswert, da Führungsfiguren der drittgrößten Fraktion im Bundestag die NS-Zeit als "Vogelschiss" bezeichnen oder für eine Wende der Erinnerungskultur um 180 Grad eintreten.

Da der Antisemitismus überall, nicht zuletzt in Deutschland, wieder anschwillt und in Halle bereits ein Attentäter mit selbstgebauten Waffen mordete, lautet die Lehre von Auschwitz: Wehret den Anfängen! Gerade deshalb war Merkels Besuch so wichtig. Und die Kanzlerin sprach es auch unverblümt aus: Auschwitz sei ein Ort, der wie kein anderer für das "größte Menschheitsverbrechen" steht. Was in Auschwitz geschehen sei, lasse sich "mit Menschenverstand nicht erfassen". Und die Geschichte müsse erzählt werden, "immer und immer wieder". Einen Schlussstrich könne es nicht geben, auch keine Relativierung. Man dulde keinen Antisemitismus. Wer die Schornsteine und Zäune sehe, dem werde sich die Erinnerung ins Herz brennen, sagte Merkel und fügte hinzu: "Wir erleben einen Angriff auf die Grundwerte der liberalen Demokratie", die immer wieder verteidigt werden müssten.

Man kann nur hoffen, dass auch Merkels Nachfolger ein so starkes Bekenntnis zu der Verantwortung ablegen werden, die aus dem von den Nationalsozialisten begangenen Völkermord an sechs Millionen Juden für die demokratische Bundesrepublik erwuchs. (Paul Lendvai, 9.12.2019)